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Kommentar Maaßen-KriseDie neue Unberechenbarkeit

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Der Herbst 2015 ist für die Unions-Rechten, was die Agenda 2010 für die SPD war. Sie kommen nicht darüber hinweg und setzen ständig alles aufs Spiel.

Die dramatische Figur der Causa Maaßen steht im Hintergrund: Angela Merkel Foto: dpa

S PD-Chefin Andrea Nahles hat einen Fehler gemacht, als sie die Einigung im Fall Maaßen abnickte. Fehler passieren. Und Nahles hat immerhin in letzter Minute, den Kurs korrigiert. Aber selbst wenn diese Krise für die SPD gütlich endet, bleibt etwas hängen. Denn Nahles hat zwar mehr als ihr halbes Leben in der SPD verbracht, aber sie versteht ihre Partei nicht mehr. Diese Instinktlosigkeit ist besorgniserregend. Sie war ja extra nicht Ministerin geworden, um der Partei mehr Gewicht zu verleihen.

Dass die SPD-Minister die Frage nicht so recht in Wallung bringt, ob ein nach rechts driftender Verfassungschef 3.000 Euro mehr verdient, mag nicht überraschen. Doch Nahles' Job ist es, die Partei auch mal gegen die Regierungslogik zu vertreten. Dass ihr in diesem Fall alle Sensoren fehlten, ist mehr als ein Imageschaden. Von außen betrachtet ist die diese Krise ein Rätsel. Wie kann eine Große Koalition, eigentlich Inbegriff von Stabilität und etwas langweiligem geräuschlosem Regieren, wegen einer solchen Nebensächlichkeit an den Rand des Scheiterns geraten?

Dafür gibt es zwei Gründe. Die Zukunft der Volksparteien ist offen, gefährdet, bedroht. Was selbstverständlich war, ist es nicht mehr. Und das macht vor allem die CSU, der die AfD besonders zusetzt, gereizt und schlecht gelaunt. Deshalb reicht ein Detail, um alles aufs Spiel zu setzen.

Zweitens ist es kein Zufall, dass sich der erneute Konflikt an Maaßen entzündet. Der ist ein scharfer Kritiker von Merkels Flüchtlingspolitik, ein Verbündeter von Innenminister Horst Seehofer, der noch immer im Bann des Herbstes 2015 steht. Der Herbst 2015 ist für die Union so etwas wie die Agenda 2010 für die SPD. Berechenbar und rational werden die CSU und die rechte CDU erst wieder sein, wenn sie die Fixierung auf Herbst 2015 bewältigt haben.

Bislang stehen Seehofer, der wütende Rechthaber, der alle mit den Abgrund zu reißen will, und Nahles im Rampenlicht. Doch das ist eigentlich der falsche Fokus. Die dramatische Figur steht im Hintergrund: Angela Merkel. Dass diese Affäre so aus dem Ruder laufen konnte, zeigt jene typische Schwäche einer Mächtigen, deren Einfluss schwindet, weil ihre Zeit endet.

Doch es ist noch etwas mehr: Merkels Unfähigkeit, diese Krise zu lösen, zeigt, dass ihr Zaubermittel nicht mehr wirkt. Nämlich abwarten, moderieren, so lange wie möglich in der Deckung bleiben. In diesem Metier ist Merkel meisterhaft. Aber das reicht nicht mehr. Die Zeiten haben sich geändert. Die Konflikte sind schärfer geworden, unversöhnlicher und ideologischer. Dafür hat diese Kanzlerin, die nur Pragmatismus kann, kein Rezept. Auch wenn CDU, CSU und SPD am Ende eine Lösung finden, die irgendwie funktioniert, auch wenn die Koalition erst einmal bleibt – diese Affäre zeigt, dass die Ära Merkel vorbei ist.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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9 Kommentare

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  • "Wie kann eine Große Koalition, eigentlich Inbegriff von Stabilität..."

    Da hat der Autor aber was nicht verstanden:



    1. (sorry 2.) Groko 2005: 69,4%, 2013: 67,2%, 2017: 53,4% und jetzt in den Umfragen so um 45%. Wer da ein Inbegriff von Stabilität sieht...

  • Die SPD nach Willi Brandt ist leider auf Bundesebene hauptsächlich nur Wirtstier gewesen für allerlei Funktionärszecken. Seit Jahrzehnten leidet sie folglich an akuter Blutarmut.



    Es wäre aber grundfalsch, die derzeitige Unfähigkeit dieser GroKo-Simulation, mit einem politischen Beamten angemessen zu verfahren, der sich seit geraumer Zeit einen Klopfer nach dem anderen leistet, sich demonstrativ der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber eher ablehnend und relativierend verhält und letztens sogar seine Illoyalität gegenüber dieser Regierung offen in einem so zweifelhaften Medium wie der Bildzeitung kundtut. Das alles unter den Augen und mit Billigung seines direkten Vorgesetzten IM Seehofer.



    Die Kritik der SPD und anderer an diesem Ding der Unmöglichkeit darf man doch jetzt nicht mit dem eigentlichen Problem verwechseln. Solches dennoch vielfach zu kolportieren, ist so daneben, wie der Versuch, auf dem Kopf stehend um die Ecke zu hüpfen.

    • @Rainer B.:

      lies:



      ....kundtut, der SPD anzulasten.

  • Ja wie*?*

    "...Aber selbst wenn diese Krise für die SPD gütlich endet, bleibt etwas hängen. Denn Nahles hat zwar mehr als ihre halbes Leben in der SPD verbracht, aber sie versteht ihre Partei nicht mehr. Diese Instinktlosigkeit ist besorgniserregend. Sie war ja extra nicht Ministerin geworden, um der Partei mehr Gewicht zu verleihen...."

    Ja eben. "....mehr als ihre halbes Leben in der SPD verbracht, aber sie versteht ihre Partei nicht mehr..."

    Das liegt - Genau Genau - An der anderen Hälfte ihres Lebens. Newahr. Na - Si´cher dat. Da mähtste so fix - Nix.



    Normal.

  • 8G
    83492 (Profil gelöscht)

    "Berechenbar und rational werden die CSU und die rechte CDU erst wieder sein, wenn sie die Fixierung auf Herbst 2015 bewältigt haben."

    Warum wird das Handeln als irrational dargestellt? Rationalität bedeutet, so zu Handeln wie es den eigenen Interessen und Zielen dienlich ist bzw. der eigenen Einschätzung nach sein wird. Ziel der CSU ist Machterhalt in Bayern. Und in der Wahrnehmung der CSU war der Herbst 2015 Auslöser vieler ungelöster Probleme, die ihre Stammwählerschaft umtreibt:

    "Deggendorfs Landrat Christian Bernreiter (CSU) sieht in der Ankunft Tausender Flüchtlinge in der Region eine der Ursachen für den AfD-Erfolg. „Hier haben die Leute hautnah erlebt, wie die Flüchtlinge ankamen.“ Die Ängste seien groß, es gebe viele Menschen mit geringer Rente. „Sie haben wohl den Eindruck: „Wir kriegen nix und für die Flüchtlinge ist viel Geld da““, mutmaßt Bernreiter."

    www.welt.de/politi...chen-eroberte.html

  • Bundeskanzlerin Merkel am 15.9.2015: "Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen, dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land." Daran übrigens hält sich Merkel bis heute.

    Und ja, inzwischen hat diese Große Koalition bei Neuwahlen weniger als die Hälfte der Wahlstimmen.

    "Merkel muss weg!" ist der Schlachtruf der Rechten. Wer immer Angela Merkel im Bundeskanzleramt nachfolgt. Sozialpolitisch und menschenrechtlich wird es "nach Merkel" schlechter werden.

    • @Der Alleswisser:

      "Daran übrigens hält sich Merkel bis heute."

      Evtl. sind Ihnen die Beschlüsse des EU Gipfels im Juni entgangen. Dort wurde auch von Frau Merkel die Politik der Rechten zur offiziellen Politik der EU erklärt.

      Und natürlich muss Frau Merkel weg. Nicht weil sie vor ein paar Jahren einige Flüchtlinge ins Land gelassen hat, sondern weil sie unfähig ist eine Politik in diesem Land zu machen, die Rechte aufhalten kann. Ihr Aussitzen, Verzögern und Klein-Klein gefährdet die Demokratie.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Der Alleswisser:

      Sischer. Sischer.

      Aber nur dann, wenn ständig nur gejammert wird und die Entpolitisierung unter Merkel mit Politik verwechselt wird.

      Ethymologisches Wörterbuch hilft - auch hier.

      Wissen Sie, warum die Dummen herrschen? Weil die angeblich Klugen schweigen.

  • " Wie kann eine Große Koalition, eigentlich Inbegriff von Stabilität und etwas langweiligem geräuschlosem Regieren, wegen einer solchen Nebensächlichkeit an den Rand des Scheiterns geraten?"

    Andrea Nahles hat im Wahlkampf und auch kurz nach der Wahl gesagt, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Union nicht mehr möglich ist. Wie man sieht hatte sie Recht. Ihr großes Geheimnis bleibt, was sie dazu gebracht hat, zwischendurch immer wieder das Gegenteil anzunehmen. Tatsächlich ist es unmöglich, mit der derzeitigen Führung der Union vernünftige Regierungsarbeit zu leisten. Dazu muss man nicht mal auf den aktuellen Streit schauen. Ein Blick auf den "Wohnungsgipfel" reicht.