Kommentar Grünen-Parteivorsitz: Riskieren, um zu überleben
Die beiden Realos Robert Habeck und Annalena Baerbock als neue Grünen-Chefs? Die schwächelnde Ökopartei könnte deren Energie gut gebrauchen.
J a, das kann gut werden mit Robert Habeck, Annalena Baerbock und den Grünen. Dieses frische und (einigermaßen) junge Duo an der Parteispitze, das hätte was. Beide Politiker sind Talente, beide stehen für einen neuen, undogmatischen Stil und beide agieren erstaunlich angstfrei. Das ist nicht alles, aber ziemlich viel. Denn Mut werden die Grünen in den nächsten Jahren dringender brauchen denn je.
Da wäre Habeck, der eloquente Cowboystiefelträger aus dem Norden, Traum aller glutenfrei lebenden Schwiegermütter. Er gibt mal eben ein Ministeramt mit Traumzuschnitt (Umwelt, Energiewende und noch so einiges) für die risikoreiche Mammutaufgabe auf, den Grünen einen modernen Look zu verpassen. Dieser Schritt ist hart, er verströmt genau den Aufbruchswillen, den man bei der Ökopartei in den vergangenen Jahren vergeblich suchte.
Auch Baerbock geht ins Offene. Die resolute Klimaschutzexpertin aus Brandenburg hat zwei kleine Kinder, sie hätte Argumente genug, sich risikofrei auf ihr Bundestagsmandat zu konzentrieren. Dass sich diese kluge, an Parteiarbeit interessierte Frau für den Vorsitz bewirbt, sollte die Grünen freuen. Übrigens auch deshalb, weil Baerbock mit ihrer Bewerbung offensiv gegen das ungeschriebene Gesetz der grüneninternen Flügellogik verstößt.
Es stimmt: Habeck und Baerbock sind beide Realos, in einem solchen Duo kämen die Links-Grünen nicht vor. Aber ist diese Arithmetik noch zeitgemäß? Linke Grüne und Realos liegen nur noch bei wenigen Themen fundamental auseinander, meist werden die Flügel dann hervor gekramt, wenn es um Posten geht. Wenn Habeck und Baerbock betonen, die Flügelstreits nervten nur noch, dann haben sie Recht. Die Grünen brauchen in den langen, dürren Jahren Opposition, die vor ihnen liegen, all ihre Energie, um sichtbar zu bleiben.
Hinter dem Stolz gähnt analytische Leere
Die neue Parteispitze, aus wem auch immer sie bestehen möge, steht vor großen Aufgaben. Die Grünen sind im Moment noch sehr stolz darauf, dass sie Jamaika verantwortungsbewusst und geschlossen verhandelt haben. Aber hinter dem Stolz gähnt eine analytische Leere, die ihresgleichen sucht. Wo ist eigentlich die Fehleranalyse, die Cem Özdemir nach der Wahl versprach? Wo ist der Spitzengrüne, der ehrlich sagt, was schief lief? Ein paar unangenehme Antworten wären dringend nötig.
Denn die vor vier Jahren ausgerufene Strategie, in der bürgerlichen Mitte zu wachsen, ist gescheitert. Die Grünen präsentierten sich glatt, harmlos und regierungswillig, – sie gaben sich so große Mühe, nirgends anzuecken, dass wie Merkels wohl erzogene Bürgerkinder wirkten.
Und der Effekt? Ökologisch interessierte Konservative machten trotzdem einen Bogen um die Grünen. Gerettet hat die Ökopartei stattdessen, dass hunderttausende Wechselwähler von der am Boden zerstörten SPD überliefen. Sie sind, anders als gehofft, eben keine neue Volkspartei geworden, sondern auf dem politischen Abstellgleis gelandet – maximal biegsam, aber ohne Machtoption.
Aus diesem Scheitern müssen die Grünen lernen, wenn sie überleben wollen. Auch deshalb sind neue Gesichter wichtig. Habeck und Baerbock klingen ähnlich, wenn sie über den Kurs der Zukunft sprechen. Und was sie sagen, ist nicht dumm. Der vermeintliche Widerspruch zwischen radikal und staatstragend sei eine Stärke, keine Schwäche, findet Baerbock. Habeck will die Grünen zu einer bindenden Kraft in der linken Mitte machen, mit einer Kombination aus Relevanz und Idealismus.
Bereit zur Verantwortung, aber mit der nötigen Schärfe. Ob das funktioniert, ist offen. Aber es hätte eine Chance verdient.
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