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Kommentar Hartz IV für EU-BürgerDann eben ohne Stütze

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Vertauschte Rollen: Der EuGH schützt die Interessen der Mitgliedsstaaten, das Bundessozialgericht setzt sich für zugewanderte EU-Bürger ein.

Viele EU-Ausländer werden sich denken: lieber keine Sozialhilfe als eine Ausweisung. Foto: dpa

J ahrelang haben deutsche Sozialgerichte diskutiert, ob EU-Bürger teilweise von Hartz -IV-Leistungen ausgeschlossen werden dürfen oder nicht. Viele deutsche Richter gingen davon aus, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) die restriktive deutsche Gesetzeslage beanstanden wird. Das hat er jedoch nicht getan. Inzwischen gibt es drei EuGH-Urteile, die mit guten Gründen den Spielraum des deutschen Gesetzgebers betonen, eine Überlastung des hiesigen Sozialsystems zu verhindern.

Völlig unerwartet hat inzwischen aber das Bundessozialgericht (BSG) EU-Bürgern Sozialhilfeansprüche gewährt, die im Gesetz ausdrücklich ausgeschlossen waren. Es wirkt wie ein Spiel mit vertauschten Rollen: Der EuGH schützt die Interessen der Mitgliedstaaten, das nationale Gericht wiederum setzt sich für zugewanderte EU-Bürger ein.

So sympathisch die Grundhaltung des BSG auch ist: In der Sache kann es nicht überzeugen. Auch linke JuristInnen gehen davon aus, dass die Kasseler Richter hier eine unzulässige Rechtsfortbildung am Gesetzgeber vorbei betrieben haben. Der Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach mit dem Existenzminimum keine Migrationspolitik betrieben werden darf, überzeugt nicht. Das Karlsruher Urteil zielte auf Flüchtlinge ab, die nicht nach Hause gehen können. Spanier oder Rumänen sind aber keine Flüchtlinge.

Inzwischen hat das BSG auch die Kehrseite seines Urteils offenbart. Wenn die Kommunen nicht für mittellose EU-Bürger zahlen wollen, könnten sie diese ja ausweisen, so die Urteilsbegründung. Der Sozialhilfeanspruch sei nur die Folge von „Vollzugsdefiziten im Ausländerrecht“. Im Interesse der Freizügigkeit ist das nicht.

Die meisten Betroffenen werden wohl sagen: Lieber keine Sozialhilfe als eine Ausweisung. Wer sich bisher mit Kindergeld, Schwarzarbeit und der Hilfe von Freunden durchgewurschtelt hat, muss das Bundessozialgericht eher fürchten.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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1 Kommentar

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  • "Der Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach mit dem Existenzminimum keine Migrationspolitik betrieben werden darf, überzeugt nicht".

     

    Das Bundessozialgericht hat recht!

     

    Erstens hat das Bundesverfassungsgericht richtig gehamdelt. Die Rechtsauslegung in Bezug auf Artikel 1 GG in Verbindung mit dem Artikel 20 GG ist darch anderes Recht wie EU Recht nicht zu wiederlegen, besonders wenn die Rechtsauslegung zu Lasten eines Menschen gehen würde. Diese beiden Gesetze sind zudem nicht umsonst durch die Ewigkeitsklausel für Deutschland verewigt sind. Es gibt außerdem eine Klausel, wonach ein Mensch die für sich günstigere Rechtsgrundlage nutzen darf, wenn es zum Beispiel Unterschiede in der Rechtsauslegung zwischen Grundgesetz und EU Recht gibt. Das Bundesverfassungsgericht ist der Meinung, dass das Grundgesetz die Menschenrechte der Charta der Grundrechte der Euripäischen Union oder Menschenrechtskonvention bereits berücksichtigt.

     

    Das Deutsche Institut für menschenrechte sollte beauftragt werden, um das zu prüfen.

    http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/startseite/

     

    Das andere ist Politik. Viele EU Staaten wollen nicht, für Migranten Sozialleistungen bezahlen.

     

    Das Sozialsystem der EU sollte harmonisiert werden. EU braucht ein gemensames System, wie das gemeinsame Arbeitslosengeld 1, Hatz 4 und Sozialhilfe. Es könnte sich größtenteils selbst finanzieren, wenn Arbeitnehmer die aus einem anderen EU Staat einreisten, zusätzlich Steuern (Arbeitnehmerbeiträge) in eine spezielle EU Kasse einzahlen würden. Daraus könnten soziale Leistungen für zugewanderte EU Bürger zum Teil finanziert werden. Und die Regierung des Herkunftslandes eines EU Bürgers, der soziale Leistungen in einem anderen EU Land beantragt, muss diese anteilig mittragen.