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Kommentar Koalition in Rheinland-PfalzDie kleine grüne Lebenslüge

Kommentar von Martin Reeh

Die Grünen sind für den Export deutscher Produkte – wenn diese ökologisch sind. Mehr Straßen zu fordern, überlassen sie anderen.

Im Mittelrheintal fehlen Brücken – zum Glück Foto: Imago/Hans Blossey

D ie Grünen haben sich mit einer kleinen Lebenslüge durch ihre letzten Wahlkämpfe geschummelt. Wachstum und Ökologie seien miteinander vereinbar, wenn man Energie mit Sonne und Wind erzeuge und Autos mit ökologisch erzeugtem Brennstoff fahren lasse. Die grüne Mainzer Wirtschaftsministerin Eveline Lemke verteidigte stets die hohe Exportquote ihres Bundeslandes von 54 Prozent. Was sei falsch daran, wenn China deutsche Umwelttechnologie kaufe, hat sie auf Einwände gerne gefragt.

Wenig, müsste man antworten. Außer: Export braucht Infrastruktur. Flughäfen, Bahntrassen, Straßen, Häfen. Selbst wenn der gesamte Strom mit Wind- und Solarkraft erzeugt wird und der Verkehr nicht mit fossilen Brennstoffen läuft, zerschneiden Verkehrstrassen die Landschaft. Das bringt Lärm und Tote mit sich. Ohne eine Abwägung, ob mehr Mobilität oder mehr Anwohnerschutz wichtiger ist, geht es nicht. Der EU-Binnenmarkt hat die Verkehrsströme in Europa erheblich verstärkt.

Die Grünen haben es sich einfach gemacht: Sie setzen sich für den Export von Ökoprodukten ein, überlassen die Forderung nach mehr Straßen aber CDU, SPD und FDP. Infrastrukturprojekte wurden zu Knackpunkten in Koalitionsverhandlungen: in Berlin (A100), Baden-Württemberg (Stuttgart21), Rheinland-Pfalz. Dort bekamen die Grünen 2011 Ministerien und Windräder, trugen aber das SPD-Herzensprojekt Hochmoselbrücke mit.

Pro Legislaturperiode eine Großbrücke – das könnte der Preis sein, den die Grünen für ihre Regierungsbeteiligung in Mainz zahlen. 2011 hatten sie es in den Koalitionsverhandlungen immerhin geschafft, ein zweites SPD-Projekt auf die lange Bank zu schieben: eine Brücke über den Rhein unweit der Loreley.

Welterbe als Wirtschaftshemmnis

Im von der Unesco zum Welterbe erklärten Mittelrheintal ballen sich wie sonst kaum in Deutschland die Konflikte zwischen Ökonomie, Umwelt und Verkehr: Durch das Tal führt auf beiden Flussseiten eine der am stärksten befahrenen Bahnstrecken Europas, wichtig vor allem für den Güterverkehr. Die Züge rauben Anwohnern und Touristen den Schlaf, die Hotels leiden unter dem Sinken der Übernachtungszahlen. Die Bahn verspricht leisere Güterwagen, dafür könnte die Zugfrequenz zunehmen, wenn der Gotthard-Basistunnel Ende 2016 eröffnet.

Pro Legislaturperiode eine Großbrücke – das könnte der Preis sein, den die Grünen für ihre Regierungsbeteiligung in Mainz zahlen

Die Kommunen beklagen, dass eine Rheinbrücke fehlt, Unternehmen würden sich deshalb kaum ansiedeln. Zwischen Koblenz und Mainz führen derzeit nur Fähren über den Fluss. Dazu kommt das Problem mit den Windrädern: Wegen des Weltkulturerbestatus dürfen hier keine gebaut werden – noch eine Einnahmequelle, die den Kommunen fehlt.

Nun steht das Thema wieder bei den Koalitionsverhandlungen auf der Tagesordnung. Die SPD drängt, mehr noch die FDP. Wie die Sache ausgeht, ließ sich schon im Januar in Bingen besichtigen, bei einer Debatte des Bundesverbands Mittelständische Industrie mit den Spitzenkandidaten der Parteien. Veranstaltungsort: Löwen Entertainment, ein Spielautomatenhersteller, der die Einzelteile seiner Geräte aus Osteuropa herankarrt, um sie am Rhein zusammenzuschrauben.

taz.am wochenende

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FDP-Spitzenkandidat Volker Wissing beschuldigte in Bingen die Grünen, Autofahrer als pädagogische Maßnahme im Stau stehen zu lassen, damit sie nicht mehr den Pkw benutzen. Lemke blieb defensiv. Von Wissing zur Hochmoselbrücke befragt, antwortete sie, der Bau sei im Rahmen des Interessenausgleichs innerhalb der Koalition beschlossen worden: „Wenn ich die Brücke nicht gewollt hätte, wäre sie nicht gebaut worden.“

So könnte es 2016 ähnlich wie 2011 ausgehen: Die geschwächten Grünen bekommen ein paar Windräder, FDP und SPD ihre Brücke. Ein Wachstumsprogramm für alle. Umweltinteressen, die nicht in Geld umzusetzen sind, fallen unter den Tisch. Spätestens wenn das letzte Windrad gebaut ist, werden die Grünen noch einmal über die Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie diskutieren müssen.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.
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21 Kommentare

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  • Steht doch im Artikel sehr deutlich, wo das grüne Problem liegt.

    "Veranstaltungsort: Löwen Entertainment, ein Spielautomatenhersteller, der die Einzelteile seiner Geräte aus Osteuropa herankarrt, um sie am Rhein zusammenzuschrauben."

     

    Man muss sich mal vorstellen, wie wir aussehen würden, wenn ökologisch wertvolle Kleinteile von Spielautomaten nicht in dem vorbildlich ökologischen China produziert werden könnten.

    Und überhaupt! Sind wir überhaupt überlebensfähig ohne Spielautomaten?

    Sowas kann sich kaum ein Grüner vorstellen.

     

    Kurzum:

    Solange die Grünen in Ihrer Blödheit nicht mehr die Systemfrage stellen, ob um Profit und Wachstum desselben zu erzeugen, jeder Mist produziert werden muss, braucht man sich auch nicht wundern, wenn dafür mehr und mehr Natur drauf geht.

  • Es glaubt einem fast niemand, dass es im Rheintal über eine Strecke von ca. 90 km keine feste Flussüberquerung gibt.

     

    Wie gesagt: In Mainz gibt es Brücken (zwischen zwei Bundesländern) und dann erst wieder in Koblenz.

     

    Kurzzeitig gab es im 20. Jh. auch mal eine Eisenbahnbrücke zwischen Bingen und Rüdesheim.

  • Die Gruenen haben schon genuegend Stimmen verloren. Vermutlich auch, weil sie sich gegenbdiese Bruecken nicht durchgesetzt haben. Geschickter waere es, im Wahlkampf die Schliessung vin fuenf Bruecken zu fordern, und dann eine schwarze Null herauszuhandeln(?)

    Aber ddas Problem sind ja mehr die Autos als die Bruecken.

    Fuer eine bestimmte Exportmenge reichen die existierenden Strassen allemal.

  • Das Problem der Gruenen ist, dass sie mittlerweile von der CDU oekologisch ueberholt werden. Wo liegt eigentlich noch der Markenkern der Gruenen?

    • @Sven :

      Solche "Meinungsäußerungen" liest man ja immer wieder, Begründungen/Argumente wie immer Fehlanzeige...

       

      Die CDU versteht vielleicht was von schwarzen Kassen - ökologisch? die wissen ja nichtmal wie man das buchstabiert.

    • @Sven :

      Bei S21. Seit die Grünen eine Proler-Partei sind, dürfen sie sogar im Schländle regieren.

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        was ist denn bitteschön eine Proler-Partei?

  • Herr Reeh,

     

    sie sitzen einem Ammenmärchen auf, gemäß dem wir vor allem mehr Straßen bräuchten - und weil die Grünen auf diese Märchen nicht hereinfallen werden Sie von Ihnen der Lüge bezichtigt.

     

    Was wir brauchen sind zukunftsfähige Verkehrskonzepte, vielleicht beschäftigen Sie sich mal damit - aber bitte erst mal informieren und dann schreiben.

  • Wie wäre es denn mit einem Tunnel?

     

    Sollte doch nicht so schwierig sein einen Fluss zu untertunneln? OK, teurer aber so ist das nun einmal mit dem Umweltschutz.

    • @Klappstuhl:

      "Eine Tunnel-Lösung verursacht in etwa gleich hohe Kosten wie eine Fährverbindung und deutlich höhere Kosten als eine Brücken-Lösung. Zudem bedarf sie einer zusätzlichen Lösung für Fußgänger und Radfahrer mittels Shuttlebus oder Personenfähre, was die Akzeptanz und Nutzbarkeit einschränkt. Sie ist straßenverkehrlich als annähernd

      gleichwertig einer Brücken-Lösung einzustufen, verursacht jedoch an den Portalen und den Zubringerstrecken zwischen den Portalen und der B 9 bzw. der B 42 in einem engen und bestehenden städtebaulichen Umfeld gravierende Belastungen, für die keine Ausgleichsmöglichkeiten außer passivem Schallschutz erkennbar sind."

       

      aus http://www.loreleyinfo.de/gutachten/ISB-RWTH-Aachen/verkehrliches-gutachten.pdf

    • @Klappstuhl:

      Tunnel wäre viel, viel teurer, Abgesehen davon ist es garnicht so leicht, einen Fluss zu untertunneln. Da kann eine Menge schifgehen, woraufhin das Projekt noch viel teurer wird..

      • @Gerald Müller:

        Das ist nun einmal der Preis welchen man bezahlen muss um gleichzeitig UNESCO Weltkulturerbe und Verkehrsknotenpunkt zu sein.

         

        >Abgesehen davon ist es garnicht so leicht, einen Fluss zu untertunneln.

         

        So ziemlich jede Großstadt hat einen Flusstunnel, manch einer behauptet sogar es gäbe einen unterm Ärmelkanal...

      • @Gerald Müller:

        Es gibt längst neue Technologien, mit denen sich Unterwassertunnel vergleichsweise effizient bauen lassen. Billiger als S21 allemal.

  • Lieber Herr Reeh, ich gehe davon aus, dass Sie nur heute ausnahmsweise den Computer benutzt haben um den Artikel zu schreiben, ansonsten aber wohl als autonomer Selbstversorger in den weiten Wäldern um Berlin leben.

    Wir anderen müssen leider, wie die Grünen Kompromisse machen um unseren verschwenderischen und komfortablen Lebensstil wenigstens so ökologisch wie möglich zu gestalten. Bei mir z. B. wird mein PC mit "grünem" Strom betrieben, mein Auto ist zwei Nummern kleiner und sparsamer als mein Geldbeutel es erlauben würde etc. etc.

    Grüße aus dem hoffentlich bald "Grün / Schwarz" regierten Schwabenland

    P.s. Falls Sie eine Idee haben wie wir auf demokratischem Weg unsere Gesellschaft 100 % ökologisch umgestalten können, ohne Kompromise mit Andersdenkenden und unseren Komfortansprüchen machen zu müssen, teilen Sie uns diese bitte umgehend mit.

    • @Fridolin:

      Grüner Strom? Wird der im Urwald mittels Fahrraddynamo und Muskelkraft erzeugt?

       

      Es gibt keinen grünen Strom. Sonnen- und Windstrom sind eine ökologische Augenwischerei. Über die Auswirkungen der summierten Veränderungen örtlicher Mikroklimata PLUS Auswirkungen auf Grundwasserkreislauf PLUS Produktion & Entsorgung sind noch völlig ungeklärt, nur eines ist sicher: Sie werden, wie immer, ignoriert bis man sie nicht mehr ignorieren kann.

       

      Übrigens: Einst war Atomenergie die "saubere" Energie, sie löste alle Versorgungsprobleme der Welt usw usf. Davor versprach man uns ähnliches vom Verbrennungsmotor und davor von der Dampfmaschine.

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        "Es gibt keinen grünen Strom."

        Mag ja sein. Aber es gibt Strom, der allemal grüner ist als der von Vattenfall und Kollegen verkaufte Dreck, dessen Abfälle uns heute schon bis Oberkante Unterlippe stehen.

        Bitte nenne Sie auch die Quellen über die, die "uns" Verbrennungsmotoren und Dampfmaschine als "saubere Energie" versprachen.

  • Dieser Kommentar ist nichts als zynisch.

    Grüne können über die Parlamente kaum was erreichen.

    Er zeigt, wie es in Deutschland aussieht, nicht, welche Möglichkeiten die Bürger haben, wenn sie ein Weltkulturerbe erhalten wollen: Petitionen, Unterschriftensammlungen Demonstrationen. Oder, wie wir es in den 70ern taten: gewaltfreie Aktionen: Sit-Ins, Sleep-Ins, Go-Ins und Musikfestivals.

    • @Johannes Spark:

      In den Parlamenten sitzen keine Grünen, sondern "Realos".

    • @Johannes Spark:

      Und offensichtlich scheint einem Großteil der Bürger eine vernünftige Infrastruktur und eine funktionierende Wirtschaft wichtiger zu sein.

      • @Thomas_Ba_Wü:

        Den Ignoranten, ja.

        • 5G
          571 (Profil gelöscht)
          @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

          Unglaublich, wie sträflich einfach es sich manch gescheiter Mensch macht...