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Kommentar Griechenland-RettungAlle Macht geht vom Zinssatz aus

Ingo Arzt
Kommentar von Ingo Arzt

In Athen schnüren sie ein neues Hilfspaket und Deutschland verdient an der Griechenlandkrise, rechnet ein Wirtschaftsinstitut aus.

Griechenlands Finanzminister Tsakalotos: Er verdient nicht an der Griechenland-Rettung, im Gegensatz zum deutschen Kollegen. Foto: reuters

W eltwirtschaftsgeschichte seit 2007: Nach der Immobilien- die Finanzkrise, dann die Eurokrise, in der in diesen Stunden ein drittes Hilfspaket zur Lösung der Griechenlandkrise verkündet wird. Und mitten drin Deutschland, das so relaxt und cool durch die Krise geht. Wir sind Krisengewinner.

Schon die Rhetorik ist falsch. Krise, welche Krise? Es gehört zu den Verirrungen der öffentlichen Debatte, dass die Phase, in der sich die Weltwirtschaft befindet, noch als Krise bezeichnet wird. Sie ist ein neuer Normalzustand.

Und der führt zu einer neuen, globalen Ungerechtigkeit, die in ihrer Dimension noch kaum erfasst ist. Einer der großen Gewinner dieser Ungerechtigkeit sind wir, Sie, liebe LeserInnen, die Deutschen. Es ist eine neue Zinsungerechtigkeit.

Dazu hat das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) jetzt folgendes ausgerechnet: Allein im Bundeshaushalt sparte Deutschland seit 2010 unglaubliche 100 Milliarden Euro an Zinskosten. Das Land ist insgesamt mit rund 2,2 Billionen Euro verschuldet. Jeden Tag laufen alte Schuldentitel aus und werden durch neue bezahlt, zu niedrigeren Zinsen als die alten.

Der Grund: Banken, Versicherer, Investoren, das ganze System, in denen auch Ihr Vermögen oder Rente steckt (sorry falls dem nicht so ist), sie wollen ihr Geld irgendwo sicher anlegen. Also in deutsche Staatsanleihen. Wenn alle ihr Geld nach Deutschland schicken, sinken die Zinsen, die hier zu bekommen sind. Die Deutsche Bundesbank rechnete auf taz-Anfrage aus, dass sich der Effekt sogar auf 140 Milliarden Euro Einsparung seit 2007 beläuft, allerdings für den Gesamtstaat, also Bund, Länder, Gemeinden und Sonderposten wie Bad Banks. Richtig, das ist weit mehr, als bei einem Totalausfall der griechischen Schulden für den deutschen Fiskus verloren wäre - rund 90 Milliarden.

Deutscher Luxus

Nun sagt das IWH: Deutschland profitiert von der Griechenlandkrise, was richtig, aber eben auch verkürzt ist. Deutschland ist ein Günstling des anonymen, gesichtslosen Souveräns dieser Welt, „die Märkte“. Die Schulden von Staaten, Unternehmen und Privatpersonen sind in den letzten Jahren geradezu explodiert. Was für Regierungen heißt: Nur wer niedrige Zinsen zahlt, hat Entscheidungsspielraum. Alle Macht geht nicht vom Volk aus, sondern von den Zinssätzen.

Für Deutschland bedeutet das momentan Luxus. Die Bundesregierung kann Betreuungsgelder und anderen Schabernack einführen. Den finanzielle Spielraum würde allerdings kleiner werden und verschwinden, stiegen die Zinsen. Dann würde es in den modernen Frondienst gehen: kürzen für den Schuldendienst. Siehe Südeuropa.

Große Teile der deutschen Öffentlichkeit haben es noch nicht gerafft, dass wir hier in der gleichen Falle stecken wie vermeintliche Schuldenstaaten. Nur sind wir momentan auf der Gewinnerseite.

Deutschland hat nicht seine Hausaufgaben gemacht, sich nicht wegen Agenda 2010, Kurzarbeitergeld und Fleiß selbst wieder groß gemacht. Das ist nur ein Echo des alten Wirtschaftswundermythos. Wir haben uns nur marktkonformer verhalten als andere. Der Lohn: niedrige Zinsen.

Wir sollten besser weiterhin naiv an die allumfassende, metaphysische Weisheit der Märkte glauben, sonst schlafen wir schlecht. Momentan sind sie uns gewogen. Sollte sich das ändern: Ein paar Opfergaben (Kürzungen bei Rente, Bildung, Sozialversicherungen und öffentlichen Badeanstalten) werden die Märkte sicherlich besänftigen.

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Ingo Arzt
ehem. Wirtschaftsredakteur
Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.
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16 Kommentare

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  • Falsch! Schlicht Falsch!

     

    1.) Staaten sind nicht von "Märkten" abhängig, solange sie eine eigene, frei konvertierbare Währung ausgeben. Da ihre Zentralbank diese produziert, müssen Ausgaben nicht "finanziert" werden, ergo gibt es auch keinen Einfluss von Finanzmärkten. Währungsspekulation hat zwar einen Einfluss, aber nichts mit der Verzinsung von staatlichen Schuldverschreibungen zu tun.

     

    In der Fortsetzung heisst das auch, dass Staaten keine Schuldverschreibungen in der eigenen Währung ausgeben müssen. Allerdings sind solche für Spekulanten und Anleger (wie z.B. in der idiotischen Idee kapitalgedeckter Pensionsfonds) wichtig, da sie die sichersten Anlagen darstellen. Da die Zentralbank unbegrenzt Geld produzieren kann, ist die Bedienung dieser Titel immer gegeben & keinerlei Ausgabenhöhe ein Risiko - Japan macht's seit mehr als 10 Jahren vor. Heisst auch, dass diejenigen abhängig sind, die Schuldverschreibungen KAUFEN, nicht der verkaufende Staat.

     

    3.) Es ist Unsinn, davon zu sprechen, weltweit seien Schulden "explodiert". In einer geschlossenen Wirtschaft, wie sie die Welt darstellt, steht der Gesamtsumme aller Schulden die gleiche Menge Vermögen gegenüber. Konkreter bedeutet das, dass weltweit betrachtet entweder Regierungen, Unternehmen ODER Privathaushalte mehr Geld ausgeben, als einnehmen. Unternehmen sind's aktuell nicht, siehe Apple, z.B. Also bleibt nur die Wahl, ob Privathaushalte defizitär handeln sollten (das US- und mehr und mehr auch EU-Modell) oder der Staat (Japan, China, oder auch diverse EU-Staaten vor der Krise). Da Privathaushalten das Geld ausgehen kann, dem Staat jedoch nicht, sollte die Entscheidung klar sein.

     

    Zu guter Letzt: in den Zeiten von "schwarzer Null", Schuldenbremse und den daraus folgenden mangelnden Ausgaben für Infrastruktur, Renten, öffentliche Gehälter, Sozialausgaben, ist es Unsinn davon zu schreiben, dass "Deutschland" von der Krise profitiere oder "wir auf der Gewinnerseite" seien.

  • Jede/r Freund/in Griechenlands kann aktiv dazu beitragen, das Zinsniveau auch für Griechenland zu senken, indem er/sie sich griechische, statt beispielsweise deutsche Anleihen in sein/ihr Wertpapierdepot legt. Wäre das Vertrauen der Anleger in das griechische Staats- und Wirtschaftswesen insgesamt größer, ergäbe dies auch eine deutliche Zinsersparnis für das geschundene Griechenland. Leider funktioniert das kapitalistische Finanzsystem so.

  • Das problem ist, dass die rechnung nicht stimmt. Es mag sein, dass die aufgefuehrte ersparnis richtig gerechnet ist, aber was zumindest im artikel nicht erwaehnt wird ist, dass den niedrigzins auch erheblich weinger quellenteuer abgefuhrt wird (vorher ca.3 jetzt ca 0, 3 % sparerzins). Hinzu kommt dass nun oftmals der sparerfreibetrag unterschritten wird und daher nochmals weniger quellensteuer abgefuehrt wird, was dann dem haushalt real fehlt. Also immer besser die ganze rechnung machen. Waere zumindest ein wenig glaubwuerdiger.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "Aus der Sicht der einzelnen Menschen liegt ein Verlust vor, geradezu ein Diebstahl."

     

    Diebstahl? Weil die Verzinsung nicht Inflationsrate+x beträgt? Die Zinsen müssen irgendwo in der Realwirtschaft erarbeitet werden und die wächst nicht mehr so:

    http://en.internationalism.org/files/en/images/ir114_graph2.png

     

    Letztendlich, wenn Sie das tröstet, keine Vermögen ohne Verbindlichkeiten. Und die werden entlastet:

    http://www.finanzkrise-politik.de/bilder/finanzsystem/schulden_vermoegen_brd_druck.png

  • Es ist ja so das keiner die Griechen gezwungen hat bei zu treten.

  • Die Vorsorgesparer sind Verlierer, wenn die Zinsen niedriger als die Inflationsrate zuzüglich Zinssteuern sind. Aus der Sicht der einzelnen Menschen liegt ein Verlust vor, geradezu ein Diebstahl. Die Staatskasse ist auch als Gewinner nur ein anonymer Apparat.

  • Dieses "Wir" des Artikels - @Filou Sophia geht ausführlich darauf ein - suggeriert auch, daß "wir", "die Deutschen", in irgendeiner Form aktiv an diesen finanzpolitischen Vorgängen beteiligt seien. Richtig ist, daß Zinspolitik menschengemacht ist. Aber es sind wenige, die angeblichen "Eliten" - man kann sie auch etwas unfein als Oligarchen bezeichnen - welche die Zinspolitik bestimmen. Die radikalere Position der Freiwirtschaftler (die sich ernsthaft zu diskutieren lohnte) mal beiseite gelassen: Jeder Zins, der Profit genrieren soll, ist zerstörerisch. Das leuchtet unmittelbar ein, denke ich? Denn die Vorstellung, aus Geld, das einem Realwert entspricht, "mehr Geld" machen zu wollen - das dann eben keinem Realwert mehr entspricht - ist doch ziemlich crazy, oder? Wer erwirtschaftet denn dieses "Mehrgeld"? Doch diejenigen, die arbeiten, aber nicht entsprechend entlohnt werden, weil ein Teil des Lohnes in private Profite und in Steuern fließt, die für jeden finazpolitischen (und ebenso vielen anderen) Unfug ausgegeben werden ...

  • Also werden die Gläubiger daran verdienen, bis Griechenland bei dieser Form des Monopoly die Puste ausgeht und es für alle echt teuer wird. Aber Respekt haben deutsche Regierungsmitglieder ja nur, wenn es um das Eingehen von Banken geht. Das Eingehen von Ländern scheint denen völlig risikolos.

  • Ein wirtschaftsinstitut rechnet aus. Echt gute satire

  • Die sogenannte "Studie" dieses IWH ist einfach nur komplett unseriös. Die Euro-Krise hat eine Vielzahl direkter und indirekter Auswirkungen. Die Niedrigzinspolitik der EZB sorgt zum Beispiel dafür, daß die Zinsen extrem niedrig sind. Das freut den Finanzminister, der billiger Kredite aufnehmen. Es schadet aber den deutschen Sparern, deren Gespartes kaum noch verzinst wird. Die EZB sorgt auch für ein niedrigen Eurokurs. Das schadet jedem Weltreisenden, der in Euro mehr für seine Reisen zahlen muß. Aber es freut die Exportindustrie. Wenn man sich aus all diesen Effekten, die irgendwie mit der Griechenlandkrise in Verbindung stehen, ausschließlich die positiven herauspickt und alle anderen ignoriert, dann ist es natürlich leicht, Milchmädchenrechnungen zu präsentieren, nach denen Deutschland enorm profitiert. Genau das hat dieses "wissenschsaftliche" Institut mit seiner "Studie" getan.

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @yohak yohak:

      Die EZB "macht" ihre Zinspolitik nicht alleine:

      http://researchbriefings.parliament.uk/ResearchBriefing/Summary/SN02802

       

      Sie reagiert vielmehr (genauso wie Fed u.a.) auf die realwirtschaftlichen Bedingungen. Und da könnte man nach der Kette:

       

      Agenda2010->Lohnstückkosten runter->keine Währungsanpassung->komparative Vorteile->Exportüberschüsse->suchen ihre Anlagemöglichkeiten->verbraten 600-1000Mrd->Finanzkrise->Exportüberschüsse suchen "Sicheren Hafen"->Zinsen gen 0->böse EZB (und GR)

       

      nicht plausibel erscheint.

      Die Zinsen sind nie der Ausruck bloßer finanzwirtschaftlicher Spielereien. Aber über die Makroökonomie will in DE keiner diskutieren. Vielleicht erst, wenn China kracht.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Da wird aber mit dem günstigen Geld nicht allzu viel gemacht:

    http://www.dgb.de/++co++eea1f8a0-ea16-11e2-b3a5-00188b4dc422/scaled/size/360

    http://blog.arbeit-wirtschaft.at/wp-content/uploads/2014/06/Nettoinvestitionen-DE-EURO.jpg

     

    Man wartet wohl bis die Infrastruktur so kaputt ist, dass sich die zinsgeplagten Versicherungen in den ÖPPs gebührend (sic) beteiligen können.

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    "Nur sind wir momentan auf der Gewinnerseite."

     

    Ich verstehe nicht, wie man in einer Zwei-Drittel-Gesellschaft von einem "wir" schreiben kann. Ein Drittel der in Deutschland lebenden Menschen ist gewiss nicht auf der Gewinnerseite. Das behaupten höchstens Leute, die die Erwerbslosenstatistik nicht lesen können, lange keine Besuche auf der Agentur bzw. in den Job-Centern hatten und nicht konstant im Niedriglohnsektor beschäftigt sind. Vor so einem "wir" wäre es sinnvoll, mal die entsprechenden Foren und Blogs aufzusuchen, Krankenstatistiken zu prüfen, Berichte über halbjährige Wartezeiten auf einen Therapieplatz zur Kenntnis zu nehmen, Berichte des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Bücher von Christoph Butterwegge usw. usf. Dieses "wir" ist eine große und ärgerliche Gesellschaftslüge. Denn die Interessen sind ganz und gar nicht geeint, im Gegenteil. Nur werden sie kaum noch laut oder wenn nur anonym, weil die Menschen sich schämen. In einem Land mit gut besuchten Suppenküchen (wer hätte sich sowas in den 80-90ern alpträumen lassen) gibt es kein Wir.

    • @24636 (Profil gelöscht):

      Wir sind ja trotzdem alle deutsche Staasbürger die von dem Staat genauso profitieren und auch die nicht deutschen Staatsbürger tun das.

      • 2G
        24636 (Profil gelöscht)
        @silvia2015:

        Das tun "wir" eben gerade nicht: " genauso profitieren". Fakt ist, je höher Vermögen, Einkommen und Status, desto höher der persönliche Profit von dieser Gesellschaftsstruktur und der darin sich vollziehenden Politiken. Bei Hartz4-Beziehern schneidet diese Schere so scharf, dass selbst die Grundrechte nicht mehr gewahrt bleiben. Und das dem Anspruch zum Trotze. Was das Verfassungsgericht demnächst dann untersagen wird, wenn es seine Aufgabe nicht neu definieren möchte.

        • @24636 (Profil gelöscht):

          Nichts auf der Welt ist umsonst.