Kommentar Konflikt in der Türkei: Zum Nutzen der Hardliner
Mit Härte geht Erdoğan gegen die PKK vor, die ihrerseits voll auf Gewalt setzt. Die demokratische HDP droht dazwischen zerrieben zu werden.
I nnerhalb der letzten sechs Wochen ist die Türkei ein anderes Land geworden. Hunderte Tote, Soldaten und Polizisten, PKK-Guerilleros und dutzende Zivilisten haben das Land verändert. Im Osten herrscht de facto das Kriegsrecht und im Westen steht das Land am Rande eines Bürgerkriegs.
Wir wissen, was der türkischen Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit diesem neuerlichen Gewaltausbruch bezweckt. Er hofft damit die kurdisch-linke Demokratische Partei der Völker, HDP, bei den von ihm selbst erzwungenen Neuwahlen am 1. November wieder unter die Zehnprozenthürde drücken zu können. Dadurch soll seine AKP wieder die absolute Mehrheit erhalten und womöglich in der Lage sein, eine Verfassungsänderung durchzusetzen, die Erdoğan als Präsident auch die exekutive Gewalt zubilligt.
Diese Strategie ist vielfach beschrieben und kritisiert worden. Doch Erdoğan führt diesen Krieg nicht allein. Jeden Tag greift die PKK irgendwo im Land Militär oder Polizei an. Mit der Tötung von über 30 Soldaten und Polizisten allein an zwei Tagen zu Beginn dieser Woche konnte sie ihren größten militärischen „Erfolg“ seit dem Höhepunkt des Konflikts 1993 verzeichnen.
Doch was will die PKK damit erreichen?
Den Anlass gegeben
Der Beginn der neuerlichen Kampfhandlungen zwischen PKK und Armee im Anschluss an den Terrorakt des IS in Suruç am 20. Juli, zeigen, dass die PKK durchaus nicht nur das Opfer der Gewaltstrategie des türkischen Präsidenten ist. Zwei Tage nach dem Terrorakt des IS ermordete sie in einem Nachbarort von Suruç zwei Polizisten nachts in ihrer Wohnung. Erdoğan nahm das zum Anlass, Luftangriffe auf PKK-Stellungen im Nordirak anzuordnen. Aus kurdischen Quellen hieß es, der Mord an den Polizisten sei nicht von der PKK-Führung angeordnet worden, sondern eine Eigenmächtigkeit lokaler Kräfte gewesen.
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Doch die PKK distanzierte sich nicht davon, versuchte nicht, Erdoğans Gewaltstrategie zu unterlaufen, sondern startete im Gegenteil ihrerseits eine Militärkampagne, deren Intensität und Erfolge zwingend nahelegen, dass sie lange im Voraus vorbereitet wurde.
Aber mit welchem Ziel? Ist der PKK der Erfolg in Kobani, wie jetzt von manchen Beobachtern gemutmaßt wird, tatsächlich so zu Kopf gestiegen, dass sie glaubt, nach dem IS auch die türkische Armee in den kurdisch besiedelten Gebieten im Südosten der Türkei militärisch besiegen zu können? Das ist schwer zu glauben, denn 30 Jahre bewaffneter Kampf haben sowohl der PKK-Führung als auch der türkischen Armee schmerzhaft gezeigt, dass es eine militärische Lösung in dem Konflikt nicht geben wird.
Eigenes politisches Ziel
Das lässt nur den Schluss zu, dass die PKK mit ihrer Militärkampagne, genauso wie Erdoğan auch, ein politisches Ziel verfolgt. In der offiziellen Propaganda wird die HDP mit der PKK mehr oder weniger gleichgesetzt. Sie sei Fleisch vom Fleische der PKK, nichts anderes als der politische Arm der „Terrororganisation“. Doch nichts ist falscher als diese Propaganda.
Natürlich gibt es personelle und ideologische Verflechtungen zwischen der HDP und der PKK, doch die HDP steht für einen eigenen, anderen Weg zur Lösung der kurdischen Frage, als ihn die PKK 30 Jahre gegangen ist. Gerade mit der Abkehr von der Gewalt und mit dem Versuch, sich als Partei aus dem ethnischen Ghetto zu befreien und als landesweite Linkspartei aufzutreten, hatte die HDP Erfolg.
Dieser Erfolg drohte die PKK in der Türkei überflüssig zu machen. Anders als in Syrien würde sie in einer Türkei, die den ethnischen Konflikt politisch löst, nicht mehr gebraucht. Die HDP ist deshalb gerade nicht der politische Arm der PKK. Sie wird vielmehr zwischen Erdoğans Armee und der PKK im Moment förmlich zerrieben. Das nutzt den Hardlinern auf beiden Seiten.
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