Kommentar Katarina Barley und die SPD: Die Beste aus einer zerzausten Partei
Katarina Barley wird Spitzenkandidatin für die Europawahl. Sie ist die Richtige für die sieche Partei, doch kommt ihre Kür zur falschen Zeit.
W enn es Katarina Barley nicht geben würde, müsste Andrea Nahles sie erfinden. Was für ein Glücksfall ist die eine für die andere! So klug jedoch die Nominierung Barleys zur SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahlen im kommenden Jahr auch ist, so unpassend hat Nahles den Zeitpunkt ihrer Präsentation gewählt.
Es gehört schon Chuzpe dazu, wenn die Parteivorsitzende nur drei Tage nach der dramatischen Niederlage der SPD bei der Bayernwahl mit strahlendem Gesicht vor die Kameras tritt, um Barley als neue Europahoffnung auszurufen. Kein einziges Wort verlor Nahles über die historische Wahlschlappe. Ganz so, als wäre überhaupt nichts gewesen. Die SPD befindet sich in einem desaströsen Zustand, und die oberste Sozialdemokratin simuliert breit grinsend Normalität. Vorwärts immer, rückwärts nimmer!
Dass dieses unglaublich billige Manöver nicht völlig lächerlich wirkte, lag alleine an der von ihr präsentierten Person: Katarina Barley. Denn ihre Nominierung ist eine, die man der konfusen SPD-Spitze schon gar nicht mehr zugetraut hätte. Immerhin ist sie eine der wenigen Sympathieträgerinnen, die die zerzauste Partei noch besitzt.
Die Parteilinke hat sich selbst einmal als „Allzweckwaffe der SPD“ bezeichnet. Tatsächlich hat die 49-jährige Juristin einen kometenhaften Aufstieg hinter sich: 2013 Bundestagseinzug, 2015 Wahl zur SPD-Generalsekretärin, 2017 Ernennung zur Bundesfamilienministerin, dann auch noch vorübergehend Arbeits- und Sozialministerin und schließlich im März 2018 Übernahme des Justizministeriums. Gerade mal ein halbes Jahr in diesem Amt, bereitet sie sich nun auf ihren Umzug ins EU-Parlament vor. Wie dünn muss die sozialdemokratische Personaldecke inzwischen sein, wenn die Partei Barley in dieser Windeseile immer wieder von einem Job zum anderen springen lässt?
Trotzdem ist ihre Nominierung eine richtige Entscheidung. Schließlich verkörpert die deutsch-britische Doppelstaatlerin im Politischen wie im Privaten die europäische Idee par excellence. Katarina Barley lebt Europa in der Theorie und in der Praxis. In Zeiten, in denen auch in Deutschland das nationalistische Ressentiment wieder erstarkt, propagiert sie ein geeintes, solidarisches und soziales Europa. Sie ist ein Strohhalm, an den sich die SPD noch klammern kann. Als Europäerin weiß sie dabei nur zu gut, dass es für ihre Partei auch noch weiter abwärtsgehen kann.
Zu verhindern, dass die SPD den Weg ihrer Schwesterparteien in Frankreich, Griechenland oder den Niederlanden geht, wird ihr allerdings nicht alleine gelingen können. Dazu braucht die Partei eine radikalere Erneuerung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden