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Kommentar Gysi-RückzugNun erst recht übers Regieren reden

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Für die die Linke birgt der Rückzug von Gregor Gysi eine Chance. Die Partei muss in ernsthafte Diskussionen um ihren Kurs einsteigen.

Er wollte seinen Laden zusammenhalten: Gregor Gysi. Foto: dpa

E r geht also. Gregor Gysi gibt den Fraktionsvorsitz ab. Auf den ersten Blick eine schlechte Nachricht für die Reformer in der Linkspartei, die irgendwann regieren wollen: Mit Gysi stand schließlich der prominenteste Vertreter ihres Lagers an der Fraktionsspitze. Auf den zweiten Blick haben die Realos aber Grund zur Freude, denn die Debatte um eine linke Regierungsbeteiligung könnte endlich Fahrt aufnehmen.

Gysi mag seit der Bundestagswahl 2013 zwar den Ehrentitel des Oppositionsführers tragen. Inhaltlich geführt hat er zuletzt aber nicht einmal seine eigene Fraktion. Das Amt des Fraktionschefs definierte er anders: Er wollte nicht vorangehen und für kontroverse Positionen kämpfen. Er wollte seinen Laden zusammenhalten und stets Kompromisse zwischen den verfeindeten Parteiströmungen finden.

Das führte zeitweise zu einer seltsam unpolitischen Haltung. Das pauschale Nein der Linkspartei zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr zum Beispiel ist eines der größten Hindernisse für Rot-Rot-Grün. In Interviews mahnte Gysi deshalb vor dem Parteitag, die Linke müsse ihre Position überdenken. Welche Art von Einsätzen er für akzeptabel hält, wollte er aber partout nicht verraten.

Damit machte er es den Gegnern einer Regierungsbeteiligung zu einfach: Sie müssen gar nicht erst konkret erklären, warum die Bundeswehr weder mit hundert Soldaten im Kosovo stehen noch syrische Chemiewaffen vernichten darf.

Kein Blatt vor den Mund nehmen

Das könnte sich jetzt ändern. Als einfacher Abgeordneter steht Gysi zwar nicht mehr täglich vor den Kameras. Sein Wort ist in der Partei aber weiterhin etwas wert, und auf die Befindlichkeiten der verschiedenen Parteiströmungen muss er in Zukunft weniger Wert legen. Als Elder Statesman wird er kein Blatt mehr vor den Mund nehmen. Damit könnte er seine Partei zu einer ernsthaften Diskussion zwingen.

Und Gysis Nachfolger, die voraussichtlich Sahra Wagenknecht und Dietmar Barsch heißen werden? Wagenknecht wird einen Teufel tun, eine rot-rot-grüne Koalition vorzubereiten. Sie wird weiterhin den linkesten Teil der Linken bedienen; in einer Art Arbeitsteilung, von der Bartsch profitiert: Er muss den Fundamentaloppositionellen nicht den Bauch pinseln. Mit ihm stünde also ein Reformer an der Fraktionsspitze, der ohne Drucksereien für eine linke Regierung werben darf.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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13 Kommentare

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    Übrigens ist Wagenknecht gar nicht besonders links mit ihrer Erhardt-Marktwirtschaft.

    Weniger Show mehr echte Veränderung.

  • /*Das führte zeitweise zu einer seltsam unpolitischen Haltung. Das pauschale Nein der Linkspartei zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr zum Beispiel ist eines der größten Hindernisse für Rot-Rot-Grün. In Interviews */

     

    Aha, das hätte ich jetzt auch niemals gedacht, dass ich so etwas mal als größtes Hinderniss einer Koalition mit den Grünen lesen muss...

    Ich bin einfach nur noch entsetzt, auch dass ein generelles Nein zu Militär-Einsätzen neuerdings als "unpolitische Haltung" angesehen wird.

  • Große Teile der Linkspartei haben sich augenscheinlich immer noch nicht damit abgefunden, dass man für die - nach eigenem Empfinden - richtigen Ideen und Positionen nicht per ordre mufti auch eine satte Mehrheit an Stimmen bekommt. Es sind halt nicht nur die "Mainstream"-Parteien, die ihren Frieden mit einer wirtschaftlich orientierten EU, den Hartz-Reformen oder Militäreinsätzen an weltweiten Krisenherden gemacht haben, sondern auch und vor allem die meisten Wähler. Wenn man von denen nur zehn Prozent repräsentiert, kann man auch nicht erwarten, achtzig Prozent seiner Vorstellungen umzusetzen.

     

    Und die bisherige Opposition ohne Regierungswillen funktioniert auch nur, solange man Darstellungsgenies wie Gysi hat, die linke Positionen auch im Dialog mit "Nicht-Linken" vertreten können. Eine Wagenknecht - und noch mehr ihre weniger redegewandten Gleichgesinnten - kann in der Konfrontation mit Andersdenkenden eigentlich nur monologisieren. Das klingt toll, wenn man im selben Lager sitzt, aber teilweise spricht der Fundi-Flügel einschließlich Wagenkencht dabei nicht einmal dieselbe Sprache wie die neunzig Prozent, denen er eine bessere Welt vermitteln will. Was man da hört, ist in eine idelogisch überlagerte Wortwelt, die ohne einen linken Grundkonsens nicht einmal Sinn ergibt. Wie soll daraus je eine breite Bewegung und damit der gewünscht Zugang zu echter politischer Durchsetzung werden (unter dem es ja die Fundis nicht machen wollen)?

  • Angesichts einer wiedererstarkenden FDP und einer ins Parlament einziehenden AfD mit einer CDUCSU um die 40% ist die Frage nach Rot-Rot-Grün vollkommen überflüssig.

  • 9G
    970 (Profil gelöscht)

    Immer dieser Schwachsinn über die "Reformer"... wer soll das sein? Linke, die nicht ganz so links sind?

     

    Eure Darstellung der Partei hat mit meiner erlebten Realität NICHTS gemeinsam. Das ist doch interessant, oder?

  • Reformer, geht zu SPD oder Grünen!

  • Da scheint mir wieder einer den Parteitagsverlauf mit der Spaltungsbrille schildern zu wollen, der die und das Besonnene(n) als Haltung verbohrter Neinsager hinstellen möchte, was nicht dem Verlauf und Inhalten des Wochenendes in Bielefeld entspricht, die man, wie auch die große gezeigte Einheit, auch in diesem Kommentar nicht wiederfindet.

     

    Gysi selbst hatte darauf hingewiesen, sPD und „Grüne“ müssten zeigen, ob es ihnen ernst ist mit einer sozialen, volkswirtschaftlich nützlichen, Frieden und Gerechtigkeit anstrebenden Politik, nicht die Partei „Die Linke“ Bereitschaft für Einlenken in den Unsinn zeigen, den die vorgenannten in Anbiederung an CDU/CSU mitgedacht und mitgetragen haben.

     

    Regierungsbeteiligung zum hohen und höchsten Preis weitgehender Anpassung bringt nichts, soweit schien man sich in Bielefeld einig zu sein, zumal dies auch die Stagnation der „Grünen“ und der tiefe Fall der sPD belegt.

     

    Übers Regieren und was dabei passiert zu reden ist zwangsläufig, denn sPD und „Grüne“ können jetzt noch weniger so weitermachen wollen wie bisher.

  • Es ist doch regelrecht egal, was Bartsch und Wagenknecht wollen oder denken - keine einzige Partei im Bundestag will mit der Linkspartei koaliieren. Die anderen Parteien streiten nicht mal mit der Linkspartei, sondern ignorieren sie. Die Linkspartei ist eine isolierte Kraft im politischen System geworden, weil SPD, CDU, CSU, FDP, Grüne und ein großer Teil der Gewerkschaften und Verbände ihren Frieden mit den Hartz-Reformen, der Riesterrente und der ansteigenden Armut gemacht haben.

     

    Eine Partei, die den Finger in die Wunde liegt, wird eben nicht diskutiert, sondern isoliert und ignoriert.

     

    Das ist doch auch das Problem von Gysie gewesen: In Berlin musste die Linke gegen ihre Überzeugungen regieren und konnte recht wenig an 'linker' Politik umsetzen, musste aber ihre Mitglieder und Wähler bei der Stange halten. Viele Journalisten ergehen sich dazu noch darin, genau diese Situation auf die Partei selber zurückführen zuwollen, obwohl es so nicht war. Über Regieren kann die Linke alleine gar nicht reden - dazu braucht sie Partner. Ohne Angebote ist das sogar kontraproduktiv, weil es eben sprechen über ungelegte Eier wäre.

     

    Ich glaube, dass der Abgang Gysies für die Partei eher neutral sein wird. Es müssen andere nachwachsen - ja, aber wie? Die müssen sich eben erst noch härten und Politik fordert sehr viel und gibt wenig zurück. Es ist eine undankbare Tätigkeit - große historische Entscheidungen sind in Deutschland durch eine geheime Systemkoalition von SPD, CDU, CSU, FDP und Grünen gar nicht möglich. Auch Sarah Wagenknecht ist nur eine Randnote in der Geschichte - sie kann konkret praktisch gar nichts bewegen.

     

    Die Linke kann höchstens außerhalb von Parlamenten und Regierungen in die Gesellschaft wirken und dort lernen, sich Einfluss zu verschaffen, aber genau das tut sie nicht. Diese Partei ist von ihrem Grundmuster eben nicht anders als die CSU - Abgeordnete, Büros, Regierungen - das ist die Trias dieser Partei.

    • @Andreas_2020:

      Jetzt bei der Verfassungsändernden Mehrheit von Rot-Schwarz mag es stimmen, dass andere Parteien nichts bewirken können. Aber wenn wir wieder ein Rot-Grün haben, mit der üblichen knappen Mehrheit, kann die Zustimmung der Linken die linken Flügel beider Parteien stärken.

       

      Wenn linke Grüne ihren Fraktionskollegen sagen können „was schert es uns, wenn 10% von uns abspringen? Wir überstimmen euch mit den Stimmen der Linken“, dann ändert sich die innerparteiliche Struktur.

      • @Arne Babenhauserheide:

        Rot-Grün hat mit Hartz-IV und der Riester-Rentenreform schwere Fehler begangen und hat damals keine Probleme mit linken Kritikern gehabt. Das waren am Ende eine Minigruppe. Gerade Rot-Grün ist doch aus Sicht einer emanzipatorischen Betrachtung von Politik eines der schlimmsten Beispiele überhaupt. Die Grünen sind doch zum Schoßhündchen eines rechts-liberalen SPD-Kanzlers mutiert. Und Merkel macht Schröder mit anderen Mitteln - sie will nichts Neues, aber sie steht zu dieser neoliberalen Politik, die vor allem auf einer nicht besteuerte Oberschicht, eine ausgepresste Mittelschicht und eine mit Hartz-IV traktierte Unterschicht basiert. Innerpartelich war die SPD-Linke mal in der Lage Helmut Schmidt in die Enge zu treiben, bei Gerd Schröder war sie nur eine Restgröße - eine Art lebendiges Museum der linken Bewegung. Deswegen glaube ich nicht, dass Deine Aussage stimmt. Ich glaube, dass die Linke weiterhin isoliert bleiben wird und dass sie sich in den Parlamenten und Gremien nicht neue Mehrheiten oder ein anderes Bewusstsein erarbeiten können. Die Linke macht ja oft exzellente Arbeit - aber es bewirkt sehr wenig.

    • @Andreas_2020:

      ich hab´s so gehört, man würde sich den Mindestlohn als indirekten Erfolg auf die Fahnen schreiben.

    • 6G
      688 (Profil gelöscht)
      @Andreas_2020:

      "Es ist doch regelrecht egal, was Bartsch und Wagenknecht wollen oder denken ..."

       

      Es ist leider nicht egal, denn die stehen dort für Links / Sozialismus!