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Kommentar Koalition gegen ISTürkei marschiert ins Abseits

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Die Türkei will bei der Koalition gegen die Terrormiliz IS pro forma dabei sein. Dennoch schließt der Frontstaat jede militärische Hilfe aus.

Während am Montag die Anti-IS-Koalition in Paris tagte, besuchte Erdogan lieber den Emir von Katar. Bild: dpa

D er Kampf einer internationalen Koalition gegen die Terrortruppe des Islamischen Staates (IS) rückt näher, doch einer der wichtigsten Frontstaaten, die Türkei, wird nicht dabei sein. Zwar erklärte die Türkei während des Nato-Gipfels in Wales pro forma, sie werde bei der Anti-IS-Koalition dabei sein, tatsächlich schließt sie aber jede militärische Hilfe aus. Das geht so weit, dass die USA ihre Luftwaffenairbase in Incirlik in der Südtürkei – geografisch der den IS-Hochburgen in Syrien und im Irak nächstgelegene US-Stützpunkt – nicht benutzen dürfen.

Die Haltung von Präsident Tayyip Erdogan und seiner Regierung hat die Obama-Administration zutiefst frustriert. Die New York Times veröffentlichte am Wochenende eine Recherche über die Ölverkäufe von IS in der Türkei, und der frühere US-Botschafter in Ankara, Francis Ricciardone, ätzte im Wall Street Journal über den „sogenannten Verbündeten“, der trotz amerikanischer Warnungen mit Geld und Waffenlieferungen die islamistischen Terrortruppen in Syrien erst mit groß gemacht habe.

Offiziell verweist die türkische Regierung als Grund für ihre Zurückhaltung immer auf die Geiseln, die IS seit der Stürmung des türkischen Konsulats in Mossul in ihrer Gewalt hat. Doch der eigentliche Grund geht tiefer. Während am Montag die Anti-IS-Koalition in Paris tagte, besuchte Erdogan stattdessen am gleichen Tag den Emir von Katar.

Beide Staaten gelten als Unterstützer der Islamisten, um mit deren Hilfe ihren Einfluss im Nahen Osten auszubauen. Nachdem Erdogans eigentliche Verbündete, die Muslimbrüder, sowohl in Ägypten als auch in Syrien scheiterten, fällt es dem türkischen Präsidenten nun erkennbar schwer, sein gefährliches Spiel mit IS zu beenden. Unter Erdogan ist die Türkei deshalb dabei, sich vom Westen zu verabschieden.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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7 Kommentare

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  • Die Türkei spielt in der Tat ein gefährliches Spiel. Der Traum von Erdogan, sich an der Spitze eines zukünftigen islamischen Staat oder mindestens eines sunnitisch islamischen Staatesals Osmanisches Reiches zu setzen hat ihn soweit verblendet, dass er sogar nicht mehr davor zurückschreckt halb offen mit terroristischen Oragnisationen wie ISIS zu kooperieren. Die Türkei weigert sich weiterhin die ISIS auf der Terrorliste unter dem scheinheiligen Vorwand, dass die ISIS türkische Geiseln genommen hat und dass die Türkei Ihr Leben nicht aufsspiel setzen will, (Als ob die Türkei ein demokratisches Land wäre und die Menschenrechte achten würde. Im Vergleich dazu, hat die Türkei seit 2003 ständig, ihre wirtschaftliche Beziehungen zum Irak aufgebaut, obwohl zig türkische Fahrer von Zarqawi terrorgruppe, der vorgänge von ISIS, entführt und später enthauptet worden.) aufzusetzen Dass die Türkei Erdöl und Erdgas von ISIS kauft ist kein Geheimnis mehr. Mindestens 8 von den verletzten Anführern der ISIS werden in Urfa auf Kosten der türkischen Regierung medizinisch behandelt. T-Shirt auf denen das Emblem der ISIS abgedrückt ist, werden in der Türkei verkauft. Dieses Zusammenkommen mit dem Emir von Katar genau an dem Tag, an dem 29 Staaten in Paris zusammen kommen um eine Strategie gegen die ISIS zu entwickeln, hat nur eine Bedeutung. Die Türkei und Katar sind endgültig auf seitens der Terroristen übergegangen und sollten auch deswegen geächtet werden.

  • D
    D.J.

    "Auch ist die Türkei nicht gewillt, die Minderheit Turkmenen als Zielscheibe für die IS-Miliz zur Verfügung zu stellen."

     

    Das genau ist die Definition für Nationalismus: Und scheren zuallererst die uns ethnisch nahen. Tipp: Sie werden Terroristen nicht durch Zugeständnisse oder Leisetreterei aufhalten. Haben die türk. Politiker das nicht immer in Zusammenhang mit der PKK gesagt?

  • Guter Artikel! Die Türkei manövriert sich mehr ins außenpolitische Abseits. Die Feindschaft zu Assad hat zur Billigung der Durchreise und so zur Unterstützung von Djihadisten aus aller Welt geführt und das jetzige Zögern spricht Bände. Dass ein guter Teil der Ölgeschäfte, mit denen sich die ISIS finanziert, über die Türkei abgewickelt wird, kommt hinzu.

    Genau genommen, gehören die Saudis, Katar, Türkei zu den Ländern, die den Aufstieg der ISIS zumindest begünstigt haben, wenn nicht sogar mehr.

  • haben sie auch beweise für den kauf von öl seitens der türkei von dem IS? Oder ist dies wieder einer der Manöver der Grossmächte um ihre Interessen durchzusetzen? Die IS haben in den letzten Monaten mehrere Geiseln geköpft! In ihren Händen befinden sich 49 türkische Geiseln. Die Opposition in der Türkei wartet nur wie die Geier auf die ersten Hinrichtungen um Erdogan u seine Regierung in Beschuss zu nehmen. Warum nimmt Deutschland nicht an der Militäroffensive teil, da sie doch weit weniger zu befürchten hat wie die Türkei?

  • Ist es wirklich wahr, dass die Türkei sich vom Westen verabschiedet. Oder ist es doch eine pragmatische Politik der Türkei, die alles versucht, Ihr Land nicht ins Chaos zu stürzen. Exkurs: Der Philosoph Bernard-Henri Lévy, hatte vor. ca. 2 Jahren den französischen Präsidenten Hollande dazu gedrängt, die Führung der Anti-Esad Koalition zu übernehmen. Für Ihn war der Esad ein Papiertiger u. würde im Gegensatz zum Ex-Diktator Gaddafi, sich nicht lange halten können. Es sind jetzt mehr als 2 Jahre vergangen, der Krieg tobt in Syrien, mehrere Hundertausende Tote sind zu beklagen u. Esad ist immer noch an der Macht. Es ist erwiesen, dass Bernard-Henri Lèvy mit seiner Vermutungen daneben lang. Nun aber zurück zur Türkei, die Türkei hat mehr als 1 Million syrische Flüchtlinge im Land + mehrere zehntausende Flüchtlinge aus dem Nordirak. Wenn die Türkei sich aktiv an Anti-IS Koalition beteiligen würde, dann kann jeder sich ein Bild daraus machen, was dann los ist in der Türkei. Soll die Türkei sich um die 1 Million syrische Flüchtlinge kümmern u. Sie im Zaum halten. Weil die Flüchtlinge erbost u. sauer sind, dass die Türkei sich aktiv beteiligt bei der IS-Bekämpfung, die IS die Esad bekämpft. Oder sich darum kümmern, dass die syrischen u. irakischen Flüchtlinge (jesiden) sich nicht gegenseitig die Köpfe einschlagen. Noch dazu sind ca. 50 Konsulatmitarbeiter in Gefangenschaft der IS-Miliz, für die USA u. Großbritannien sind vielleicht Ihre gefangenen Landsmänner nicht wichtig. Aber für die Türkei schon, Sie kann u. will es deren Familien nicht antun, wie ein IS-Miliz einen Konsulatmitarbeiter enthauptet. Noch dazu leben im Nordirak nicht nur jesiden, Araber sondern auch Türken (Turkmenen). Auch ist die Türkei nicht gewillt, die Minderheit Turkmenen als Zielscheibe für die IS-Miliz zur Verfügung zu stellen.

    • @Hüseyin Akdag:

      Des weiteren ist die Türkei NICHT daran interessiert die Kurden zu unterstützen oder am Ende sogar aufzubauen. Dann doch lieber dem IS freie Hand lassen. (Vielleicht kann man dann am Ende in das Menschenleere Kurdistan/den menschenleeren Nordirak gehen und sich das Öl sichern -wurde ja schon häufiger versucht)

      Außerdem sagten (damals noch) ISIS-Kämpfer aus, sie wären in der Türkei ausgebildet worden.

      Kann man alles dazusagen, damit das Bild nicht ganz so einseitig wird.

    • @Hüseyin Akdag:

      "Noch dazu sind ca. 50 Konsulatmitarbeiter in Gefangenschaft der IS-Miliz, für die USA u. Großbritannien sind vielleicht Ihre gefangenen Landsmänner nicht wichtig. Aber für die Türkei schon,...."

      Außer die Landsmänner sind Bauarbeiter, Bergbauarbeiter, Demonstranten, Andersdenkende.

      Ah ja Fussballfans hatte ich vergessen!!!!