Kommentar GroKo und Hartz IV: Der fürsorgliche Herr Heil
Bei Anne Will stellt der SPD-Arbeitsminister ein anderes System als Hartz IV in Aussicht. Wirklich etwas ändern will er aber gar nicht.
M it dem vermeintlich entscheidenden Satz lässt sich Hubertus Heil bis kurz vor dem Abspann Zeit. „Mein Ziel ist es, dass wir in fünf bis zehn Jahren nicht mehr diesen Begriff Hartz IV haben müssen […], weil wir ein anderes System haben“, sagte der Bundesarbeitsminister am Sonntagabend bei „Anne Will“. Dumm nur, dass Heils vorangegangene Erläuterungen eher auf ein „Weiter so“ hindeuten. Denn statt des Systems Hartz IV erklärt der SPD-Minister nur seine Initiativen gegen Langzeitarbeitslosigkeit. Es ist zwar löblich, dass die neue Regierung dieses Thema angehen will – doch spricht sie damit nur einen kleinen Teil des Problems an.
Hartz IV ist im Wesentlichen ein Disziplinierungssystem für Arbeitnehmer, das weit über die Betroffenen hinausgeht. Die Regelsätze, die ein Leben in Würde verhindern, die Sanktionen und die Verpflichtung, vor dem Anspruch auf Leistungen Erspartes aufzubrauchen, schädigen nicht nur Betroffene – sie sollen Arbeitnehmer in Angst versetzen, um sie für den Arbeitsmarkt gefügig zu machen. Seit fünfzehn Jahren predigt die SPD dennoch das Mantra, man wolle Arbeit fördern und nicht Arbeitslosigkeit.
Auch Heil wiederholt das: „Unser Ziel ist doch nicht, Menschen mit viel Transfer zu verwalten, sondern zu einem selbstbestimmten Leben zu führen.“ Demnach sind ein Regelsatz von 416 Euro und Sanktionen (von denen Heil zumindest einzelne überdenken will) wohl ein Zeichen der Fürsorge. Die Betroffenen werden es ihm kaum danken. Zumal das Gegenteil der Fall ist. Mit Hartz IV ist ein selbstbestimmtes Leben nicht möglich. Selbstbestimmung gibt es nur für Beschäftigte, die zumindest so viel verdienen, dass sie nicht trotz Job ins ALG II rutschen.
Die Kernfrage ist auch nicht, wie man Menschen möglichst schnell in Arbeit bekommt, sondern welches Menschenbild eine Gesellschaft strukturiert. Hubertus Heil will am zynischen Menschenbild der Agenda 2010 festhalten. Daran ändern auch ein paar Milliarden für den sozialen Arbeitsmarkt nichts.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands