Kommentar Macrons Sozialpläne: Erziehung zur Genügsamkeit
Frankreichs Präsident Macron twittert, dass er das Sozialsystem gründlich entrümpeln will. Zynisch ist dabei sein Blick auf Arme und Bedürftige.
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D onald Trump ist nicht der einzige Staatschef, der Twitter als Propagandainstrument einsetzt, um das Volk über seine Absichten oder Launen in Kenntnis zu setzen. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist „connected“.
Vor einer Rede vor Versicherungsgenossenschaften über seine Pläne in der Sozialpolitik ließ er als Vorinformation der Medien auf Twitter ein Video publizieren, in dem er sich sehr kritisch über das System der Beihilfen und Existenzminima äußert. Diese „kosten irre Summen, und trotzdem kommen die Leute nicht über die Runden“.
Dankbarkeit hatte er von den Bedürftigen wohl ohnehin nicht erwartet, aber er möchte, dass sie sich wenigstens „anstrengen“: „Die Armen bleiben arm, und wer arm wird, bleibt es. Wir müssen etwas finden, was es den Armen erlaubt, aus der Armut herauszukommen. Mit Erziehung …“, überlegt Macron vor der Smartphonekamera. Er sagt nicht, wie er diese mittellosen MitbürgerInnen zu mehr Genügsamkeit erziehen will, aber er ist ungehalten wegen der seiner Meinung nach astronomischen, aber völlig ineffizienten Ausgaben. Präsident Macron will, dass sich Investitionen wie überall lohnen. Heute sind sie für ihn als Buchhalter der Nation bloß ein ärgerlicher Kostenfaktor.
Kulinarisch betrachtet, hält der Präsident das jetzige System der Sozialbeihilfen für ungenießbar, denn es sei wie „Lasagne mit Fetakäse und Paella“.
Macrons eigenes Rezept dagegen dürfte gesalzen ausfallen. Man weiß, dass er bis 2022 die Staatsausgaben um 60 Milliarden Euro und 120.000 öffentliche Stellen kürzen will, oben auf der Liste stehen auch die diversen Sozialleistungen und Beihilfen.
Was an Macrons Äußerungen aber schockiert, ist der Zynismus seiner Betrachtungsweise. Er fordert von den unterstützten Opfern der sozialen Ungerechtigkeit mehr „Verantwortungsbewusstsein bei der Prävention“. Er hält sie offenbar für selber schuld an ihrer Situation und der Schwierigkeit, aus ihrer kostspieligen Armut herauszukommen.
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