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Kommentar Kommunalwahlen TürkeiTayyip, der Scheinriese

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Nach den Wahlen ist die Türkei zerrissener denn je. Und Erdogan reagiert mit einer polarisierenden Triumphrede. Doch so eindeutig ist der Sieg seiner AKP nicht.

Wird immer kleiner, wenn man genau hinsieht: Recep Tayyip Erdogan. Bild: ap

D ie Türkei hat gewählt – und Erdogan gewonnen. Obwohl der Ministerpräsident bei den Kommunalwahlen am Sonntag nicht selbst zur Wahl stand, ist er der eigentliche Sieger der Abstimmung. Die gesamte Türkei hat den Urnengang als Referendum über Recep Tayyip Erdogan verstanden.

Auf die Türkei kommen jetzt extrem schwierige Zeiten zu. War das Land schon vor der Wahl gespalten, sind die Gräben jetzt zementiert. Hatte Erdogan nach vorangegangenen Wahlen in seinen Dankesreden zumindest noch so getan, als wolle er Premier der gesamten Bevölkerung sein, lieferte er nun um Mitternacht eine scharfe Lagerrede ab. Unverhüllt drohte er den Verlierern, die Chaos verbreitet und das Land verraten hätten.

Die Siegesfanfare hätte Erdogan besser im Schrank gelassen, denn sein Sieg ist keineswegs so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint. Konzentriert hatte sich der Wahlkampf auf die beiden wichtigsten Städte des Landes, Istanbul und Ankara. Glaubt man den offiziellen Zahlen, hat die AKP in Ankara hauchdünn und in Istanbul mit einem Vorsprung von einigen Prozent gewonnen.

Doch beide Städte zeigen vor allem, wie stark die oppositionelle CHP geworden ist. Landesweit liegt die AKP zwar mit 45 gegen 28 Prozent weit vor der oppositionellen CHP, aber mit 43 Prozent in Ankara und 40 Prozent in Istanbul braucht diese sich künftig nicht mehr zu verstecken.

Hinzu kommt, dass die CHP an hunderten Beispielen zeigen kann, dass die AKP in beiden Städten manipuliert hat. So wurde an vielen Stellen versucht, vorfabrizierte Wahlzettel zugunsten der AKP in die Urnen zu schmuggeln. Viele Leute melden Manipulationen an den Wählerregistern und nach den Zahlen, die unabhängige Wahlbeobachter in der Wahlnacht an den Urnen registrierten, ist der Sieg der AKP sehr zweifelhaft.

Land am Abgrund

Doch selbst wenn die Zahlen stimmen sollten: War der Vorteil der AKP bislang, dass die Opposition sich zerfaserte, während die AKP ihre Anhänger geschlossen für sich mobilisieren konnte, stellt man jetzt eine Konzentration der Opposition in den Metropolen und bestimmten Landesteilen fest.

Die AKP hat in ihren anatolischen Hochburgen haushoch gewonnen, aber dasselbe gilt für die Opposition. Die CHP gewinnt den Westen des Landes, die Städte an der Ägäis mit Izmir als Zentrum genauso haushoch, wie die AKP Konya und Kayseri in Zentralanatolien. An der östlichen Mittelmeerküste hat sich dagegen die ultranationalistische MHP festgesetzt und die viertgrößte Metropole Adana gewonnen. In den kurdischen Gebieten hat die kurdische BDP alle wichtigen Städte gewonnen.

Diese regionale Teilung des Landes spiegelt sich auch in Istanbul wieder. Die wichtigste Metropole des Landes ist bereits scharf segregiert. In den säkularen Hochburgen Istanbuls hat die CHP teilweise mit 60 Prozent und mehr gewonnen, während die AKP ihre Gewinne auch nur in ihren Hochburgen eingefahren hat. Mit anderen Worten: Die Stadtteile, in denen konservativ-religiöse und säkulare Menschen Tür an Tür leben, werden immer weniger.

Erdogan hat das Land extrem gespalten und scheint umso mehr entschlossen, auf diesem Weg weiter zu gehen, wenn seine Macht infrage gestellt wird. Kein Wort von Versöhnung, stattdessen Drohungen an seine Gegner. Auch wenn Erdogan trotz Korruptionsvorwürfen, trotz der von ihm verantworteten Polizeigewalt gegen jugendliche Demonstranten es mit seinen kruden Verschwörungstheorien geschafft hat, seine Anhänger noch stärker auf sich selbst einzuschwören: Erdogan ist ein Scheinriese und die Türkei wird mehr und mehr zu einem Land am Abgrund.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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11 Kommentare

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  • Hier eine Analyse der Frage wieso die Popularität der AKP bei den türkischen Wählern unter den Protesten und Skandalen kaum gelitten zu haben scheint: http://politischer-spielraum.de/?p=609

  • Das türkische Fernsehen ist komplett in AKP Hand. Kritische Sender wie Ulusal Kanal werden massiv unterdrückt, erhalten Geldstrafen eine nach der anderen. Kritische Journalisten, Militärs, Juristen, alles was gegen ihn ist, ließ er verhaften und inhaftieren. Die obersten Richter unterstehen seiner Gnade. Die türkische Verfassung wurde durch seine Reformen undemokratischer. Die Gewaltenteilung war in der Verfassung zuvor vorbildhaft. Sogar Ehe-Frauen wollte er vorschreiben 3 Kinder kriegen zu müssen, was er aufgrund der Proteste der CHP (die du Faschisten nennst) nicht durchbrachte. Youtube- und Twitterverbot. Das Atatürk Erbe - und ohne den würde es die Türkei nicht geben - will er gezielt beseitigen. Die Protestler und die mit Atatürk-Fahnen rumlaufen nennst du Faschisten -pfffff. Keine Ahnung was du für ein Bild von Faschisten hast.

    http://www.youtube.com/watch?v=SRPlZLx-PgU

    Hier ein Video von einem den du Faschist nennst:

    http://www.youtube.com/watch?v=BgW4VYdEiic

    Das hier ist wohl faschistisch und das geht von Erdogan und seiner Polizei aus:

    http://www.youtube.com/watch?v=XY1fJAQCTcQ

    Die Prostler sind für dich auch Faschisten, wie?

    http://www.youtube.com/watch?v=4uBXi0pd6Uo

  • die pauschalisierungen eines herrn gottschlich sind schon bemerkenswert.

    dass er zwischen "konservativ-religiösen" und "säkularen" so klar nach dem stimmverhalten unterscheiden kann, ist überdies bemerkenswert.

  • Das Ergebnis der AKP ist zweifellos weitgehend "getürkt". Dass Erdogan die Türkei gespalten hat, ist unzutreffend. Dabei wird ja unterstellt, es hätte vorher eine einheitliche Interessenlage aller Türken gegeben. Das war tatsächlich nie der Fall. Erdogan hat es aber immer vortrefflich verstanden, einen Bogen zwischen den völlig unterschiedlichen Welten in den Zentren und auf dem Land zu schlagen. Dazu instrumentalisiert er konsequent den Glauben seiner Landleute. Dieses Konzept finden wir auch seit Jahrzehnten 1 : 1 bei der Union in der BRD. Darunter findet sich hier wie dort ein Geflecht aus mehr oder weniger offener Korruption.

  • Die Leute in der Türkei unabhängig von Ihrer ethnischen Herkunft (Kurden, Türken, Araber, etc.) haben für die Zukunft entschieden.

     

    Ich bin froh, dass die faschistischer Front in der Türkei (darunter CHP sogenannte "Sozialdemokraten", MHP sogenannte "grau Wölfe", Links-Faschisten) eine Niederlage erfahren haben.

     

    Herr Gottschlich, nicht vergessen, dass die graue Wölfe in Istanbul und in Ankara CHP unterstützt hat.

     

    Was für eine sture Blindheit zu schreiben, dass der Sieg von AKP kein eindeutiger Sieg ist. Herr Gottschlich, Sie wollen immer vergessen und und versuchen, Ihre Leser zu manupulieren. Die AKP hat 6% mehr Stimmen bekommen als in der letzten Komunalwahlen 2009!

  • Erstaunlich, wie sehr die Türkei doch Bayern ähnelt: Bei den ersten Wahlen nach der Amigo-Affäre (remenber? 1993) erzielte die CSU wie gewohnt ein super Ergebnis, und dass sich zumindest der frühe Franz Josef Strauß in seinem Demokratieverständnis von Tayyip Erdogan eher wenig unterschied, dürfte beim bloßen Vergleich der seinerzeit gegen die Demonstranen von Wackersdorf bzw. auf dem Taksim-Platz verübten Staats-Gewalt mehr als deutlich werden. In geschätzten zwanzig Jahren dürfte folglich auch die AKP eine halbwegs demokratische Partei sein, die überlegt, mit den Grünen zu koalieren, nur Jeduld!

    Peter Kultzen, Berlin

  • Auch sollte man nicht übersehen, dass die 3 im nationalen Parlament vertretenen Oppositionsparteien zusammen erheblich mehr Stimmen auf sich vereinen konnten als die AKP. Bei so einer Verteilung der Wählerstimmen bei nationalen Parlamentswahlen hätte die AKP ihre parlamentarische Mehrheit eindeutig an die Oppositionsparteien verloren.

    Da diese Abstimmung in einer polarisierten Atmosphäre zu einer Abstimmung über Erdogan wurde, sollte man das Ergebnis nicht mit der Kommunalwahl von 2009.sondern mit der Parlamentswahl von 2011 vergleichen. Erdogan hat eindeutig nicht mehr die Mehrheit der Wähler hinter sich. Die AKP jubelt zu früh.

    • @vulkansturm:

      Schade, dass einige Menschen in Deutschland ein Unterstützer für faschistische Parteien geworden sind: Das erste aktuelle Beispiel Ukraine (die Faschisten unter den regierenden Parteien), und das zweite Beispiel Türkei (faschistische graue Wölfe (MHP und neue NAZI-Bewegung CHP).

      • @Our Fairness:

        Das Label "Faschist" könnten Sie genau so auch auf Erdogan oder Putin anwenden. Was meinen Sie, wen das türkische Brudervolk der Krimtataren als "faschsistisch ansieht? Doch wohl eher Erdogans Vorbild Putin, dessen "gelemkte Demokratie" Erdogan nachahmt.

        Zu der Zeit der von Ihnen als "faschistisch" eingestuften Kemalisten gab es zumindest noch regelmässige Machtablösungen durch wechselnde Koalitionsregierungen. Seit Erdogans Machtübernahme gibt es eine Ein-Parteien-Diktatur, die den demokratischen Rechtsstaat Schritt für Schritt abbaut und in totalitärer Weise alle gesellschaftlichen Institutionen unter ihre Kontrolle bringt, Polizei, Justiz, Medien, Militär und Interne,

        Erdogan will die umfassende Kontrolle. Die Berichte über Wahlmanipulationen lassen befürchten, dass er es auch nicht mehr zulassen wird, dass die AKP demokratisch abgewählt werden kann.

        • @vulkansturm:

          Putin hat in seiner Ukraine und Krim-Politik 100% Recht. Sie sollten bitte Doppelmoral von der EUR und den USA hier kommentieren.

           

          Sie wisen kaum etwas über die politische Geshichte der Türkei. Sie schreiben und denken genauso wie Ultranationalisten / Faschisten. Diese Gruppen behaupten auch, dass die Militärdiktatrzeit in der Türkei besser wäre als die AKP-Zeit! Das ist eine politische Alzheimerkrankheit.

           

          Meinen Sie, dass es in Deutschland keine Kontrolle gibt ud alle demokratische Institutionen funktionieren? Der Unterschied zu der Türkei, dass der deutsche Staat klügere Methoden verwendet.

          • @Our Fairness:

            " Doppelmoral von der EUR und den USA hier kommentieren."

            Und dann für Erdogan eintreten? Irgendwie unlogisch! Erdogan ist das liebste Kind der USA! Sein wirtschaftlicher Erfolg fußt auf den massiven Auslandsinverstitionen, auch durch die USA. Erdogan hat ja schon 2x versucht, die Nato über einen Natobündnissfall in einen Syrienkrieg zu reißen. Ob das nicht die Interessenslage der USA ist? Einmal nach dem Terroranschlag von Reyhanli der eben nicht von Assad verübt wurde, sondern von Al Nusra, die mit der türkischen Regierung in Verbindung stehen - siehe Red Hack leak. Danach hat er zum Krieg gegen Syrien aufgerufen, alles dokumentiert, Reuters und Co. Und zuletzt das geleakte Gespräch, wo er offen Kriegsgründe gegen Syrien erfinden will um die Nato in einen Krieg zu involvieren. Das sollen keine USA Interessen sein? An der türkischen Grenze versorgt er die bärtigen Islamisten mit Zeltlagern und Verpfelgung. Ein anderes geleaktes Video offenbarte, dass sein Sohn in engen Verbindungen zu einem bekannten Al Quaida Finanzier steht. Zudem wurde die AKP mit massiver Hilfe von Fetullah Gülen (ein ehemaliger Terrorist heute "Philosoph") aus den USA gegründet und aufgebaut. USA Diplomaten, Hillary und Co sind und waren quasi Dauergast in der Türkei.

            Erdogan ist ja wohl die USA Puppe schlechthin - nicht umsonst haben ihm die USA das Tränengas geliefert mit dem er auf sein Volk losging - wie übrigens seinerzeit auch in Ägypten (USA Tränengas) wo sogar Menschen daran starben. Nicht umsonst hat sich Erdogan als Fan Mursis geoutet, der ja mit seiner Muslimbruderschaft auch als Präsident von den USA gefördert wurde.