Kommentar Guantánamo: Mahnmal für internationales Scheitern
Guantánamo zeigt: Wer einmal den Rechtsstaat aussetzt, handelt sich eine Hypothek ein, die kaum abzutragen ist.
S keptiker bekamen am Wochenende recht: Ranghohe Beamte der US-Regierung kündigten an, dass Präsident Obamas Zeitplan zur Schließung des Gefangenenlagers in Guantánamo nicht einzuhalten sein wird. Das war abzusehen, und daher gleich vorweg: Die US-Regierung ist keineswegs allein verantwortlich zu machen für diese erneute Schlappe. Doch den in Guantánamo Einsitzenden hilft das wenig.
Die juristisch äußerst komplizierte Bewältigung dieser enormen Hypothek des "Kampfes gegen den Terror" sollte allen eine Warnung sein. Verletzte Rechtsstaatlichkeit, und schien sie im Moment der Angst vor dem Terror auch noch so plausibel, lässt sich nur schwer wiederherstellen.
Die Probleme bei der geplanten Schließung sind schier nicht auflösbar: Unter Folter erpresste Geständnisse sind vor Strafgerichten nicht verwertbar. Exterritorial aufgegriffene und inhaftierte Verdächtige können nicht einfach so auf das Territorium der Vereinigten Staaten gebracht werden. Hinzu kommt, dass die Heimatländer zahlreicher Gefangener, wie Jemen und Russland, selbst kein rechtsstaatliches Justizsystem vorzuweisen haben und damit ein Rücktransfer der Gefangenen unverantwortlich wäre.
Adrienne Woltersdorf ist Korrespondentin der taz in Washington, D.C.
Zynisch gesprochen ist der Status quo auf Guantánamo angesichts dessen zunächst die einfachste Lösung. Obama mag wirklich die gute Absicht haben, das Lager aufzulösen. Doch angesichts aller übrigen Herausforderungen seiner noch jungen Präsidentschaft ist er jenseits symbolischer Akte nicht bereit, diesem Problem seine ganze Aufmerksamkeit zu widmen.
Hier hätten ihm Regierungen wie die deutsche, die sich durch schweigendes Einverständnis bei illegalen Gefangenentransporten über Deutschland mitschuldig machte, sehr helfen können. Doch die westlichen Partner sind nicht bereit, ihrer Menschenrechtskritik auch Taten folgen zu lassen.
Die Folge von den vielen richtigen Worten ohne Konsequenzen ist, dass sich die westliche Wertegemeinschaft weiter ein massives Vergehen gegen die eigenen, immer wieder vorgetragenen Prinzipien leistet. Das unterläuft nicht nur Obamas Politik der ausgestreckten Hand gegenüber der islamischen Welt, sondern auch die der Bundesregierung. Mit jedem Tag, den das Lager existiert, schwindet weltweit die Glaubwürdigkeit der demokratischen Systeme.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen