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Kommentar Glaubwürdigkeit der SPDFiebrige Sinnsuche

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Im Wahlkampf glänzte die SPD nicht gerade mit einem Feuerwerk an Ideen. Jetzt, in tiefer Krise, sprudelt es nur so, aber es braucht mehr.

Ja, wo laufen sie denn? Foto: dpa

T homas Oppermann, rechter Flügelmann der SPD, hat kürzlich einen Mindestlohn von 12 Euro gefordert. Der Parteilinke Lars Klingbeil möchte gern ein staatlich finanziertes Grundeinkommensjahr – ein Sabbatical für alle mit 1.000 Euro im Monat. Parteichefin Andrea Nahles will nicht nur Hartz IV überwinden, sondern eine radikale Reform des Sozialstaats und nebenbei auch noch die Machtfrage im digitalen Kapitalismus stellen.

Die SPD entwickelt derzeit fast fiebrig Slogans, Ideen und Konzepte. Manche erheben Forderungen, bei denen sie vor ein paar Monaten noch mit den Augen gerollt haben. Mindestlohn – darüber entscheidet doch eine Kommission. Hartz IV überwinden – das ist kalter Kaffee. Doch nach den Wahldesastern in Bayern und Hessen und angesichts der existenzbedrohlichen Krise kennt Not kein Gebot.

Es ist jedenfalls erstaunlich, dass von diesem Feuerwerk an Ideen im Wahlkampf 2017 so gar nichts zu merken war. Auf Kanzlerkandidat Martin Schulz’ Ankündigung, dass Hartz IV ein Fehler gewesen sei, folgte damals das Arbeitslosengeld Q, bürokratisch und halbherzig. Normalerweise präsentieren Parteien in Wahlkämpfen zündende, weitreichende Ideen, die, wenn man in Koalitionen regiert, notgedrungen in Kompromissen beschnitten werden. Bei der SPD scheint es genau andersherum zu sein. Darin spiegelt sich ihr ganzes Dilemma.

Was sie debattiert und fordert, wirkt nun in vielem unglaubwürdig. Denn es ist durch missliche Umstände erzwungen und kein Ausdruck besserer Erkenntnis. Die Frage lautet: Wird das erfreuliche Engagement für höhere Mindestlöhne und die Überwindung von Hartz IV auch noch lauthals vorgetragen, wenn die SPD wundersamerweise wieder eine Wahl gewinnen sollte?

Die SPD muss Sozialstaatskonzepte entwickeln, die mehr als Spiegelstrich-Verbesserungen sind, und darf auch die Ökologie nicht als Spielmaterial behandeln. Sie braucht eine Generalüberholung. In der Regierung wird die kaum gelingen. Was nicht bedeutet, dass es in der Opposition leicht wird. So ist die Lage.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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10 Kommentare

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  • Hey SPD, du einstige Volkspartei.



    Ich glaube dir nichts, kein einziges Wort.



    Du hast ja Armutslöhne, Kinderarmut, Armutsrenten,



    Zweiklassenmedizin und das Prekariat gebracht.



    Das Menetekel ist überall zu sehen.



    Ich glaube dir nichts, kein einziges Wort.



    Sogar, wenn du sagst, die Erde ist rund,



    dann weiß jedes Kind: Unsre Erde ist eckig.



    Nichts wird dir vergessen, kein einziger Schlag.



    Du bist ein gekaufter verkommener Hund.



    Und wirst du politisch bald unter der Erde liegen,



    in dich gehn nicht mal die Würmer rein.



    "Sie muss im Grab noch die Würmer belügen".



    Wird stehen auf deinem Marmorstein.



    Denn man glaubt dir nichts, kein einziges Wort.

  • Die SPD muss sich von ihrer neoliberalen, auf Verarmung und Aussonderung von Menschen basierenden Ideengebäude namens Agenda 2010 verabschieden. Das geht nur durch einen oder eine Politiker/in, die sich gegen den Status-Quo - gegen die bisherige Führung durchsetzt. Das Machtzentrum der heutigen SPD ist für den Status Quo - nur die Wahlen und der Abstieg der Partei stört, aber auch nicht zu sehr. Es gibt regelrecht eine Gruppe von SPD-Anführern, die gut mit dem Niedergang der Partei zurecht kommen - die sogar parallel dazu aufsteigen. Siegmar Gabriel z.B. abgewählt in Niedersachsen, dann ein kometenhafter Aufstieg als Agenda-Politiker und Verfechter des Status Quo. Abgesägt wurde er erst, als er zu viele Niederlagen schultern sollte und als Kanzlerkandidat nicht antreten konnte. Solange die SPD so funktioniert: Sie verliert, aber einzelne Karrieristen gewinnen parallel individuell gut dazu, machen die Karriere ihres Leben, so lange wird die SPD auf der Stelle treten.

    Und das bedeutet: Mio. Menschen leben in Hartz IV, beziehen aufstockendes Hartz IV, bekommen befristete, niedrige Verträge, arbeiten halbtags aus Zwang, haben mehrere Arbeitsstellen und viele Kinder und Jugendliche werden direkt in die Armut reingeboren und wachsen abgehängt und niedergeschlagen auf.

    In Großstädten wie Hamburg, Köln oder Berlin sind schon ein Drittel der Arbeitnehmer atypisch beschäftigt. Die Quote der armen Arbeitnehmer steigt - seit langer Zeit und trotz positiver Wachstumsquoten weiter an.

  • Lieber Philippe,



    ja, die Zeit geht weiter, was wäre denn dein konstruktiver Vorschlag für die SPD heute?



    Und wo bringst du dich so ein für eine hoffentlich bessere und gerechtere Zukunft?

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @Nilsson Samuelsson:

      ...das, was die SPD hier macht, ist Aktionismus in seiner schönsten Form und gehört in's Museum.



      Ja, die "Zeit geht weiter", doch deshalb sollte man nie vergessen, wem wir hier in der BRD Hartz IV zu 'verdanken' haben.

      • @81331 (Profil gelöscht):

        Man darf als kleiner Steuerzahler auch nicht vergessen, dass der Hartz IV Regelsatz an dem Freibetrag für die Einkommenssteuerzahler gekoppelt ist. Je höher der Hartz IV Regelsatz ist, um so höher ist der Freibetrag für die Einkommenssteuerzahler in diesem Land. Da man aber die Hartz IV Sätze nicht anhebt, wird natürlich auch der Freibetrag nicht angehoben, und so holt sich der Staat noch einmal einige Milliarden Euro vom Steuerzahler.

        Lohndumping und die Ausweitung des Niedriglohnsektors wird doch auch seit Hartz IV erfolgreich in Deutschland betrieben, um innerhalb Europas die Stellung als Exportweltmeister zu halten.

        Der SPD haben wir also nicht nur Hartz IV und unzählige Zeitarbeitsfirmen zu "verdanken", die sich an der Armut auch noch frech bereichern; die SPD hat unter Gerhard Schröder aus Deutschland auch noch das Niedriglohnland Nummer 1 gemacht und den Spitzensteuersatz für die Reichen von ehemals 53% auf 42% gesenkt.

  • Es sind oft missliche Umstände, die zu besserer Erkenntnis führen. Die SPD ist eben ein alter Dampfer - da geht das nicht so schnell mit dem Maschinentelegraf.

  • Es wieder einmal SPD – Show-Time. Die Show kennt inzwischen jeder „Links blinken, nach der Wahl volle Kanne rechts fahren.“



    Als Erklärung für die Betrügereien an den Wählern kommen dann immer so Sätze, man habe ja in einer Koalition Kompromisse schließen müssen. Hingegen machen die SPD Protagonisten kaum Kompromisse wenn es um Ministerposten und um die Verteilung der Pfründe geht.



    So wurde im Bundestag Dezember 2017 beantragt den gesetzlichen Mindestlohn auf 12 Euro pro Stunde zu erhöhen.



    Die SPD unter Martin Schulz war noch nicht in der Koalition. Die SPD Fraktion im Bundestag hat mit überwältigender Mehrheit ihre Pfoten gegen dieses Gesetz gehoben. Keine Mindestlohnerhöhung!



    Dafür haben die SPD Protagonisten noch am selben Tag, ihre Pfoten dem Antrag der UNION zur Diätenerhöhung gehoben. Was für eine verkehrte Politik in der SPD.



    Die SPD Abgeordneten sitzen heute noch alle im Bundestag bereit, nichts für die Menschen in diesem Land zu tun - aber immer für den eigenen Geldbeutel bereit die Pfoten zu heben.

    Ohne den vollständigen Austausch mindestens der ersten zwei oberen Reihen in der SPD wird es keinen Politikwechsel geben. Durch Neuwahlen können aber diese Abgeordneten in der SPD weggewählt bzw. restlos beseitigt werden.

  • Was für ein Neusprech: "Hartz IV überwinden", es handelt sich weder um einen Berg, noch eine Krankheit. RotGrün führten Hartz IV ein, um Wachstum zu kreieren, die Mittel: Soziallabbau und Umverteilung zugunsten der Reichen. Abbau von Arbeitnehmerrechten, Niedriglohn, Jobcenter-Terror, so lautet der Dreiklang, mit dem die Betroffenen konfrontiert wurden. Und jetzt wollen Nahles und Co sich aus der Verantwortung stehlen - nach Vorne schauen - lautet die Devise. Wohlfeile Forderungen, die man faktisch nicht durchsetzen kann. Für wie dumm halten die eigentlich die Leute?

    • @Philippe Ressing:

      Die denken, dass Durchschnittsmenschen sehr vergeßlich sind und irgendwann ihre Wut auf die SPD wieder vergeßen. Aber Rentenbescheide, Jobcenterbescheide. Lohnabrechnung und und ... die SPD hat eben viel 'geleistet', um bei den Menschen dauerhaft in Erinnerung zu bleiben.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @Philippe Ressing:

      Vielleicht sind die Leute ja gar nicht so dumm. Immer weniger von ihnen wählen die SPD.

      Und schon immer galt: Rot ist die Liebe, rot ist die Tomat', rot ist der Schlips vom Sozialdemokrat.

      Früher galt: Wenn es ans Eingemachte geht, braucht man die Sozis: Nachrüstung, Krieg, Hartz IV.



      Dann flutschte es einfach besser.

      Heute flutscht es einfach so.