Kommentar Israels Flüchtlingspolitik: Handelsware Mensch
Israel schiebt Flüchtlinge aus Eritrea und Sudan wie Schmuggelware ab. Das Beispiel könnte auch in Europa Schule machen.

E s gibt Waren, die keiner wirklich haben möchte und bei denen man bezahlt, nicht um sie zu erwerben, sondern um sie loszuwerden. Meist hat das mit Müll zu tun oder mit Gift. „Entsorgung“ heißt dieser Geschäftsvorgang, und die globalisierte Welt steckt voller unschöner Beispiele: Atommüll und Giftfässer, chemische und natürliche Rückstände, Sprengstoffe und Kadaver, Elektroschrott und Rostlauben. Und nun werden auch Menschen entsorgt, still und heimlich und schamlos.
Wie die taz recherchiert hat, landen immer mehr Flüchtlinge aus Eritrea und Sudan, die auf der verzweifelten Suche nach einem menschenwürdigen Leben in Europa stattdessen in Israel stranden, am Ende wieder in Afrika – in Uganda und Ruanda. Dort sind die Lebensumstände zweifellos besser als in ihren Heimatländern. Aber die unfreiwilligen Neuankömmlinge wollten weder dorthin, noch werden sie dort willkommen geheißen, noch fühlen sie sich vor möglicher Verfolgung durch ihre Heimatregierungen geschützt.
Sie bekommen Bargeld in die Hand gedrückt wie Schmiergeld: Israel weiß, dass kein Flüchtling diese Reise freiwillig unternehmen würde. Sie werden auf Sondertransporten an allen Grenzkontrollen vorbeigelotst wie Schmuggelware: Uganda und Ruanda wissen, dass sie sich eigentlich auf ein anrüchiges Geschäft einlassen. Es ist nichts anderes als die Entsorgung von Menschen.
Flüchtlinge als Handelsware – es bedarf nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie das israelische Beispiel auch in Europa Schule machen könnte. Was soll denn eine EU-Regierung machen, wenn die von ihr großspurig verkündete Obergrenze zur Aufnahme von Flüchtlingen erschöpft ist und trotzdem weitere über die Grenze kommen? Eine Variante wäre, sie auf der Straße liegen zu lassen und so zu tun, als wären sie nicht da. Eine andere könnte sein, sie zu menschlichem Sondermüll zu erklären und kostenpflichtig in irgendeinem unsicheren Drittland zu verklappen.
Von Menschlichkeit entfernt sich die EU-Debatte über Flüchtlinge ohnehin immer mehr. Bisher sind die meisten europäischen Politiker dabei aber noch ziemlich ratlos und unentschlossen, zum Glück. Israel liefert das abschreckende Beispiel dafür, wie man Unmenschlichkeit in gnadenlose Flüchtlingsabwehr verwandelt.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Forscher über Einwanderungspolitik
„Migration gilt als Verliererthema“
Abschied von der Realität
Im politischen Schnellkochtopf
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine
„Wir sind nur kleine Leute“
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Extremismus bei Alemannia Aachen
Der rechte Flügel