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Kommentar KanzlerInnenkandidaturZu viel der Hochachtung

Lukas Wallraff
Kommentar von Lukas Wallraff

Kann es wirklich niemand besser als Merkel? Warum die Konkurrenzparteien ihre Beißhemmung ihr gegenüber ablegen sollten.

Das sollte jetzt mal ein/e Andere/r machen Foto: dpa

M erkel muss weg. Man will diesen Satz gar nicht mehr schreiben, sagen, kaum noch denken. Alles sträubt sich – selbst jetzt, da die Kanzlerin drauf und dran ist, Helmut Kohls ewigen Amtszeitrekord zu brechen und die Macht der CDU zu zementieren. Man traut sich nicht, Merkel „weg“ zu wünschen. Weil dieser Satz von den ganz Rechten besetzt wurde. Und das ist ein Problem.

Worum geht es in einer Demokratie? Immer auch um die Möglichkeit des Wechsels. Es muss ein legitimes Ziel der Oppositions- und Konkurrenzparteien sein können, die Führungsperson der Regierung abzulösen.

Es ist ganz normal, die Mängel einer Regierung aufzuzählen und daraus zu schließen: Das sollte jetzt mal jemand anderes machen. Und zwar dringend. Wie aber kann man das noch laut und deutlich sagen, wenn dieser Wunsch zu einer herumgebrüllten Hassparole von Rechts verkommen ist?

Schwierig, gewiss, aber nicht unmöglich. Die anderen Parteien – vor allem SPD und Grüne – müssten ihre Beißhemmung gegenüber der Kanzlerin ablegen. Es gibt bisher eine übertriebene Hochachtung, ja fast schon Heiligsprechung, nur weil Merkel ein paar Monate lang freundlicher zu Flüchtlingen war als in Europa üblich und freundlicher als von der CDU gewohnt. Das war schön und gut, aber deshalb muss man sie doch nicht ewig in eine Art Wattebausch hüllen.

Wagemutige Koalitionspartner

Vor allem aber müssen die Parteien, die wirklich einen Wechsel wollen, klar, sachlich und inhaltlich fundiert begründen, warum sie es besser könnten als Merkel und die Union. Warum es weder für den sozialen Frieden noch für den Klimaschutz reicht, höflich und stets besonnen aufzutreten wie die Kanzlerin. Warum es dafür mutige und entschlossene Maßnahmen braucht, die Merkel nie gewagt hat. Und ja – auch wagemutige Koalitionsoptionen wie Rot-Rot-Grün.

Erste Voraussetzung: Die Konkurrenten müssten selbst daran glauben, dass sie es besser können. Warum denn nicht? Merkel war weiß Gott nicht fehlerlos. Ob Irak-, Gesundheits- oder Atompolitik: Bei vielen Themen fuhr sie lange in die falsche Richtung.

Zweite Voraussetzung: Die anderen Parteien müssten einen echten Wechsel wirklich wollen. Und nicht im Hinterkopf schon daran denken, wer in der nächsten Merkel-Regierung welchen Posten abbekommen könnte. Sonst überlassen sie der AfD viel zu viele Wechsel-Wähler.

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
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14 Kommentare

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  • Merkel ist Schröder und die Agenda-2010 mit anderem Gesicht, aber gleichem Inhalt. Dass sie nochmals antritt, ist doch nicht überraschend. Während Gerd Schröder Zeit für einen Bummel in der Innenstadt von Hannover hat, muss Angie nochmals ran. Sie verkauft dieses Verarmungsprogramm einfach viel besser als er bzw. sie profitiert von der Dummheit der Schröder-Fischer-Regierung, eine Sozialreform zu machen, die einem Schlachtfeld bei den eigenen Anhängern glich. So blöd kann und konnte keiner bei der CDU und CSU sein - dafür glauben sie nun, die vierte Amtszeit von Angela Merkel einfordern zu können, denn wirklich effektiv abwählen lässt sich diese Kanzlerin nicht mehr. Die ist gebucht, mindestens die Politik, die sie macht, ist wohl zeitlos, ja ist schon bei den Grünen in Baden Württemberg in Mode. Wer sollte sie denn abwählen? Die Wähler etwa? Von denen werden so viele wie noch nie die AfD ankreuzen und die Erfahrung der Wähler der Linken machen: Es ist egal. Sie können das tun, aber mitwirken geht so nicht, vielleicht ja sowieso nicht mehr, schließlich sind CDU/CSU/SPD nun wie eine Partei - das ist eine art westdeutsche SED ohne Abwahlmodus.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...wir leben in einer Zeit der lebenden Toten, einer Zeit, der tiefen Teller. Und der Rand, über den wir blicken sollten, entfernt sich mehr und mehr von uns.

    Nein, Merkel ist nicht "alternativlos", ja, ich gebe zu, sie beherrscht ihre "Raute", aber, was kommt dann? "Und täglich grüßt das Murmeltier"? Wollen wir DAS wirklich?!

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...wer jetzt noch an Merkel festhält, bekommt 2017 eine Koalition aus CDU/CSU und AfD.

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Merkel ist eine Opportunistin. Sie hat sehr viel Versäumnisse auf ihrem Konto, für das die nächste(n) Generation(en) zahlen müssen. Vorausschauend ist sie nur bis zu irgendwelchen Wahlterminen. Doch wenn man die Konkurrenz betrachtet, dann ist es mindestens genauso finster. Gabriel kann man überhaupt nicht mehr ernstnehmen. Der ist so widersprüchlich und so karrieregeil, dass man ihn als Kanzler total (!) vergessen kann, nein, muss!! Schulz? Ein Schwätzer, ein Kriecher! Seine Körpersprache bei dem kürzlichen Besuch bei Erdogan sagt alles aus. Seine Bemühungen, Juncker vor dem Skandal von Luxleaks zu bewahren sind in ähnlicher Frequenz erkennbar. Und seine beharrliche Weigerung, etwa den massiven Widerstand in der Bevölkerung gegen die "Frei"handelsabkommen zur Kenntnis zu nehmen, lässt auf Kriecherei gegenüber der Industrie und/oder den USA schließen.

  • 3G
    32795 (Profil gelöscht)

    Wie "distanziert" man sich denn realistischerweise noch von Merkels Kurs?

     

    Es ist nicht leicht sich nach LINKS hin von der Kanzlerin zu distanzieren ohne von breiten Wählerschichten ins Reich der Märchenerzähler verbannt zu werden. Für R2G müssten sich über die Hälfte der Wähler für eine Politik links der Kanzlerin entscheiden. Nur wie soll die GENAU aussehen?

     

    Ich sehe wirklich kein Wählerpotential von über 50% links der europhilen Flüchtlingskanzlerin. Sie hat die CDU so weit nach links gerückt (bitte nicht absichtlich falsch verstehen) dass links davon keine Mehrheit mehr steht. Die Entstehung eines rechten Randes nimmt sie dabei in Kauf. So lange das so bleibt geht ohne CDU nichts im Bund.

     

    Und nu?

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @32795 (Profil gelöscht):

      "Sie hat die CDU so weit nach links gerückt..."

       

      Eher liberalisiert - sprich dem modernen Gesellschaftsbild angepasst. Jetzt sind alle aus dem Häuschen, weil sie durch die Aufnahme von ca. 1 Mio. Flüchtlinge ihr zur Spontaneität neigendes, mitfühlendes Wesen (endlich!) gezeigt hatte. Halte ich für ein Märchen für das staunende Publikum. 1. Man hätte es viel besser machen können - die wirklich Bedürftigen abholen oder viel viel Geld in die LAger vor Ort investieren. 2. Ohne ZUstimmung von wirtschaftlichen Eliten hätte Merkel keinen Finger gekrümmt. und wie diese Eliten die Zuwanderung sehen kann man hier (https://www.welt.de/wirtschaft/article149914423/Fluechtlinge-sind-eine-Riesenchance-fuer-Deutschland.html) nachlesen. Will man's noch kruder dann hier: http://www.faz.net/aktuell/politik/wolfgang-schaeuble-abschottung-wuerde-europa-in-inzucht-degenerieren-lassen-14275838.html

       

      Die Sozialdemokratisierung der CDU ist ein Märchen und fand in sozialer und ökonomischer Hinsicht nie statt. Der Schmarrn wird nur für den späteren wirtschaftsfreundlichen Ruck benutzt.

    • @32795 (Profil gelöscht):

      Eine linke Rhetorik mit rechter Politik. Als ob Deutschland derzeit eine Flüchtlingspolitik betreiben würde, kaum Geld für Intergration, Programme wie Deutschkurse ... Da wäre sehr viel möglich. Aber nicht mit der CDU.

    • @32795 (Profil gelöscht):

      Stimmt SFischer. Das einzige Feld, wo r2g punkten kann, ist die Soziale Ungerechtigkeit: auseinanderdriften von Vermögen, Einkommen, Bildungschancen. Das wars dann aber auch schon. Und wie man das besser macht (nicht nur sich wünscht) muss r2g erstmal plausibel erklären. Wünschen kann ich selber.

      • 3G
        32795 (Profil gelöscht)
        @Rainer Seiferth:

        Das Verteilungsproblem kann doch nur noch symbolisch angegangen werden. Die Globalisierung (incl. EU) ist mittlerweile tief im internationalen Recht verankert. Hierbei hat man die Möglichkeiten zur Kapitalflucht in Stein gemeißelt (übrigens unter Duldung der Linken). Die Antwort hierauf müsste jetzt erst mal Abschottung (anders bekommt man das Primat der Politik nicht zurück) sein was ja auch nicht sexy ist. Da geht nichts mehr, egal ob Merkel oder r2g, auf nationaler Ebene geht das nicht mehr und international besteht nicht viel interesse an Veränderung.

        • @32795 (Profil gelöscht):

          Wenn man den Primat der Politik stärken will, wieso muss man dann auf nationale Abschottung setzen und nicht z.B. auf eine Stärkung und Umgestaltung der EU-Politik?

          • @Earendil:

            Weil man auf EU-Ebene erst recht keine hinreichende Mehrheit für ein Zurückdrehen der Globalisierung bekommt. Unterhalb hat man eventuell noch die Chance, einige jener Wähler einzufangen, die sich vor der Globalisierung unter Umgehung linker, binnenmarktorientierter Wirtschaftsideen direkt in die nationale Ecke flüchten.

             

            Erklärt man denen, dass man nicht den Rechten folgen muss, um vor der Welt da draußen mal ein wenig Ruhe zu haben, zieht das vielleicht. Auf EU-Ebene aber funktioniert das nicht, weil sie im Gegenteil eine noch GRÖßERE Bereitschaft zu Pluralismus und Aufgabe der nationalen Identität erfordert.

  • Kann gut sein, dass ich 2017 zähneknirschend die Merkelpartei wähle, unter anderem auch deshalb, weil mir kein besserer Kanzlerkopf in Sicht ist. Bedenklicher als der Mangel an Köpfen und Namen ist mir aber, dass man in Deutschland Ewigkeitskanzler sein darf. Ich will einen Zusatzartikel, der die Kanzlerschaft auf 8 Jahre begrenzt. Das würde die Parteien dazu zwingen, Konkurrenz in den eigenen Reihen, und damit auch mehr innerparteiliche Demokratie zuzulassen. Es wäre eine Regel zur Verminderung von Alternativlosigkeit und Bleiernen Zeiten.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Rainer Seiferth:

      Man kann auch durch Wahl eine starke Opposition schaffen wollen, wenn einem Kanzlerkopf und -namen nicht mehr behagen.

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Frau Merkel wird sehr unterschätzt.

    In dem Interview mit Frau Will hat sie auch einmal gesagt (Minute 19:00): Es sei in der Politik so, 'daß man meist nicht sieht, was man in der Vergangenheit verhindert hat oder nicht verhindert hat'.

    Da will ich gerne widersprechen.

    Man kann in der Amtszeit von Frau Merkel sehr wohl sehen, daß sie das Arm/Reich-Problem, die Altersarmut so laufen ließ, daß sie permanent um Herrn Obama herumschwänzelte und eine NSA-Aufklärung verhinderte und dessen Drohnenkriegslust reichlich unterstützte, den Spezl Juncker installierte, Griechenland einen kräftigen Tritt verpasste, den ganzen Kfz-Industrie-Betrug deckte, Rüstungsexporte anwachsen ließ, die Öffnung für Asylsuchende nur kurzzeitig ermöglichte, die amerikagewollte Feindschaft zu Rußland aufleben ließ, sich um die Aufklärung des NSU überhaupt nicht kümmerte ...

    Ich weiß gar nicht, wo ich aufhören könnte.

    Da soll mal einer sagen, daß die Frau keine deutlichen Spuren hinterlassen hat. Seien Sie nicht so bescheiden, Frau Merkel.