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Kommentar Kirche und MissbrauchEhrliche Reue sieht anders aus

Kommentar von Matthias Katsch

Die Aufarbeitung sexueller Gewalt in der katholischen Kirche ist noch nicht gescheitert. Sie hat noch gar nicht richtig begonnen.

Die katholische Kirche hat noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten Foto: ap

Z um vierten Mal stand das Thema sexueller Kindesmissbrauch auf der Agenda eines Katholikentags in Deutschland. Obwohl es bei der Versammlung der katholischen Laienorganisationen in Leipzig einige Veranstaltungen dazu gibt, erscheint sexuelle Gewalt dort vor allem als zu bewältigendes Einzelschicksal. Auch in Leipzig wird so die Chance verpasst, endlich die systematischen Ursachen der zahlreichen Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen, Heimen, Schulen und Pfarreien zu besprechen.

Zur Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Jungen und Mädchen in der Kirche gibt es kein Gesamtbild für Deutschland – und soll es wohl auch nicht geben. Die von den Bischöfen beauftragten Wissenschaftler werden erst im nächsten Jahr erste Berichte vorlegen. Die dabei genutzte Auswertung der von einigen Bistümern zur Verfügung gestellten Akten kann dabei schon jetzt getrost als gescheitert angesehen werden, weil sie, wenig verwunderlich, wenig Neues zu den zentralen Fragen beitragen können.

Wie viele Täter haben in den letzten Jahrzehnten in welchen Einrichtungen wie viele Jungen und Mädchen zu Opfern gemacht, wie groß ist dabei wissenschaftlich plausibel das Dunkelfeld? Wo liegen die Ursachen für die regelrechten Täterkarrieren und die zahlreichen Serientaten? Welche Mechanismen haben an der Verschleierung und dem Verschweigen mitgewirkt? Wer waren die Verantwortlichen? Welche Risikofaktoren lassen sich daraus für die heutigen Institutionen ableiten? Und durch welche Maßnahmen lassen sich diese Risiken reduzieren oder neutralisieren? All diesen Fragen weicht die Katholische Kirche beharrlich aus.

Auch wenn inzwischen flächendeckend Präventionsprogramme ausgerollt werden und das Thema sexuller Kindesmissbrauch damit vordergründig auf der Agenda angekommen ist: Die Ernsthaftigkeit wird zugleich dementiert, wenn Bischöfe, die im Umgang mit übergriffigen und verbrecherisch handelnden Priestern versagt haben, weiterhin im Amt bleiben. Dass in Rom als Verantwortlicher für alle Missbrauchsfälle weltweit ausgerechnet ein Kardinal steht, der in seiner Amtszeit als Bischof von Regensburg alles getan hat, um die Aufarbeitung von Missbrauch zu behindern, ist ein fortdauernder Skandal. Erst nach dem Weggang von Kardinal Müller beginnt dort endlich die überfällige Auseinandersetzung mit dem Missbrauchs- und Gewaltsystem bei den Regensburger Domspatzen.

Es geschah wenig

Andernorts wurden Berichte über Täter und ihre Taten erhoben. Doch über das Zählen der Opfer hinaus geschah wenig. Zum Beispiel um das Verständnis für die eigenen institutionellen Ursachen bei den Jesuitenschulen zu erhöhen, die 2010 Ausgangspunkt der Aufdeckungswelle waren.

Bild: Archiv
Matthias Katsch

war Schüler des Berliner Canisius-Kollegs. Er hat geholfen, an seiner Schule die Wahrheit über sexuellen Missbrauch öffentlich zu machen.

Einrichtungen, die gute, wissenschaftlich fundierte Berichte erstellt haben, wie das Kloster Ettal, tun sich bis heute schwer, diese der Öffentlichkeit zu präsentieren. Wieder anderen Bistümer haben bis heute keine Berichte vorgelegt.

Zur Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Jungen und Mädchen in der Kirche gibt es kein Gesamtbild für Deutschland – und soll es wohl auch nicht geben

Die Frage der Entschädigung wartet immer noch auf eine befriedigende Lösung. Die von den deutschen Bistümern über die Köpfe der Betroffenen hinweg dekretierte „Anerkennungszahlung“ ist es nicht. Die bekannte Intransparenz setzt sich im Antragsverfahren fort. Bis heute muss jede oder jeder, der wissen will, wie viele Opfer sich bei der Kirche gemeldet haben, wie viele eine Anerkennungszahlung aktuell beantragt haben, wie viele Hilfen beantragen, die Zahlen mühsam zusammen klauben.

Die versprochenen schnellen, unbürokratischen Hilfen wurden in Einzelfällen gewährt, die Beteiligung am staatlich organsierten ergänzenden Hilfesystem EHS blieb fast unbekannt und wirkungslos.

Auch in Zukunft aber brauchen die Opfer Hilfen. Dazu muss ein Weg gefunden werden, diese in Anspruch nehmen zu können, ohne unnötig mit der Institution der Täter in Kontakt zu kommen. Vielleicht kann eine Stiftung oder ein Opfergenesungswerk, diese Aufgabe in der Zukunft übernehmen.

Ängstlichkeit und Abwehr

Der Umgang mit den Betroffenen der eigenen Institution ist nicht nur bei der Kirche immer noch von Ängstlichkeit und Abwehr geprägt. Ein offener Austausch wird verweigert. Stattdessen werden die eigenen Anstrengungen für die Prävention hervorgehoben. Eine von den Opfern immer wieder angebotene Einbindung in die kirchlichen Initiativen zum Kinderschutz hat fast gar nicht stattgefunden.

Die Fragen nach den systemischen Ursachen und unangehmen Risikofaktoren werden auch auf dem Katholikentag in Leipzig nur am Rande gestellt, etwa im Alternativprogramm der Laienorganisation Wir sind Kirche: Die Überhöhung des männlichen Priesters und der männerbündische Klerikalismus; die Ausgrenzung und Abwertung der Frauen, die verbal geschätzt werden, aber von aller Macht ausgeschlossenen sind; die leibfeindliche Moral und das dunkle Verständnis von Sexualität, die geradezu zwanghafte Fixierung auf die Sünde im Sexuellen; die durch unlebbare Vorschriften zur Sexualität von Priestern und Laien erzeugte Doppelmoral. Die mangelnde Transparenz bei innerkirchlichen Vorgängen und der Personalauswahl.

Solchen Themen, die Lehre und die Organisationsform der katholischen Kirche betreffen, wollen sich die Verantwortlichen nicht stellen. Damit dementieren sie ihre Beteuerung, man habe aus dem Skandal gelernt und wahlweise „die Opfer“ oder die „Kinder“ stünden nun im Mittelpunkt allen kirchlichen Handelns.

Ehrliche Reue sieht anders aus. Eine wirkliche Entschuldigung bei den Opfern, die von diesen angenommen werden kann, verbunden mit dem Willen zur Wiedergutmachung, hat es nie gegeben. Der sogenannte Bußakt der Bischöfe von 2012 war an Gott gerichtet, nicht an die vor dem Dom in Paderborn versammelten Heimkinder und die zahlreichen Missbrauchsopfer.

Fragen was war

Wirksame Aufarbeitung muss dreierlei leisten: Erheben was war, die Ursachen für das Geschehene offenlegen und den Opfern Anerkennung vermitteln. Alles drei ist bislang bei der Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendlichen in Einrichtungen der katholischen Kirche in Deutschland nicht gelungen.

Die Aufarbeitung sexueller Gewalt in der Kirche ist noch nicht gescheitert, denn sie hat noch gar nicht richtig begonnen. Die vom Staat eingesetzte Unabhängige Aufarbeitungskommission wird sicher wichtige Impulse liefern. Aber die Kirche und ihre Mitglieder müssen es auch selber wollen. Vielleicht beim nächsten Katholikentreffen.

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11 Kommentare

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  • Über "Sex" spricht man in der RKK nicht!

    Igittigitt aber auch!

  • Der bischöfliche Aufklärer Stephan Ackermann erhielt schon 2013 die römisch-katholische Kinder-Sex-Missbrauch-Medaille. In Gottes Namen! http://volkundglauben.blogspot.de/2013/12/der-bischofliche-aufklarer-stephan.html

  • Ach, fast hätte ich es vergessen: wer hier drin http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2012/2013-151a-Ueberarbeitung-Leitlinien_Rahmenordnung-Praevention_Leitlinien.pdf den entscheidenden Breadownpoint (1) findet, ihn mir nennt und einen Tipp abgibt, welchem eigentlichen Zweck die Leitlinien dienen, bekommt das hier http://www.deutsche-klassiker.de/schildkroet/klassischepuppen/exklusivundlimitiert/papstpuppe-im-goldenen-kroenungsgewand.php .

    Versprochen! Hoch und heilig!

     

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick

     

    (1) die Stelle an der ein Konzept zusammen bricht, bzw. sich ins Gegenteil verkehrt

  • Den "Präventionsbeauftragten" gibt es fortan bei der Katholischen Kirche auch mit Diplom http://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/nicht-mehr-nur-als-westliches-problem-abgetan

     

    Was das "e-learning" angeht: bezahlt wurde es ursprünglich vom Bund. Also von uns Allen. Eingefädelt, als Frau Schavan noch für Bildung und Forschung zuständig war und mit am Runden Tisch Kindesmissbrauch saß https://www.jugendhilfeportal.de/fokus/kinderschutz/artikel/ministerin-schaltet-e-learning-angebot-zur-frueherkennung-von-sexuellem-missbrauch-frei/

     

    Jetzt ist die langjährige Vizepräsidentin des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken ja Deutsche Botschafterin im Vatikan.

  • Bei der Aufzählung der systemischen Ursachen, was die Missbrauchskriminalität innerhalb des klerikalen Verantwortungsbereiches angeht, springt uns deren Psychopathologie natürlich sofort an. Schlichtweg ein Fall für auf spezialisierte PsychotherapeutInnen, wie sie selbstverständlich auch die Kirche beschäftigt, z. B. im Recollectiohaus Münsterschwarzach.

    Und wie sie sich in diesen beiden Verbänden organisiert haben http://www.degpt.de und http://www.emdria.de.

     

    Andererseits müssen Übereinkünfte, an denen so lange festgehalten wird, mögen sie neutral betrachtet auch noch so negative Folgen haben, genauso sozial stabilisierende Funktionen erfüllen. Sonst hätte das Kollektiv sie nicht über solch große Zeiträume und so intensiv kultiviert. Und da die christliche Sexualmoral, bei der sich ja die evangelische und katholische im Grunde nur marginal unterscheiden, unsere sexuelle Alltagskultur so sehr geprägt hat, ginge doch die Untersuchung solcher Fragestellungen die Gesellschaft insgesamt etwas an. Nicht nur christlich orientierten Teil davon. Die überemotionalisierten, größtenteils unsachlich geführten, ausufernden Debatten über die Verschärfung des Sexualstrafrechts, über Pornografie und Prostitution, die vor Kurzem erst wieder abflauten, haben uns das doch jüngst wieder vor Augen geführt.

  • Deine Analyse ist wie immer gleichermaßen sachlich und zutreffend Matthias.

     

    Es stellt sich mir nur mehr und mehr die Frage, inwieweit wir von den für soziale Gefüge Verantwortlichen überhaupt die Fähigkeit zur Aufklärung ihrer Missbrauchskriminalität erwarten können. Von Aufarbeitung ganz zu Schweigen. Erst recht, wenn es sich um solche Institutionen wie die, die der Katholischen Kirche angehören handelt, innerhalb derer systematisch vertuscht, geleugnet und in vielen Fällen auch organisiert missbraucht wurde und immer noch wird. Spiritualität und vermeintliche Gemeinnützigkeit hin oder her: wer in unserer Gesellschaft eine Sonderrolle beansprucht, so wie es die beiden christlichen Kirchen immer noch tun, sollte sie sich stets Neue verdienen. Wo das nicht gelingt, müssen staatliche Stellen einspringen, in Vertretung der Allgemeinheit, die sowieso immer säkularer wird.

     

    LG

    Angelika

  • Wer glaubt, die Kirche zeuge Reue oder ist an Aufklärung interessiert, hat den falschen Glauben. Traue keinem Theologen!

    • @Querdenker:

      Wer ist denn "die Kirche"? Soweit ich informiert bin, steht das im Falle der Römisch Katholischen zur Debatte. Wenn es nämlich darum geht, Vorteile zu nehmen oder Macht auszuüben, ist "die Kirche" lediglich deren Klerus. Werden dagegen Verantwortliche gesucht, ducken sich plötzlich oben alle weg und zeigen mit ihren Fingern nach unten. Wenn`s gar nicht mehr anders geht, strecken sie die auch gleich direkt in die Höhe. Gen Cheffe!

    • @Querdenker:

      Es gibt einen Haufen wissenschaftlich arbeitende Theologen, bei denen "trauen" darauf hinausläuft, ihre Einhaltung wissenschaftlicher Abläufe zu überprüfen. Einigen von denen traue ich durchaus.

  • Austreten Leute,konsequent sein und austreten!

    Mehr kann ich nicht sagen ohne grob zu werden.

    • 8G
      87233 (Profil gelöscht)
      @Markus Müller:

      Ja - das ist der erste Schritt. Gleichzeitig jeder Gelegenheit nutzen den Druck auf die Kirch zu erhöhen, endlich eine ehrliche und ernsthafte Aufarbeitung anzugehen. Es darf nicht einfach weitergehen als ob es einen Phänomän war. Menschen leiden unter diese Verbrechen - und es werden mehr Menschen in Zukunft leiden: das dürfen wir nicht hinnehmen.