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Kommentar Grüne und PädophilieAufklärer wider Willen

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Beim Thema Pädophilie klagen Grüne durchaus mit Recht, hier werde ein altes Thema neu instrumentalisiert. Deshalb hätten sie längst für Transparenz sorgen sollen.

Wärmt einen alten Grünen-Skandal für den Wahlkampf auf: CSU-Generalsekretär Dobrindt. Bild: dpa

E ndlich. Endlich haben sich die Grünen dafür entschieden, ein schmutziges Kapitel ihrer Geschichte wissenschaftlich aufklären zu lassen. Ein prominenter Politologe der Göttinger Universität wird jetzt untersuchen, wie weit der Einfluss pädophiler Gruppen in der Partei in den 80er Jahren reichte.

Dieser Schritt ist nicht nur richtig, er war überfällig. Nur eine unabhängige Instanz kann diese unselige Verstrickung ein für alle Mal klären, nur sie besitzt die dafür nötige Glaubwürdigkeit

Dabei haben führende Grüne durchaus recht, wenn sie klagen, ein altes Thema werde im Bundestagswahlkampf neu gegen sie instrumentalisiert. Ja, es ist nicht das erste Mal, dass die Republik ausgiebig über schmierige Gruppen wie die Stadtindianer und Daniel Cohn-Bendits Sätze aus den 70ern streitet, die er heute als schlechte Literatur bezeichnet.

Ja, der Neuigkeitswert manch reißerischer Zeitungsseite ist überschaubar. Und ja, es ist völlig hirnrissig, der heutigen Partei dieselbe Distanzlosigkeit zu Pädophilie zu unterstellen, wie es sie damals gab.

Anja Weber
Ulrich Schulte

leitet das Parlamentsbüro der taz in Berlin.

Die Pädophilie-Debatte böte reichlich Stoff für medienwissenschaftliche Seminare. Thema: Wie backe ich mir aus einem alten einen neuen Skandal? Doch reicht es als Grüner in diesem Fall nicht, auf mediale Erregungswellen zu schimpfen. Wenn die Gesellschaft immer wieder befremdet auf die Historie schaut, dann hilft nur Transparenz. Wenig hilfreich ist dagegen der Verweis, die alten Geschichten seien hinlänglich bekannt und im Übrigen in Archiven zugänglich.

Gerade die Tatsache, dass die Debatte die Grünen erneut einholt, belegt, wie nötig der Auftrag an die Universität war. Es ist einfach: Jede grüne Verteidigung steht im Ruch, pro domo zu argumentieren, während die Wissenschaftler die quälende Debatte beenden könnten. Und hier kommt die aktuelle Führung der Grünen ins Spiel.

Sie muss sich vorwerfen lassen, viel zu spät zu handeln. Und das Thema in der Vergangenheit dramatisch unterschätzt zu haben. Es gab seit den 80ern wahrlich genug Anlässe, um die Pädophilie-Verstrickung mit einer umfassenden, neutralen Studie aufzuarbeiten.

Doch auf diesen Gedanken sind die Grünen, die anderen gerne Intransparenz vorwerfen, nie gekommen. Nun bleibt ein unschöner Eindruck: Die Grünen mutieren nur deshalb zu engagierten Aufklärern, weil sie Schaden im Wahljahr fürchten.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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19 Kommentare

 / 
  • N
    N.P.

    Ich verstehe nicht, warum in all den Jahren kein Wissenschaftler (oder auch Journalist) die Geschichte mal gründlich recherchiert hat. Dass die Grünen nun den Auftrag geben, finde ich richtig, aber es hätte ja genausogut auch einfach mal jemand eine Doktoarbeit o.ä. schreiben können.

  • S
    Sabine

    Wenn es um ihre eigene Politik geht sind die Grünen oft nicht transparent.

     

    Noch heute wundern sich z.B. im Nachhinein viele in Bürgerinitiativen Engagierte, dass die Berliner Grünen einfach ihr Bürgerbeteiligungs-online-Portal abgeschaltet haben, mit dem sie im Berliner Wahlkampf 2011 mit der nervigen Frau Künast so angegeben haben.

     

    Da kamen einige kritische Fragen von Bürgern und da wars plötzlich aus mit der online-Bürgerbeteiligung. Zappenduster wars. Eine "Baustelle" ist diese "Eine Stadt für alle" -Webseite meines Wissens noch heute.

     

    Schade, dass die Grünen so eine heiße Luft Partei sind. Und noch dazu eine neoliberale, die so tut als sei sie für eine soziale Politik, wo uns die Grünen doch den größten Sozialabbau im Nachkriegsdeutschland eingebrockt haben. Damals zusammen mit der SPD als sie auf Bundesebene zuletzt mitregiert haben.

     

    Da haben die Grünen die Niedriglohn-Agenda 2010 eingeführt haben und das demütigende Armutsgesetz-Hartz-IV.

     

    Vielleicht hatte Cohn-Bndit so seltsame Ansichten zur

    sexueller Belästigung von Kindern, weil er selbst in die Odenwaldschule gegangen ist, wo es ja auch reichlich pervers zugegangen sein soll.

     

    Das war ja auch so ein verquastes pseudo-freies Milieu

    wie man hört.

     

    Weil in einem Kommentar das rot-grüne Prostitutionsgesetz angesprochen wurde (anderes Thema, ich weiß): In vielen Berichten habe ich gehört, dass dieses Gesetz nur den Zuhältern und Bordellbetreibern nutzt, die dadurch reicher geworden sind, den Frauen aber nicht. Außerdem hätte es den Frauenhandel enorm verstärkt.

     

    Wenn man überhauptmal genau guckt, was Grüne und SPD von 1998 bis 2005 für schlechte gesetze gemacht haben, da zieht es einem die Schuhe aus. Die waren genauso schlimm wie Schwarz-Gelb. Nur sie haben ihre WählerInnen komplett verraten durch ihre Politik !

     

    Nicht ohne Grund ist nach ihrer verheerenden Regierungspolitik die Linkspartei gegründet worden.

  • SG
    Schmidt Georg

    PS bei den Grünen weisst man nun daraufhin-dass das doch eigentlich olle Kamillen sind-da stellt sich doch Frage, wie ist das allgemeine Verfallsdatum eines Ereignisses, gilts für alle-oder nur für dei Grünen ??

  • SG
    Schmidt Georg

    oje, alles muss herhalten um die Diskussion abzuwürgen-Kernkraft-nicht die CDU, sondern BKler Schmidt und die SPD haben die KK vorangetrieben-Formel plus 10%, wurde in den siebziger von Herrn Helmut Schmidt ausgegeben und natürlich unter den bunten Haufen der Grünen waren halt auch ein paar winzige Grüppchen von Kinderliebhaber-das muss eine aufstrebende Partei doch verkraften können !naja-C Bandit hat ja die Odenwaldschule besucht, wäre ich nun gehässig, würde ich sagen, da hat er gleich den richtigen Einstieg in Beziehung Kinderliebe bekommen!

  • G
    Georgia

    von Ulrich Schulte. "Ja, der Neuigkeitswert manch reißerischer Zeitungsseite ist überschaubar. Und ja, es ist völlig hirnrissig, der heutigen Partei dieselbe Distanzlosigkeit zu Pädophilie zu unterstellen, wie es sie damals gab."

     

    Schön wenn man so überzeugt aus dem Bauch heraus sagen kann was hirnrissig ist und was nicht ;-)

  • V
    viccy

    @ Hans Lotus

    Die Sexualbeziehungen Minderjähriger untereinander sind aber EIN Aspekt des Themenkreises "Pädophilie". Wer nun alles in Bausch und Bogen verdammt, worüber die Grünen da einst gesprochen haben, tut einer rationalen Debatte keinen Gefallen.

     

    Und was nicht nur gesagt, sondern auch getan wurde, weiß ich nicht; immerhin hat sich noch niemand gemeldet und bekundet, ein Grüner hätte ihn vor 30 Jahren betatscht oder Schlimmeres. Wer weiß, vielleicht kommt das im September.

  • C
    claudia

    Vieles spricht dafür, dass Cohn-Bendit nicht nur provoziert hat: Selbstanzeigen im Buch (1975) und im französichen Fernsehen (1982, damals als 37-jähriger), das Umfeld über zwei Jahrzehnte (inkl. Odenwaldschule), der Anspruch, stets Denken, Reden und Tat im Einklang zu haben ... Objektive Entlastung gibt es nicht, aber eine Absolution von vielen Freunden: Kretschmann, Göring-Eckardt etc - die bei Anderen "Null-Toleranz" fordern. Ist das der moralische Anspruch, den nur die "Partei der Werte" erfüllt?

  • HL
    Hans Lotus

    @viccy:

     

    Die Grünen haben nicht über die Sexualbeziehungen von Minderjährigen untereinander gesprochen, sondern es ging ganz konkret über die Legalisierung von "einvernehmlichen Sex zwischen Kindern und Erwachsenen". Für Päderasten waren die Grünen die ideale Partei, um eine Legalisierung ihrer Neigung durchzudrücken.

     

    Und wer glaubt, dass die erwachsenen Mitglieder der "Stadtindianer" oder Cohn-Bendit nur über theoretische Möglichkeiten fabuliert haben ...

  • V
    viccy

    @ Hans Lotus

    Ob man über etwas redet und diskutiert (z.B.!! ob es sinnvoll ist, einen 15-jährigen als Verbrecher vor ein Gericht zu zerren, wenn er Geschlechtsverkehr mit seiner 2 Jahre jüngeren Freundin hat), oder ob man es macht und tut, da ist aber noch mal ein Unterschied.

  • T
    tommy

    @viccy

     

    "Übrigens, in welchem Beruf sonst kann eine Frau ohne sonderliche Schulbildung so viel in der Stunde verdienen wie ein Chefarzt? "

     

    Find ich jetzt als Karrieremöglichkeit nicht so toll, sich von fremden Männern für Geld durchficken zu lassen, zumal das ja doch oft mit ausbeuterischen Strukturen mittels Zuhältern etc. verbunden ist; wenn ich eine Tochter hätte, würde ich mir jedenfalls nicht wünschen, dass sie in diesem Gewerbe "arbeitet". Sicher, Prostitution wird es wohl immer geben, aber muss man denn als Politiker das auch noch gutheißen?

  • RB
    Rainer B.

    @ Maria Müller

     

    Sie bringen es auf den Punkt. Die Grünen waren damals ein bunter Haufen aus dem gesamten Spektrum unserer Gesellschaft jenseits von CDU/SPD/FDP und Zweckverein, ähnlich wie heute vielleicht die Piraten. Und ja,- auf Demo's gegen Atomenergie gab es auch Gruppierungen, die Liebe mit Kindern propagierten.

    Eine mehrheitsfähige Strömung war das schon damals nicht und bei den Grünen heute würde keiner auf die Idee kommen, so etwas einführen zu wollen.

    Wer dieses Süppchen jetzt vor den Wahlen aufwärmen möchte, dessen Kampf gegen Pädophilie ist so ehrlich, wie das Gute-Nacht-Küsschen, das der Fuchs der Gans gibt.

  • HL
    Hans Lotus

    Angesichts des Eifers der Grünen, derartige Verfehlungen der katholischen Kirche (zurecht) zu ahnden, ist es nur recht und billg, dass diese Partei endlich auch zu ihren eigenen Sünden steht.

  • MM
    Maria Müller

    Den Grünen haben wir es zu verdanken, dass die CDU nicht ganz ins braune Lager gewandert ist! Sowie einige Grüne Themen sogar gekapert haben, wie Atomausstieg, um an der Macht zu bleiben!

    Das die Grünen für Straffreiheit bei gewaltloser Sexualität waren, ist genau richtig! Sie hätten aber besser vorher die Kinder ausklammern sollen! Dies haben sie scheinbar zu spät erkannt! Ein Anfänger Fehler! Dies aber nach 40 Jahren denen immer noch vorzuwerfen, um eine schwarze Regierung zu behalten, ist einfach nur Pervers.

  • V
    viccy

    @ tommy

    Immerhin wirfst Du den Grünen nicht vor, sie hätten die Prostitution erfunden...

     

    Übrigens, in welchem Beruf sonst kann eine Frau ohne sonderliche Schulbildung so viel in der Stunde verdienen wie ein Chefarzt?

     

    Bitte nicht Prostitution ohne Weiteres mit Zwangsprostitution und Menschenhandel gleichsetzen... Und ob etwas "moralisch" verwerflich ist oder nicht, unterliegt ohnehin dem Zeitgeist und ist keine Frage für das Strafrecht.

  • A
    Arcy

    "manch reißerischer Zeitungsseite" ? die taz jetzt auch, weil sie schon mehrfach drüber berichtet hat?

  • E
    EMMA

    "...als schlechte Literatur bezeichnet"

     

    Schaut man sich andere Quellen an, dann ordnen sich die Äußerungen durchaus schlüssig in den damaligen Diskurs ein.

     

    siehe auch "SEXUELLER MISSBRAUCH - Falsche Kinderfreunde (EMMA September/Oktober 1993)" mit Bezug zur Kinderladenbewegung, in der DCB tätig war. (http://www.emma.de/index.php?id=1257)

  • T
    tommy

    Ich finde nicht, dass das "alte Geschichten" sind - die fragwürdige Einstellung der Grünen zu Sexualität zieht sich doch bis in die Gegenwart, es war schließlich nicht zuletzt ihr Verdienst, dass Deutschland in den letzten zehn, fünfzehn Jahren zu einem Paradies für Prostitution und Menschenhandel geworden ist. Volker Beck mag sich heute nicht mehr für die "Rechte" von Pädosexuellen einsetzen, aber er bekundet öffentlich, dass für ihn an Sex mit Prostituierten nichts moralisch Verwerfliches ist (solange der Freier nur ein Gummi benützt). Das ist einfach nur dekadent.

  • A
    aujau

    Man beachte zum Thema den richrungsweisenden Artikel von Dr. Guenther Amendt in einer Konkret - Sonderausgabe "Sexualitaet".

  • SG
    Schmidt Georg

    jeder schleppt halt sein Päckchen mit und von Aufwärmen kann keine Rede sein- solange Leute in Spitzenpositionen sitzen, die, die Leute,immer noch solchen Gedanken anhangen-da nützt ein bischen, naja, das war gestern eben so, war halt ein bischen Provokation-so billig dürfen solche leute nicht davon kommen!