Kommentar Internet-Zensur in der Türkei: Kritik wird ausgemerzt
Ministerpräsident Erdogan geht systematisch gegen die öffentlichen Medien vor. Jetzt will er sogar Meinungsäußerungen im Internet unterbinden.
L angsam aber sicher wird die Luft zum Atmen knapp in der Türkei. Nachdem zuerst Zeitungen und Fernsehanstalten mehr oder weniger unter die Kontrolle der Regierung gebracht wurden, soll jetzt auch die freie Meinungsäußerung im Internet unterbunden werden.
Systematisch hatten die regierende AKP oder ausgesuchte Anhänger der Partei in den letzten zehn Jahren Zeitungen und Fernsehsender aufgekauft oder unter ihre Kontrolle gebracht. Wo dies nicht gelang, wurden die Besitzer der Medienunternehmen durch Steuerprüfungen gegängelt, bis sie nach und nach alle regierungskritischen Journalisten auf die Straße setzten, um sich so dann wieder mit der Regierung ins Benehmen zu setzen.
Bei Journalisten kleinerer linker oder pro kurdischer Zeitungen wurde erst gar nicht der Umweg über die ökonomische Kontrolle gesucht sondern die Protagonisten gleich als „Terroristen“ oder „Propagandisten des Terrors“ ins Gefängnis gesteckt.
Klar dass in einer solchen Medienlandschaft das Internet zum Forum des kritischen gesellschaftlichen Diskurses wurde. Als im letzten Mai die Proteste gegen den Bau einer Kaserne auf dem letzten Park im Zentrum von Istanbul begannen, sendeten die großen Fernsehanstalten Tierfilme statt über den Aufstand vor ihrer Haustür zu berichten. Viele Türken informieren sich deshalb heute zunächst einmal über Twitter, bevor sie den Fernseher anschalten. Das Vertrauen in die großen Medien tendiert gegen Null.
Umso dramatischer ist es, wenn es Ministerpräsident Erdogan jetzt auch noch gelingen sollte, dieses Graswurzelmedium auszuschalten. Der Anlass dafür mögen illegale You-Tube Filme über korrupte Minister sein, die Erdogan zukünftig sofort löschen lassen will. Das Ergebnis wäre die vollständige Ausmerzung jeder öffentlichen Kritik in frei zugänglichen Medien.
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