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Kommentar „Gilmore Girls“Die Chance verpasst

Amna Franzke
Kommentar von Amna Franzke

Fast ein Jahrzehnt nach der Erstausstrahlung der „Gilmore Girls“ gibt es eine Fortsetzung. Und die wirkt seltsam deplatziert.

Die Gilmore Girls: Emily (l., Kelly Bishop), Lorelai (M., Lauren Graham) und Rory (Alexis Bledel) Foto: dpa

W ie um alles in der Welt konnte es soweit kommen? Warum wird ausgerechnet „Gilmore Girls“ als die Kultserie schlechthin gefeiert? Das fragen sich derzeit einige, die den ganzen Hype um die Serie nicht verstehen.

Wer älter als 35 Jahre ist, keine US-amerikanischen Fernsehserien streamt, nicht bei Facebook oder Twitter ist, wird es wohlmöglich gar nicht mitbekommen haben, aber seit der Streamingdienst Netflix verkündet hat, eine Fortsetzung von „Gilmore Girls“ zu drehen, ist im Internet die Hölle los. Letzte Woche erreichte die Euphorie ihren Höhepunkt, denn am Wochenende hat Netflix die Fortsetzung der Serie endlich veröffentlicht.

In der Serie geht es vor allem um Mütter und Töchter und wie schwierig deren Verhältnis werden kann. 2007 war nach sieben Staffeln Schluss. Nun, neun Jahre später, schrieb Drehbuchautorin und Gilmore-Girls-Erfinderin Amy Sherman-Palladino eine Fortsetzung – eine Mini-Staffel bestehend aus viermal 90 Minuten.

Für viele junge Frauen und einige junge Männer ist „Gilmore Girls“ eine besondere Serie und das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass zwischen 2004 und 2011 die Wiederholungen im Nachmittagsprogramm von Vox zu sehen waren. Viele Fans sind quasi mit der Serie aufgewachsen. In den vergangenen Tagen wurde auf die Fortsetzung hingefiebert und immer wieder betont, wie einzigartig „Gilmore Girls“ sei. Nie wieder habe es eine Serie gegeben, die so schnell sei, so schillernd, mit so spannenden Müttern und Töchtern.

Don't believe the hype

Doch einige wundern sich, woher diese Begeisterung kommt: Eigentlich ginge es doch nur um eine Handvoll weißer heterosexueller privilegierter Frauen, die irgendwelchen Typen hinterherrennen. Also: Don't believe the hype.

Und? Haben die Kritiker*innen Recht? Natürlich haben sie Recht. „Gilmore Girls“ ist absolut unpolitisch. Gesellschaftliche Fragen dringen nicht durch und können auch gar nicht thematisiert werden, weil im Grunde jeder Konflikt, der in der Serie erzählt wird, in der Familie liegt. Die großen Herausforderungen, vor die Mutter und Tochter gestellt werden, sind an Geldfragen geknüpft. Aber genau daran fehlt es eigentlich nicht, denn es gibt noch die reichen Großeltern, die einspringen und ihre finanzielle Unterstützung an ein paar Bedingungen knüpfen. Und so fällt selbst die Erzählung der alleinerziehenden Mutter, die sich die Ausbildung ihrer Tochter nicht leisten kann, zurück in einen privaten Konflikt.

Aber ganz so leicht fällt das Urteilen dann doch nicht. Denn hier stehen wir vor einem interessanten Problem: Ist es okay, eine Serie, in die man sich als Teenager verliebt hat, weiter zu lieben, selbst wenn man kritisch betrachtet einiges daran auszusetzen hat?

Eigentlich ist es genau dasselbe wie mit Beyoncé. Sie ist ein Weltstar und als solche eine Marke, die sich von Zeit zu Zeit neu erfinden muss. Beyoncé beherrscht dieses Kunststück bestens. Im Moment ist sie: schwarze Feministin. Inwieweit diese neue Rolle ihren Überzeugungen entspricht, ist egal, denn feminism sells. Aber Feminismus muss schön vermarktbar bleiben, um damit Geld zu verdienen. Beyoncés politische Inszenierung steckt damit in einer Marktlogik fest, die genau die Sexismen und Rassismen reproduziert, die besungen werden.

Zielstrebig, intelligent und führungsstark

Und trotzdem wird sie genau damit zum role model. Es gibt junge Menschen, die sich mit Beyoncé politisieren, Feminist*innen, die sie feiern. So widersprüchlich es auch sein mag, wenn sich junge Menschen plötzlich dank Beyoncé für feministische Ideen interessieren, ist etwas erreicht.

„Gilmore Girls“ gibt sich nicht einmal einen politischen Anstrich. Niemand nennt sich dort feministisch. Aber es gibt zwei Hauptfiguren, die zielstrebig, intelligent und führungsstark gezeichnet sind und Zuschauer*innen, die sagen, dass genau diese Darstellung sie als Teenager positiv beeinflusst habe. Und genau das lässt sich nicht so leicht wegwischen.

Doch die Macher*innen haben die Chance verpasst, die Fortsetzung mitwachsen zu lassen. Fast ein Jahrzehnt später funktioniert sie nach demselben alten Prinzip und wirkt deshalb seltsam deplatziert. Wo doch gerade Netflix für eine neue Fernsehkultur steht, die so divers ist wie nie.

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Amna Franzke
taz2
Jahrgang 1993, hat die Deutsche Journalistenschule in München absolviert und studiert in Berlin Philosophie und Musikwissenschaft. Seit 2016 arbeitet sie bei der taz im Ressort für Gesellschaft und Medien.
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8 Kommentare

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  • Mal ehrlich: Gilmore Girls ist eine ungewöhnlich intelligent und lustig gemachte Seifenoper, nicht mehr. Und als solche hat sie, wie jede andere Seifenoper auch, keinen großen sozialpolitischen Anspruch aber dafür eine gut definierte Zielgruppe, die ein KONSTANTES Unterhaltungsprofil erwartet. Das besteht nunmal aus dem beschriebenen, unpolitisch-bourgeoisen Neuengland-Idyll mit starken, enorm wortgewandten (und GANZ sorgsam dosiert unkonventionellen) Frauen, die aber auch ihre Welt nicht zu groß gemacht bekommen, als dass sie sie noch glaubhaft beherrschen könnten.

     

    Die Wahrscheinlichkeit, dass die Serie auch funktioniert, wenn man ihr in der Neuauflage diese Basis entreißt, ist einfach zu gering, um es zu versuchen. Die Frage ist wohl eher, was man mit den zwei Hauptcharkteren noch in diesem Setting anstellen soll, nachdem sie so erfolgreich all die kleinen Konflikte überwunden haben, die früher den Reiz der Serie ausmachten.

  • Die drei Damen auf dem Bild kommen offenbar aus dem selben Dorf.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    In der Nachlese der US-Wahl wurde in einem langen, guten Artikel ("The Guardian", glaube ich) festgestellt, dass blue collar /working class sitcoms fast vollständig verschwunden sind. Auch ein Zeichen des Desinteresses/Entfremdung zw. den Kreativen an den Küsten und der Bevölkerung.

    • 3G
      33523 (Profil gelöscht)
      @10236 (Profil gelöscht):

      Serien wie es sie vor zehn bis fünfzehn Jahren noch gab sind quasi komplett verschwunden und ich finde das nicht schade. King of Queens, Gilmore Girls, Scrubs und Co. waren ja oft doch relativ seichte Unterhaltung. Moderne Serien haben oft eine viel stärkere Charakterentwicklung und mehr Story als kurzweilige Gags.

       

      Wer zum Beispiel Serien wie Hannibal, Suits oder The Walking Dead kennt wird sich bei genannten, älteren Serien rückblickend fragen wie man sich je so für sie begeistern konnte.

       

      Blue Collar verschwinden nicht nur aus dem Fernsehen, sondern auch zunehmend aus der realen Welt. Die Arbeiterklasse hat sich in den letzten Jahrzehnten massiv verkleinert und dieser Trend wird sich fortsetzen.

  • Leider absolut falsch. Es scheint, als hätte die schreibende Person die neuen Folgen geschaut, dann bei Wikipedia über die alten recherchiert und sich einer Analyse entzogen. Die Gilmore Girls sind alles andere als unpolitisch - Themen Hetero-/Homosexualität, Jungfräulichkeit vor der Ehe, feministische Rollenvorbilder, Vorurteile gegenüber jungen, alleinerziehenden Müttern, das Ausbrechen aus der patriarchalischen Gesellschaft und das Streben der Frauen nach finanzieller Unabhängigkeit, Machtgefälle aufgrund von Reichtum werden in unzähligen alten Folgen thematisiert. Als Beispiel: Wird Rory Logan heiraten und ihre Karriere aufgeben? Nein, sie reist als Wahlkampfsberichtserstatterin im Team Obama durch das Land. Heiratet die schwangere Lorelai ihren Freund Christopher aus reichem Hause oder bleibt bei ihren reichen Eltern? Nein, sie baut ein eigenes Leben auf.

     

    Wer übernimmt das Hotel Independence Inn? "Doch wohl nicht dieser *** Donald Trump!"

     

    Auch in den neuen Folgen kommt einiges davon durch - beispielsweise als Emily aus dem Club austritt, weil sie das herabwürdigende Verhalten der Oberschicht nicht mehr aushalten kann - sie beginnt zu arbeiten.

    Die neuen Folgen sind nicht so gut wie die alten, aber dieser Artikel ist leider auch nicht besser.

    • @AnnS:

      Einfach nur gelebte gesellschaftliche Offenheit oder Gleichberechtigung (und die Widerstände dagegen) darzustellen, ist aus Sicht der taz noch nicht politisch genug. Es fehlt am fahneschwenkenden Element. Feministinnen können nur als solche durchgehen, wenn sie sich auch bei möglichst jeder Gelegenheit als solche bezeichnen und brav ihre Sternchen vor das "i" malen...

       

      Davon abgesehen muss man dem Artikel insoweit Recht gegebn, dass die politischen Bezüge der Serie sehr wohl in ziemlich viel Watte verpackt daherkommen. Die alleinerziehnede Mutter hat es z. B. nur dann schwer, ihre Tochter zu versorgen, wenn sie nicht bereit ist, sich dafür mit ihren reichen Eltern zu arrangieren. Rory geht arbeiten, aber ob das in Bezug auf Logan das letzte Wort ist, entscheidet sich erst, wenn sie jemand anderen heiratet. So richtig ohne Netz und doppelten Boden agiert da niemand.

       

      Und ja, die Sympathieträger sind allesamt aufrechte Demokraten.Demokraten, in Neuengland - revolutionäres Konzept!

  • Gilmore Girls hat nicht den Anspruch, politisch zu sein. Für mich geht es in der Staffel um persönliche Veränderungen die die Hauptdarsteller alle durchlaufen. Ein Aufgeben von Träumen und rigider Strukturen. Ein Entwicklungsprozess, den vermutliche viele Gilmore Girls Zuschauer von früher auch durchlaufen. Daher finde ich die Fortsetzung gelungen. Geschmäcker sind halt verschieden.

  • Nun, da ich kein echter "kenner" von Serienkost bin, kann ich hier nicht mitreden. Wollte nur mal in den Raum werfen, das es auch Leute gibt, die sich um 20 uhr auf die Couch hauen, anfangen zu lesen und dabei einschlafen...ohne wilde Dialoge und schneller Bildwechsel...einfach ruhig und entspannt...