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Kommentar Kämpfe in LibyenDer Weg in den Abgrund

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Frankreich blockiert in Libyen eine gemeinsame europäische Politik. Das ermutigt den Gewaltakteur Haftar in seiner militärischen Eskalation.

Auf dem Weg in den Abgrund: die Truppen von Chalifa Haftar Foto: reuters

J ahrelang hat die Weltgemeinschaft den Kriegszustand in Libyen achselzuckend hingenommen – ein Ärgernis zwar aus ihrer Sicht, aber keines von übergreifender Bedeutung, das schlaflose Nächte bereiten müsste. Jetzt ist diese Zeit vorbei. Die beiden verfeindeten großen Machtzentren – der Möchtegern-Militärherrscher Chalifa Haidar im Osten und die Möchtegern-Regierung von Fayiz Serradsch im Westen – bekriegen sich vor den Toren der Hauptstadt Tripolis. Sie werfen jeweils verbündete lokale Milizen in die Schlacht und schrecken nicht einmal vor Luftangriffen zurück.

Libyen war seit dem Scheitern der Bemühungen um eine Post-Gaddafi-Nachkriegsordnung ein Pulverfass – nun ist es explodiert.

Das ist nicht nur für die Libyer eine Gefahr. Erneut, wie beim Syrien-Konflikt, erweist sich die „internationale Gemeinschaft“ als handlungsunfähig. Der UN-Sicherheitsrat kann sich nicht einmal auf eine Erklärung – die, anders als eine UN-Resolution, folgenlos bleibt – zur Verurteilung der kriegerischen Eskalation einigen. Ein entsprechender Versuch scheiterte am Sonntag am Widerstand Russlands.

Moskau setzt auf den militärischen Sieg des „starken Mannes“ Haftar, um Libyen mit Gewalt zu befrieden. Der Westen setzt auf einen politischen Prozess, der die schwachen Institutionen der Staatlichkeit stärkt und die unzähligen unterschiedlichen Machtzentren und Interessen dieses zerrissenen Landes unter einen gemeinsamen Hut bringt. Das Haftar-Lager nimmt sich Autokraten wie Präsident Baschar al-Assad in Syrien oder Abd al-Fattah as-Sisi in Ägypten zum Vorbild und geht zielstrebig und brutal vor. Das Serradsch-Lager hat überhaupt kein Vorbild und eiert herum.

Man könnte in dieser Situation zumindest von Europa eine klare Linie erwarten. Libyens Stabilität liegt im unmittelbaren europäischen Interesse. Als südlicher Anrainerstaat am Mittelmeer und als wichtigstes Transitland der afrikanisch-europäischen Migration. Und man hört im beginnenden Europawahlkampf viele Worte über die Notwendigkeit für die EU, geeint und entschlossen aufzutreten, um Europas Interessen auf der Welt zu vertreten und als Wertegemeinschaft zu handeln.

Libyen entlarvt solche schönen Worte gnadenlos. Europa ist im Umgang mit Libyen heillos zerstritten. Denn Frankreich ist aus der gemeinsamen Position der Unterstützung eines politischen Prozesses ausgeschert und unterstützt einseitig Haftar und seine militärische Lösung.

Präsident Emmanuel Macron hat den Feldmarschall hofiert, ihn politisch auf eine Stufe mit der international anerkannten Serradsch-Übergangsregierung gestellt und ihn diskret mit Spezialkräften unterstützt. Das hat die ohnehin bröcklige Autorität der zivilen Institutionen untergraben und jenen Libyern Recht gegeben, die auf Gewalt setzen.

Frankreich sieht sich als Ordnungsmacht Nummer Eins

Der Grund für Frankreichs Haltung ist eine ganz traditionelle, also auf die Stärkung loyaler Gewaltherrscher setzende französische Geopolitik in Afrika. Frankreich sieht sich in der Sahara- und Sahelzone als militärische Ordnungsmacht Nummer Eins. Haftar gilt als Garant von Stabilität, zusammen mit autokratischen Präsidenten von Nachbarländern wie Tschad. Frankreich applaudierte, als Haftar im Februar die Kontrolle über Libyens südliche Wüstengebiete übernahm. Das war für den Feldmarschall die Vorstufe zum Vorstoß auf Tripolis, und jetzt drückt Paris verschämt beide Augen zu.

Und wie immer, wenn es um Afrika geht, sieht Frankreich auch in Libyen nicht die geringste Veranlassung, seine Politik mit anderen europäischen Partnern abzusprechen. Die EU darf diplomatische Legitimität liefern und Rahmen setzen, innerhalb derer andere europäische Länder Frankreich helfen, die Lasten seines Engagements zu tragen, aber das Engagement selbst definiert Paris bitteschön allein.

Europa ist in Sachen Libyen so zerstritten wie es Libyen selbst ist. Und auch sonst ist keine Ordnungsmacht in Sicht. Es gibt nur Unordnungsmächte. Und wer das abtut mit der Gewissheit, das libysche Chaos werde schon noch von den Weiten der libyschen Wüste verschluckt und müsse sonst niemanden beunruhigen, hat die Lektionen des Krieges gegen die Gaddafi-Diktatur 2011 nicht gelernt.

Europa ist in Sachen Libyen so zerstritten wie es Libyen selbst ist

Damals dachten die westlichen Interventionsmächte, es genüge, Gaddafi zu stürzen, und den Rest erledigen die aufständischen Libyer schon selbst. Sie zogen sich zu früh aus dem Land zurück, und zurück blieb ein Scherbenhaufen.

Vielleicht ist es Zeit, sich von der Idee zu verabschieden, dass irgendeine starke Figur den Scherbenhaufen namens Libyen zusammenfegen könnte. In den acht Jahren seit der Revolution haben sich in dem weitläufigen Land, dessen Bestandteile nur durch das Generieren und Verteilen von Öleinnahmen zusammengehalten werden, viele verschiedene Ordnungssysteme herausgebildet, jeweils mit eigener Legitimität. Sie müssen alle zunächst einmal anerkannt werden, damit auf der Grundlage gemeinsamer Interessen Kooperation entstehen kann, bevor der Aufbau einer gesamtlibyschen Staatlichkeit überhaupt denkbar ist.

Stattdessen soll es nun, geht es nach Putin und Macron, ein einziger Akteur richten, indem er die anderen vernichtet. Das ist der Weg in den Abgrund. Er darf nicht beschritten werden. Es ist Zeit, auch innerhalb der EU dazu klare Worte zu fassen.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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5 Kommentare

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  • Nachdem es, dem Verständnis des Zeitgeistes folgend, zumindest in Europa nicht mehr opportun scheint, irgendwo in der Welt brachial kolonial anmutende Herrschafts- , Ausbeutungssysteme zum wirtschaftlich eigenen Vorteil durchzusetzen, aufrechtzuerhalten, wird ein anderes Modell zur Wahrung dieses asymmetrischen Vorteils gefahren, durch sog. Stabilisierungsmissionen mit dem Ergebnis des strukturellen Gegenteils, nämlich selbst dort, wo noch Ordnung, Staatsmacht wirksam war, Chaos mit humanitären Katastrophen, Strömen Geflüchteter in Nachbarländer, nach Europa zu hinterlassen, in deren Zentrum, wie im Auge des Orkans europäische u. a, Mächte, weitgehend abgeschirmt von internationaler Berichterstattung, ihren asymmetrisch wirtschaftlichen Vorteil weiter im Bunde mit Globalplayern im Ressourcenmarkt zu sichern suchen.



    Dafür steht Afghanistan 2002 nach Nine Eleven 2001, Irak 2003, Syrien, Libyen 2011, Sudan, Jemen 2015, Nahostkonflikt, wie Nigeria seit Biafra Krieg 1967.

    Dass Deutschland sich 2019, trotz oder wg Brexit 2016?, durch Aachener Vertrag mit Frankreich über Bestärkung Elysee Vertrages 1963 hinaus, zu uneingeschränkter Solidarität mit Frankreich bei sog Stabilisierungsmissionen als Parallelstruktur zur Nato einbinden lässt in Zentralafrika, Sahara- und Sahelzone, voran 14 Ländern der seit 1945 nach Bretton Wood Weltwährungs-Abkommen 1944 auf Druck von Paris entstandenen CFA Franc Währungszone, angekoppelt zunächst an Frankreichs Zentralbank, seit Einführung Euros 2002 an EZB mit der Maßgabe gekoppelt, an 80 % eigener Devisen- , Goldreserven zu hinterlegen, sollte die Öffentlichkeit als Alarmsignal nehmen, das dem ganzen Brexit Hinhalte Procedere seit 2016 eine ganz andere Farbe verleiht, die nichts Gutes verheißt.

  • EU-Interventionsstreitmacht? Wenn man im militärischen Verständnis von Macht sprechen will, dann sollten mindestens 1 Mio. Mann unter sofortigem Einsatzkommando stehen. Schon bereits bei den ersten zwei Frage: Wer erteilt das Kommando in der EU? Und wer stellt oder wird noch 1 Mio. Soldaten in der EU stellen? Stellt sich fest, es gibt in der EU keine nennenswerte militärische Macht.



    Ich glaube sogar, selbst Erdogan von seinem Militär, könnte jederzeit die EU militärisch überrennen. Selbst Israel verfügt über mehr Atomsprengköpfe als die ganze EU (nach Brexit) zusammen. So kann das nicht weiter gehen.

  • 6G
    61321 (Profil gelöscht)

    Wenn ich Haftar wäre, würde ich auf das Gegrummel aus Europa scheißen. Tut er ja auch.



    Und was soll dieses: "Sie zogen sich zu früh aus dem Land zurück, und zurück blieb ein Scherbenhaufen."? Überall wo ein gescheiterter Staat in Zukunft durch innere oder äußere Anstöße und Prozesse zerfällt, soll in Zukunft hingerannt und mit Besatzungstruppen nachhaltig interveniert werden? Etwa von der zukünftigen EU-Interventionsstreitmacht? Dann gehört es vernünftigerweise sicher bald auch zur Offiziersausbildung, Arabisch und Urdu zu lernen. Unter anderem.

    • 9G
      92489 (Profil gelöscht)
      @61321 (Profil gelöscht):

      Ja das ist wohl die Frage: Sind wir für andere Menschen verantwortlich? Wenn man in deren Vergangenheit rumgepfuscht hat, vermutlich ja? Wenn ja, dann wären in einer solchen Situation Interventionstruppen vlt gar nicht so blöd. Alles andere wäre wohl ziemlich realitätsfern.

      • @92489 (Profil gelöscht):

        "Interventionstruppen vlt gar nicht so blöd."

        Nach dem tollen Erfolg unserer in Afghanistan heldenhaft kämpfenden vdl-Truppe wäre ein weiterer Einsatz deutscher Soldaten in Libyen sogar sehr vernünftig.

        Es ist doch offensichtlich, dass die Libyer das nicht alleine hinkriegen.