Kommentar Hartz IV-Urteil: Rechtens - aber ungerecht

In der Mittelschicht herrscht Absturzangst, viele gut verdienende Menschen verachten Langzeitarbeitslose. Hartz IV ist das Paradebeispiel für falsche Gleichbehandlung.

Ein Facharbeiter hat 30 Jahre geackert und brav Beiträge für die Arbeitslosenversicherung gezahlt. Dann verliert er seinen Job. Ist es vertretbar, wenn ihm der Staat die Arbeitslosenhilfe streicht? Und nach einem Jahr nur noch Hartz IV zahlt?

Diese Fragen betreffen das Kernstück der Hartz-Reformen. Durch sie ist die Linkspartei stark geworden und die SPD fast zerbrochen. Das Verfassungsgericht hat die Fragen jetzt klar beantwortet: Ja, es ist vertretbar, zumindest nach dem Grundgesetz.

Die Logik der Richter ist formal einleuchtend. Die damalige Arbeitslosenhilfe wurde mit Steuergeld finanziert, nicht mit von Arbeitnehmern eingezahlten Beiträgen. Insofern kann ein Wegfall kaum das Grundrecht auf Eigentum verletzen.

Auch politisch gab es gute Gründe, diese Leistung zu überdenken: Natürlich ist es Menschen zuzumuten, in Notzeiten auch eigene Ersparnisse anzugreifen. Die Arbeitslosenhilfe war ein Rundumschutz, der ein etwas reduziertes Einkommensniveau auf Lebenszeit garantierte. Das nutzte vor allem Gutverdienern.

Die sozialpolitische Skandal von Hartz IV aber, den sämtliche Parteien außer der Linkspartei mittragen, ist, dass die Regelung alle Arbeitslosen sehr rasant und sehr tief abstürzen lässt. Anstatt Leistungen gestaffelt abzusenken, spielen für den Gesetzgeber Dauer der Arbeitszeit und das Gehalt keine Rolle mehr - von minimalen Vorteilen für Ältere abgesehen.

Der Schaden durch diese Ungerechtigkeit ist enorm, durch sie ist die Gesellschaft ins Rutschen gekommen. In der Mittelschicht herrscht Absturzangst, viele - noch - gut verdienende Menschen verachten Langzeitarbeitslose. Hartz IV ist das Paradebeispiel dafür, was falsche Gleichbehandlung anrichten kann.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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