Kommentar Griechenland-Wahl: Zum Wohle des Volkes
Alexis Tspiras hat viele Fehler gemacht. Aber hatte er jemals eine Chance, seine Versprechungen in die Tat umzusetzen?
S ie waren eine Hoffnung für viele Griechen, Horror für saturierte europäische Staatenlenker und Projektionsfläche für Linke auf dem Kontinent: Alexis Tsipras und seine Syriza-Partei wollten so vieles anders und besser machen, dass sie an ihrem selbst gewählten Anspruch nur scheitern konnten.
Das Ergebnis des dritten Urnengangs in einem Jahr in Griechenland dokumentiert die Enttäuschung vieler Griechen über diese linke Regierung. Syriza kann zwar an der Regierung bleiben, doch der haushohe Sieg vom Januar ließ sich wohl nicht wiederholen. Wie denn auch? Für die griechische Bevölkerung hat die Regierung Tsipras keine ihrer versprochenen Wohltaten in die Tat umsetzen können. Weder geht es im Land viel gerechter zu als noch vor acht Monaten, noch ist es dem Premier gelungen, die verhassten Sparauflagen zu lindern. Eher das Gegenteil ist der Fall. In den nächsten Wochen und Monaten kommen weitere Belastungen auf die Menschen zu.
Aber hatte Syriza jemals eine Chance, ihre Versprechungen in die Tat umzusetzen? War das Scheitern der Regierung nicht geradezu zwangsläufig angelegt? Alexis Tspiras hat viele Fehler gemacht. Das Referendum gegen die EU-Sparauflagen war so erfolgreich wie fruchtlos. Das Steuersystem ist immer noch ungerecht. Tatsache ist aber auch, dass die Elite innerhalb der EU zu keiner Zeit dazu bereit war, die griechischen Forderungen nach einem Ende der Spirale des Sparens bis ins Elend auch nur ernsthaft zu diskutieren.
So blieb einer linken Regierung nur, die alten Rezepte fortzuführen, deren Abschaffung sie sich selbst zum Ziel gesetzt hatte, und die den Patienten noch siecher machen wird, als er ohnehin schon ist. Dass Tsipras am Ende diese durchaus falsche Politik exekutiert hat, ist ihm hoch anzurechnen. Denn die Alternative – eine Rückkehr zur Drachme – hätte für das Land in einem noch furchtbareren Desaster geendet.
So funktionierte Politik paradox: Tsipras’ Entscheidung, auch unter Aufgabe früherer Versprechungen noch größeren Schaden vom Land abzuwenden, hat die Basis für das immer noch gute Abschneiden der Partei bei diese Wahlen gelegt. Die griechische Linkspartei hat gezeigt, dass ihr das Hemd des Volkes allemal näher ist als die Jacke ideologischer Grundsätze. Sie hat eine zweite Chance verdient.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg