Grundsicherung für Kinder - ein Optionsmodell
Mit dem Ziel der Vermeidung von Kinderarmut
und zur Schaffung von Anreizen zur Arbeitsaufnahme von Eltern
Kurzkonzept und Diskussionsbeitrag für die interessierte Öffentlichkeit
und die Entscheidungsträger in den Ministerien
Das derzeitige System der Grundsicherung für erwerbsfähige Arbeitslose und Geringverdiener ist in seinen Wirkungen – wie inzwischen fast allgemein anerkannt wird – nicht optimal.
In Abhängigkeit von den jeweils gegebenen Bedingungen des Arbeitsmarkts greift das Prinzip des Forderns und Förderns oft nicht.
In Bundesländern wie Berlin mit einem hohen Sockel von Langzeitarbeitslosigkeit oder in strukturschwachen Gebieten haben die Hartz-IV-Reformen statt eines Abbaus der Erwerbslosigkeit eher einen verfestigenden Effekt gehabt und gerade auch für Geringverdiener oder Arbeitslose mit Kindern negative Anreize zum Verbleib im Sicherungssystem geschaffen.
Die am Bedarf der jeweiligen Haushaltsgemeinschaft orientierten Transferleistungen sind gerade für Familien oft höher als potentielle Nettoverdienste aus Arbeitstätigkeiten.
Im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion um eine am Existenzminimum orientierte Grundsicherung für Kinder und um die noch ausstehenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Ausgestaltung der Transferleistungen unter diesem Aspekt, muss neu entschieden werden, wie einerseits bei Alleinerziehenden und Familien mit mehreren Kindern gesichert werden kann, dass die heranwachsende Generation in menschenwürdigen und unter die Entwicklung fördernden Bedingungen leben kann und andererseits Erwerbsarbeit der Eltern wieder als gesellschaftliche Norm und innerfamiliäres Modell gefördert werden kann.
Das zur Diskussion gestellte Modell der Grundsicherung für Kinder (als im Wesentlichen einkommensunabhängiger, andere soziale Leistungen oder steuerliche Erleichterungen zusammenfassender und ersetzender Transfer in Höhe von etwa 500 € im Monat) könnte – in einem klug festgelegten Rahmen – der entscheidende Hebel sein, um neue Anreize zu setzen, die bei reduzierter Bürokratie die Arbeitsaufnahme erleichtern und gleichzeitig für die Familien das nötige Einkommen sichern würden.
Welche Effekte hätte die Grundsicherung für Kinder als Alternative zum ALG II ?
In Abhängigkeit von der Anzahl der Kinder könnte die Grundsicherung ein bedeutender Teil des Familieneinkommens sein.
Ist dies wünschenswert? – Ja.
Es ist bekannt, dass in der Tendenz Familien mit Migrationshintergrund derzeit mehr Kinder gebären als deutsche Familien (s. a. Bericht der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung).
Gerade dieser Umstand könnte bei einseitiger Betrachtung als Argument gegen eine „relativ großzügige“ Kindergrundsicherung ins Feld geführt werden: kinderreiche Familien, die heute fast zwangsläufig mit Erwerbslosigkeit, Bildungsferne, mangelnder Integration etc. in Verbindung gebracht werden, könnten ihren Lebensunterhalt allein dadurch sichern, dass die Frauen vier oder fünf Kinder in die Welt setzen.
Der Anreiz zum Gebären von Kindern würde erhöht, ohne gleichzeitig Anreize zur Arbeitsaufnahme zu setzen.
Bei einer vernünftigen Ausgestaltung der Bedingungen für die Inanspruchnahme der Kindergrundsicherung kann und muss der Akzent so gesetzt werden, dass die Kindergrundsicherung nur dann gewährt wird, wenn die Eltern ihr eigenes Existenzminimum selbst verdienen. Das entspricht der Logik des Förderns und Forderns und verhindert weitgehend, dass Eltern auf Kosten ihrer Kinder leben.
Wenn die Kindergrundsicherung ausreichend ist, die verschiedenen Bedarfe der Kinder (nicht nur Essen, Trinken, Kleidung, sondern auch den Wohnbedarf und die Freizeitgestaltung und Teilhabe an der Gesellschaft) abzudecken, dann wird es für die Eltern erheblich einfacher, ihren eigenen Bedarf durch Arbeit zu decken.
Statt der Losung einer ‚Grundsicherung für alle’ (die nur in Teilen der Bevölkerung populär ist und als groß angelegtes gesellschaftliches Experiment mit schwer vorhersehbaren Auswirkungen gelten kann) ist die Grundsicherung für Kinder ein Modell mit potentiell breiter gesellschaftlicher Akzeptanz, das zukunftsgerichtete Modell einer Gesellschaft, in der die Entscheidung für oder gegen Kinder weniger von den durch die Bedürfnisse von Kindern oft verursachten finanziellen Einschränkungen der Möglichkeiten der Eltern beeinflusst sein wird.
Die Kindergrundsicherung würde vor allem die Bevölkerungsgruppen gezielt entlasten, die in Deutschland zu wenig Anteil am gesellschaftlichen Reichtum und zu wenig Zukunftsperspektiven haben (Alleinerziehende, Geringverdiener mit Kindern, Kinderreiche).
Durch diese Form der Grundsicherung würde auch die Stigmatisierung, die Empfänger von ALG II betrifft, entfallen.
Es bleibt zu prüfen, ob dieses Modell nicht mittelfristig kostengünstiger ausfällt als die jetzigen Familienleistungen und sozialen Leistungen für Kinder (bei Anrechnung des anteiligen Wohnbedarfs für Kinder in Bedarfsgemeinschaften).
Warum sollte die Kindersicherung zunächst als Optionsmodell erprobt werden?
Weitreichende Strukturreformen können am ehesten dann gelingen, wenn sie nicht bürokratisch oktroyiert, sondern von den Betroffenen selbst aktiv gewählt werden können.
Die Kindergrundsicherung sollte daher als Option per Antrag zunächst denen offen stehen, die als Geringverdiener oder Empfänger von Transferleistungen Kinder erziehen und gleichzeitig nachweisen können, dass sie durch eigene Arbeit längerfristig mindestens 500,-€ pro Person oder mindestens 800,-€ pro zwei Personen verdienen können.
In den ersten beiden Jahren der Erziehung von Kleinkindern sollte das Familiengeld für die Mutter oder den Vater, die es in Anspruch nehmen, bis zur Höhe von 500,-€ aufgestockt werden können, da die Kindererziehung in den ersten beiden Lebensjahren als gleichwertig (in Bezug auf Erwerbsarbeit) betrachtet werden kann – s. a. das von der Regierungskoalition anvisierte Betreuungsgeld.
Beitrag von Kristine Leithold (tätig in der Sozialberatung von Migranten, Berlin)
Kristine_Leithold@yahoo.de
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