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Kommentar Martin SchulzRaus aus der Loser-Logik

Georg Löwisch
Kommentar von Georg Löwisch

Gerade die SPD, die kaum noch etwas zu verlieren hat, braucht Selbstvertrauen. Schulz jetzt als Kandidaten auszurufen, wäre falsch.

Wer stimmt für Martin Schulz? Foto: dpa

D er SPD bietet sich eine Chance, die sie besser nicht vergurken sollte. Martin Schulz geht von Straßburg nach Berlin, der Präsident des Europaparlaments will 2017 in den Bundestag einziehen. Ihn aber nun so schnell wie möglich zum Kanzlerkandidaten auszurufen, wäre das Dümmste, was die Partei aus diesem Umstand machen könnte.

Falscher Heldenglaube hat dazu geführt, dass Steinmeier und Steinbrück in kleiner Runde gecastet wurden, für die Wahlen 2009 und 2013. Doch am Ende rockten die Stones nicht, sie ruckelten nicht mal an Angela Merkels Stuhl.

Die Chance besteht darin, diesen Kandidaten nicht auszukungeln, sondern ihn in einer Urwahl zu finden. Alle potenziellen Kandidaten der SPD haben Stärken und Schwächen. Warum soll nicht die Basis in einem innerparteilichen Wettbewerb herausfinden, welcher für das Wahljahr der richtige ist?

Da ist einmal Parteichef Sigmar Gabriel. Sein Minus: Er oszilliert seit 2013 zwischen den Rollen und macht sich dadurch unglaublich unbeliebt. Mal war er Gewerkschaftsfreund und mal Industriekumpel, bald Rüstungsexport-Gegner und Rüstungsexport-Genehmiger, er war Regierungsmanager und Parteitribun. Sein Plus: Er ist ein erfahrener Wahlkämpfer und ein ausgebuffter Profi, der mit der seltsamen Seele dieser Partei umzugehen weiß.

Dann Martin Schulz. Sein Minus: Null Erfahrung mit Sozial- oder Innenpolitik; in der ihm nicht vertrauten Berliner Macht- und Medienmaschine könnte er leicht geschreddert werden. Sein Plus: Er kann begeistern und hat quasi im Alleingang das Europäische Parlament gegenüber den Regierungen und Eurokraten ermächtigt.

Schließlich Olaf Scholz. Sein Minus: Hamburgs Erster Bürgermeister kann Reden halten, die sich anhören wie die Telefonschleife eines Katasteramtes. Sein Plus: Gerade weil der Jurist ein erfahrener Regierungstechnokrat ist, wird er viele beruhigen, denen die Perspektive eines rot-rot-grünen Bündnisses Angst einflößt.

Und natürlich würde es so einer Partei auch gut tun, mal einen ganz anderen – oder noch besser: eine ganz andere – in Erwägung zu ziehen.

Ein Zweier-, Dreier- oder Viererwettbewerb wäre interessant. Er brächte der SPD Aufmerksamkeit und würde ihre verschreckten Mitglieder mobilisieren. Die Verlierer und ihre Fans müssten nicht das Gefühl haben, hinter verschlossenen Türen ausgebootet worden zu sein. Sie wären in einer fairen, offenen Konkurrenz unterlegen. Wer gewinnt, sollte dann auch Parteivorsitzender werden.

Aber warum sollte Sigmar Gabriel überhaupt in eine Urwahl gehen, wo er doch als Vorsitzender den Zugriff auf die Kandidatur hat? Wo doch Martin Schulz sein Freund ist und ihm vermutlich nicht mit Gewalt eine Kandidatur streitig machen würde? Wo er doch riskieren würde, gleich noch den Parteivorsitz zu verlieren?

Selbstvertrauen

Nun, der Vorsitz ist auch nach einer Vollklatsche bei der Bundestagswahl weg. Gewinnt er eine Urwahl, täte ihm das gut. Ein gewählter Kanzlerkandidat stünde besser da als ein Vorsitzender, der sich trotz Grummeln und Hadern selbst ausruft.

Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die SPD-Spitze inzwischen einer anderen Denke folgt. Dass es den Beteiligten darum geht, schon jetzt eine Niederlage zu verteilen. Dass sie schon jetzt überlegen, wer nach einer neuerlichen Schlappe am wenigsten schlecht dasteht und danach Vorsitzender einer Kleinpartei sein darf. Eine Logik der Loser – man kennt sie schon aus den chronisch erfolglosen SPD-Verbänden etwa in Bayern oder Baden-Württemberg.

Aber in diesem Wahljahr, in dem der Wettbewerb zwischen den anständigen Parteien wichtiger ist als je zuvor, darf es nicht darum gehen, schon vorher von einem schlechten Ergebnis auszugehen.

Gerade die SPD, die im Grunde kaum noch etwas zu verlieren hat, braucht Selbstvertrauen. Schon 2013 hat Gabriel die Mitglieder zur Großen Koalition befragt. Die Abstimmung der Basis stärkte die Partei. Wenn die SPD Mut zu einem wirklichen Wettbewerb findet, dann findet sie auch einen Kanzlerkandidaten, der den Namen verdient.

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Georg Löwisch
Autor
Viele Jahre bei der taz als Volontär, Redakteur, Reporter und Chefredakteur.
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13 Kommentare

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  • SPD ist in der gleichen Ecke wie die AfD, neben der Spur. Noch will die Partei nicht abgehängt werden, aber sie wird es hoffentlich bald tun.

  • ...ach der Herr Chefredakteur...

  • Wahltaktisch macht die SPD gerade alles richtig.

     

    Unklare Parteiverhältnisse, unklare Inhalte, ein unklares Profil der Partei und hier und da ein Skandal werden dafür sorgen, dass man am Wahltag mit guten 16-17 Prozent stärkste Kraft in einem rot-grün-roten Bündnis wird und den Kanzler stellen wird. Die Fortsetzung der großen Koalition wäre dann schon rechnerisch nicht mehr möglich. Da ist es dann auch egal, dass man hinter CDU und der AFD insgesamt nur drittstärkste Partei sein wird.

     

    Also weiter rent-a-sozi, weiter K-Frage.

  • Das Problem, das die SPD derzeit hat, kennen viele Menschen. Sie haben mehr oder weniger öffentlich versagt, und zwar in einer Gesellschaft, die so etwas nicht verzeiht. In der Folge kriegen sie „Angst vor der eigenen Courage“, wie man so schön sagt. Ein sogenannter Teufelskreis beginnt.

     

    Ja, es kann gut sein, dass die SPD-Spitze sich jetzt schon auf ihre (absehbare) Niederlage vorbereitet. Nur: Wer sich aufgibt, ist nicht attraktiv. Für niemanden. Er macht den Menschen nämlich Angst. Davor, dass er sie überfordern wird. Jemanden, der sich schwer wie Blei anfühlt, über Wasser zu halten, ist kein Spaß. Auch nicht für potentielle SPD-Wähler. Die sagen sich: „Nur schnell weit weg! Wenn Tanker sinken, kann das sehr gefährlich sein für alle, die im Umkreis schwimmen.“

     

    Das ist die „Loser-Logik“, die Georg Löwisch anspricht. Man kennt sie nicht nur „aus den chronisch erfolglosen SPD-Verbänden etwa in Bayern oder Baden-Württemberg“, man kennt sie auch aus dem eigenen, ganz privaten Umfeld. Der Mensch bleibt auch als (Spitzen-)Politiker bzw. Wähler Mensch – und reagiert entsprechend.

     

    Ja, die SPD bräuchte dringend mehr Selbstvertrauen. Doch woher nehmen und nicht stehlen?

     

    Es ist ja gar nicht wahr, dass sie „kaum noch []was zu verlieren hat“. Vor allem ihre Führungsriege hat ziemlich viel zu verlieren an roten Teppichen, Einfluss und Geld. Und das Ego dieser Leute ist um so größer, je kleiner das ihrer (bald nicht mehr vorhandenen) Basis ist. Wie sollten sie an diesen Machtverhältnissen was ändern können – gerade jetzt, wo sie kein echtes Selbstbewusstsein haben können aufgrund der vielen Fehler, die sie immer noch ganz dringend machen müssen, anstatt einfach nach Haus zu gehen und da mit Kind und/oder Hund zu spielen?

     

    Dass dem taz-Chefredakteur nur drei Namen einfallen, wenn er an einen Wettbewerb denkt, ist einfach peinlich für die alte Tante SPD.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @mowgli:

      "Dass dem taz-Chefredakteur nur drei Namen einfallen, wenn er an einen Wettbewerb denkt, ist einfach peinlich für die alte Tante SPD."

      Mit Inhalten und einigen Erfolgen statt Namen könnte die SPD schon eher punkten.

      Im Wahlkampf sollten nicht Scholz, Schulz und Gabriel, sondern die paar wichtigsten Errungenschaften der SPD-Politik seit 2013 im Vordergrund stehen.

  • „Und natürlich würde es so einer Partei auch gut tun, mal einen ganz anderen – oder noch besser: eine ganz andere“

     

    Linker Sexismus ist zum Kotzen.

     

    Männer und Frauen sind gleich. Deal with it.

  • "…Doch am Ende rockten die Stones nicht, sie ruckelten nicht mal an Angela Merkels Stuhl.…"

     

    kurz - noch sone Edelfeder -

    Die meint - Journalist zu sein!

    Aber gut - daß sie mal drüber gesprochen hat.

    Vergurkt - ja dess paschd scho! Gell.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Was hat er denn jetzt schon wieder falsch gemacht, der Chefredakteur?

      • @571 (Profil gelöscht):

        Angebliches "Plus" von Gabriel:

        ".. Er ist ein erfahrener Wahlkämpfer und ein ausgebuffter Profi, der mit der seltsamen Seele dieser Partei umzugehen weiß. .."

        ~>"Jau, ein echter Seelenverkäufer."

        Früher nannte frauman sowas Pferdehändler -" verköp ook sin Oma!"

        & genau so eiert - Siggi im Plus¿!)) &

        So - holperdistolpert sichs le chefle!

        (law/low - insiderwitz - naheliegend;)

      • @571 (Profil gelöscht):

        ...der Chefredakteur der Leserbriefschreiber hier heißt immer noch LAWANDORDER. Also bitte keine Majestätsbeleidigung. Sonst kommt die Zensur von der nettiquette...

        • 5G
          571 (Profil gelöscht)
          @Der Alleswisser:

          Oha, der ALLESWISSER!

           

          Dann schaumamal genauer:

           

          Le Chef ist LOWANDORDER und die Zensur kommt von der Netiquette, die nämlich nicht besonders nett ist, sondern das Netz (net) betrifft.

          • @571 (Profil gelöscht):

            ...schön, das KLAUSK so genau hinschaut...

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die SPD-Spitze inzwischen einer anderen Denke folgt. Dass es den Beteiligten darum geht, schon jetzt eine Niederlage zu verteilen. Dass sie schon jetzt überlegen, wer nach einer neuerlichen Schlappe am wenigsten schlecht dasteht und danach Vorsitzender einer Kleinpartei sein darf."

     

    Niederlage wird in der SPD mittlerweile nicht durch absolute Wahlergebnisse definiert, sondern dadurch, ob es für eine Regierungsbeteiligung reicht.

    Man muss nur den 12.02.2017 abwarten, um zu sehen wie Gabriel und Co in dem hofnungsvollen GroKo-IV-Gefühl schwelgen.