Kommentar Housing First in Hannover: Nur eine Light-Version
Die hannoversche Variante von Housing First knüpft die Vergabe von Wohnungen an Bedingungen. Das steht den Grundsätzen des Prinzips entgegen.
E ndlich! Die Stadt Hannover hat gemeinsam mit der Stiftung „Ein Zuhause“ ein Pilotprojekt vorgestellt, um obdachlose Menschen in eigene Wohnungen zu bringen. Seit Monaten hatte die Verwaltung daran gearbeitet, das vom Rat der Stadt gewünschte Prinzip Housing First in Hannover umzusetzen. Was dabei herausgekommen ist, ist allerdings nur eine Light-Version. Es steht den Grundsätzen von Housing First sogar entgegen, denn das neue Zuhause bekommen die Obdachlosen nicht bedingungslos.
Mit ihren Schulden, Suchterkrankungen oder psychischen Problemen sind obdachlose Menschen für private Vermieter*innen vor allem ein Risiko. Auf dem freien Wohnungsmarkt haben sie keine Chance. Wenn Kommunen es mit der Bekämpfung von Obdachlosigkeit ernst meinen, muss dieses wirtschaftliche Risiko für die öffentliche Hand egal sein. Sie müssen den Betroffenen helfen, von der Straße wegzukommen und ein menschenwürdiges Leben zu führen, auch wenn die Chance besteht, dass diese scheitern.
Housing First soll eigentlich die Menschen erreichen, die durch jedes Raster fallen. In einer eigenen Wohnung können sie zur Ruhe kommen – physisch und psychisch. Vielleicht sind sie erst danach in der Lage, Hilfe anzunehmen. Wenn die Stadt und die Stiftung nun aber nur denjenigen Obdachlosen Wohnungen geben möchten, die gut mit Sozialarbeiter*innen kooperieren und damit vermeintlich pflegeleichter sind, nehmen sie wieder eine Auswahl vor – und schließen diejenigen aus, die die Hilfe womöglich am nötigsten haben.
Das bedeutet nicht, dass das Konzept der Stadt komplett unbrauchbar ist. Alle Menschen, die unfreiwillig auf der Straße leben, brauchen eine Wohnung. Die Hilfe trifft also in jedem Fall die Richtigen. Aber um zu sehen, ob dieser Pilotversuch tatsächlich funktioniert und in der Stadt zum Standard für die Arbeit mit Obdachlosen werden sollte, ist es notwendig, auch die Menschen einzubeziehen, die mit ihrem Verhalten anecken und die schwierig sind. Diesen Härtetest muss das Konzept bestehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“