Kommentar Malta und Flüchtlinge: Gruß aus Absurdistan

Malta ist der kleinste EU-Staat – und hat ein großes Flüchtlingsproblem. Die europäische Solidarität hingegen ist äußerst dürftig.

17. Oktober 2013: Flüchtlinge vor der Küste Maltas Bild: dpa

Nirgendwo sonst ist die Absurdität des europäischen Asylsystems deutlicher zu besichtigen als in Malta: Der kleinste Staat der EU trägt allein durch seine geografische Lage eine Verantwortung, die weitaus größer ist, als dem Land zugemutet werden kann. Das hat jetzt offenbar auch Bundespräsident Joachim Gauck erkannt. Am Donnerstag besucht er als Reaktion auf das Sterben von Flüchtlingen im Mittelmeer das südeuropäische Land. Die Frage ist, welche Konsequenzen Gauck aus seinen Eindrücken zu ziehen gedenkt.

Er hat sich in Sachen Flüchtlinge mehrfach zu Wort gemeldet, zuletzt Weihnachten. „Tun wir wirklich schon alles, was wir tun könnten?“, hat er da gefragt. Was Malta angeht, lässt sich seine Frage mit genau einer Zahl beantworten: 255. So viele Menschen durften in den letzten zehn Jahren im Rahmen eines Umsiedlungsprogramms aus Malta in die Bundesrepublik ausreisen – nach ewigem Gezeter der Innenminister. Es gab Zeiten, da kamen in einer einzigen Woche so viele Flüchtlinge auf der winzigen Insel an.

Und saßen dort fest – so will es das EU-Recht. Selbst die USA mochten das nicht mit ansehen. Sie nehmen Malta Jahr um Jahr Flüchtlinge ab – insgesamt Tausende bis heute. Die dürftige europäische Solidarität hingegen war als strikte Ausnahme gedacht. Genau wie der in weiten Teilen komplett unausgegorene Zehn-Punkte-Plan der EU gegen das Flüchtlingssterben aus der vergangenen Woche. Er sieht nur Ausnahmen für die Länder vor, die unter dem Dublin-II-System besonders leiden: 5.000 Plätze soll es insgesamt geben, auf freiwilliger Basis.

Außer den USA helfen nur die, die selbst größte Probleme haben: die Italiener. Seit dem Start von Mare Nostrum verzichten italienische Schiffe offenbar darauf, gerettete Schiffbrüchige nach Malta zu bringen, auch wenn sie unter Maltas Zuständigkeit fallen. Ehrenwert, aber keine Lösung. Dass Malta auf die Überlastung mit dem Einsperren von Flüchtlingen reagiert, ist nicht zu rechtfertigen. Was die Seenotrettung angeht, tut es, was es kann. Was man von Deutschland und anderen EU-Staaten nicht behaupten kann.

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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

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