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Kommentar Journalisten beim G20Einmal auffällig, immer auf der Liste

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Wer der Polizei einmal auffällt, kann dauerhaft in einer Datenbank landen. Dafür reichen Nichtigkeiten. Das wird jetzt endlich skandalisiert.

Beim G20 legte das Bundespresseamt manchen Journalisten Steine in den Weg Foto: dpa

D anke, Steffen Seibert. An einem Tag wie heute müssen wir das auch einmal sagen. Der Chef des Bundespresseamtes war dafür verantwortlich, dass seine Behörde während des G20-Gipfels unbescholtenen Journalisten die Akkreditierungen klaute. Damit hat er es geschafft, dass das Land endlich über die willkürliche Speicherpraxis der Polizeibehörden spricht – und dass die Bundesregierung diese Praxis möglicherweise entschärfen wird.

„Bei der Datenqualität gibt es Handlungsbedarf“, gestand ein Sprecher des Innenministeriums am Mittwoch. Viel zu spät, aber immerhin. Anlass für den Sinneswandel ist die Berichterstattung der ARD über den Fotojournalisten Björn Kietzmann, der beim G20-Gipfel zu den Ausgesperrten gehörte und jetzt, knapp zwei Monate später, den Grund erfuhr.

Das Bundeskriminalamt hat dem 37-Jährigen mitgeteilt, dass es 18 Einträge über ihn gespeichert habe. In einem Fall geht es um einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, für den Kietzmann nach ARD-Angaben 2003 zu einer Geldstrafe von 320 Euro verurteilt wurde. Alle anderen Einträge sind ohne Richterspruch zustande gekommen. Einmal explodierte zum Beispiel während einer Demo, von der er berichtete, ein Feuerwerkskörper. Kietzmann hatte nichts damit zu tun, die Polizei kontrollierte ihn trotzdem, und schon hatte der Fotograf wegen „Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion“ den nächsten Eintrag. Fast wie Zauberei.

Der Fall lenkt die Aufmerksamkeit auf ein perfides Datensystem: Wer der Polizei auch nur einmal auffällt, bei einer Demonstration, in der Fankurve oder beim Taubenfüttern im Park, kann schon in den Datenbanken der Behörden landen. Ob ein Ermittlungsverfahren folgt oder nicht, ob der Fall vor Gericht kommt oder nicht, ob es einen Freispruch gibt oder nicht – der Eintrag bleibt. Die Betroffenen erfahren davon im Normalfall nichts. Wehren können sie sich in vielen Fällen auch nicht. Der Rechtsstaat betreibt hier ein Instrument, das mit dem Rechtsstaat nichts zu tun hat.

Hoffnung auf eine Reform

Neu ist das nicht. Immer wieder ploppt das Thema für ein paar Tage in den Medien auf, regelmäßig fordern Datenschützer Änderungen, hin und wieder streichen die Behörden auf die Kritik hin hier und da einen Eintrag. Nachhaltig war bisher aber alles nicht, was damit zu tun haben könnte, dass die Betroffenen häufig im Zusammenhang mit linken Demos, rechten Demos oder Fußballspielen in die Datenbank gerieten – also den polizeilich gewünschten Anschein erwecken, so oder so nicht ganz sauber zu sein.

Diesmal schlägt das Thema aber stärker ein als je zuvor. Diesmal gibt es Hoffnung auf eine ernst zu nehmende Reform. Das liegt zum einen an den ausdauernden Recherchen des ARD-Journalisten Arnd Henze, der in dieser Sache Hartnäckigkeit und Reichweite miteinander vereint. Das liegt zum anderen am Charakter des Großereignisses G20-Gipfel, bei dem Tausende Journalisten Zeugen des Akkreditierungsentzugs wurden. Und das liegt nicht zuletzt eben auch an Steffen Seibert, dem Chef des Bundespresseamtes.

Ob ein Ermittlungsverfahren folgt oder nicht – der Eintrag bleibt. Die Betroffenen erfahren davon im Normalfall nichts

Er ließ es zu, dass seine Behörde auf Wunsch des Bundeskriminalamts und ohne vernünftige eigene Prüfung Dutzenden Journalisten den Zugang zur Konferenz verweigerte. Und das, obwohl er als ehemaliger Journalist von der Bedeutung des Begriffs „Pressefreiheit“ schon mal gehört haben sollte. Er lieferte den Anlass für die Recherchen der ARD. Dafür, lieber Regierungssprecher: Vielen Dank.

Offenlegung: Die Polizei führte zumindest in der Vergangenheit den Autor dieses Textes in der Datei „Politisch motivierte Kriminalität – links“. Während des G20-Gipfels war er im Urlaub.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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9 Kommentare

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  • Selbst wenn man absolut nichts falsches getan hat, sondern nur durch eine Verwechselung des Fahrzeugkennzeichens befragt wurde, so geschehen 1982, bleibt einen das bis zum heutigen Tage angehängt.

     

    Das Fahrzeugkennzeichen meines Fahrzeugs wurde mit dem eines Fahrzeugs verwechselt, ein Buchstabendreher, mit dem jemand getötet wurde und dann Fahrerflucht begangen wurde.

    Die Polizei kam um mein Fahrzeug auf Beschädigungen zu überprüfen damit bewiesen wäre, dass ich mit de Auto der Täter sei.

    Aber das war natürlich nicht der Fall, da die Kennzeichen ja nicht mit dem Fluchtauto übereinstimmten und laut meinem Dienstplan war ich hundert Kilometer vom geschehen entfernt im Einsatz auf dem Rettungswagen, welches sich durch die Polizei vor Ort beweisen ließ.

     

    32 Jahre später stellte ich den Antrag zum führen von Roten Händlerkennzeichen, was mir dann aber auf Grund dieses Vorfalls erst Mal verweigert wurde.

    Es dauerte etwa 3 Monate, bis sich das Straßenverkehrsamt durch einen Anwalt davon überzeugen ließ, dass ich absolut nichts damit zu tun hatte und alles eine, übrigens von dem Straßenverkehrsamt, begangener Fehler bei der Weitergabe der Nr. des Tatfahrzeugs war!

     

    Man sieht also, dass egal um was es geht, mit dem Datenschutz ist es nicht besonders weit her, hier in Deutschland.

     

    Einmal im System und man hat verloren!!!

    • @urbuerger:

      Sie können sicher sein -

      Daß der Vorgang weiterhin in der

      sog. Polizeiakte festgehalten ist.

      Derartige Akten unterliegen keinerlei

      Löschungsfristen!

  • ...die Gefahr ist, dass die Debatte nur für den Wahlkampf geführt wird und danach wieder im Nirwana versinkt. Wäre es anders, dann müssten ROT/GRÜN unter Schröder darüber Zeugnis ablegen, ob es zu ihren Regierungszeiten anders zuging.

  • DER DANK...

    an herrn seibert wäre angesichts der grossspurigen erklärung über "vertrauen gegenüber presseamt und innenministerium" noch grösser, wenn er um seine entlassung nachsuchen würde. denn wer sollte nun noch seinen beteuerungen als presse- und propagandasprecher glauben schenken - nicht einmal das zdf, wenn er dorthin zurückkehrt.

  • Das Ganze war ja in vordigitalen Zeiten nicht anders.

    (Hofgartenwiese Demofotos als Einzelvorlagen etc - alles entgegen Rspr. & bei Konfrontation (Refi-Zeit live!;) freches Abwiegeln! "Tja - da müssen sie uns schon vertrauen!"

    Na Servus!)

     

    All das & die heutige Entwicklung digital macht deutlich - daß dieses "hach wir ham doch Demokratie" - C.R.

    Sorry - Gefasel - In die Tonne gehört!

    Der Leviathan - eines Thomas Hobbes - (von tumben taz-Traumtänzern Längst&zum xten mal beerdigt - wa!)

    Lebt in den bekannten staatlichen Gefährdern auf den Spuren des Freund/Feind-Denkens eines ausgewiesenen Nazis & Verfassungs&Demokratiefeindes

    Carl Schmitt & seiner Apologeten -

    allen voran exIM & Gröfimaz

    Wolfgang Schäuble - Ziehkind des Furchtbaren Juristen&MP

    Hans Filbinger & den übrigen -

    Handlangern der GroßKotz u.a. -

    IM FrozenThomas JuMi Heiko Maas &

    JungFähnleinführer Steffen Seibert

    Brutalstmöglich fort - & Alles das.

    Flankiert von einer Kriegsministerin

    in spe - doch doch!0

    La Tuffa PanzerUschi v.d. Lie-ing -

    Die schon mal gern vorsorglich -

    Mobilmachung befiehlt!

    (Was - wenn ichs recht weiß - völkerrechtlich als Kriegshandlung eingeordnet wird!)

    Interessiert aber medial kein Schwein!

    kurz - So geht das.

  • Für den Rhetorik Interessierten gibt es hier die dazu gehörige Pressekonferenz: https://www.youtube.com/watch?v=HEtk3ke587E

     

    Methode Seibert:

    Leugnen, verdrehen, nichts wissen - um abschliessend dreist das Vertrauen in jene Behauptungen einzufordern... aalglatt und fast perfekt,

    bliebe da nicht ein äußerst übler Nachgeschmack.

    • @Karo:

      Danke für den link

       

      Ekelhaft.

      Da mähtste nix.

      Normal.

  • Das betrifft leider nicht nur Journalisten. Viele friedliche Fußballfans werden als "schwere Gewalttäter" geführt, ohne dass sie etwas mit Gewalt oder der Hooliganszene zu tun hatten. Es reicht in einem Fußballzusammenhang einmal kontrolliert zu werden. Dasselbe Problem gibt es auch auch bei vielen Menschen die an Demonstrationen teilgenommen haben. Eintragungen zu schwerem Landfriedensbruch etc. finden sich in vielen Fällen auch bei Menschen die freigesprochen oder nie verurteilt wurden. Sogar bei Menschen, bei denen es nie zu einer Anzeige kam.

    Genauso problematisch ist die Datensammelwut bei (ehemaligen) Cannabiskonsumenten. Ein Freund hat nach 15 Jahren einen rechtswidrigen Eintrag löschen lassen, nachdem er unter menschenunwürdigen Umständen bis auf die Unterhose durchsucht wurde. Ob es noch trotzdem noch einen Eintrag gibt, das weiß der Einzelne nie so genau...