Kommentar Genmais-Entscheidung: Merkels Manipulation
Die Kanzlerin hofft offenbar, dass sich Menschen genauso leicht manipulieren lassen wie Maisgene. Aber diesmal hat sich Angela Merkel möglicherweise verzockt.
B isher musste sich die Bundeskanzlerin in Sachen Gentechnik kaum aus der Deckung wagen. Die unpopulären Entscheidungen fallen schließlich vor allem auf EU-Ebene. Und wenn die Bundesregierung doch mal Position bezog, dann konnte die Union sich in Deutschland kritisch geben, um dann in Brüssel mit Verweis auf den gentechnikfreundlichen Koalitionspartner FDP die umstrittene Technologie doch durchzuwinken.
Nach dem Regierungswechsel beweist Angela Merkel nun aber, dass sie die FDP gar nicht braucht, um die Wünsche der Agrarkonzerne zu erfüllen und jene der Verbraucher zu ignorieren: Auch unter der Großen Koalition enthält sich Deutschland bei der Zulassung einer neuen Genmais-Sorte – was faktisch einer Zustimmung gleichkommt, da damit ein Einspruch verhindert wird und die Entscheidung an die gentechnikfreundliche EU-Kommission zurückfällt.
Die Kanzlerin stellt sich damit klar gegen die öffentliche Meinung – und bemüht sich massiv darum, diesen Eindruck zu verschleiern. Öffentlich äußern sich nur SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks und CSU-Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich, die den Genmais ablehnen. Die Befürworter, zu denen neben Forschungsministerin Johanna Wanka und Merkel selbst zählen, schweigen.
Besonders dreist ist aber, wie die Regierung nun versucht, die Öffentlichkeit für dumm zu verkaufen. Das Argument, dass auch ein Nein aus Deutschland nicht zu einer Ablehnung geführt hätte, verkennt den großen Einfluss, den das deutsche Votum auch auf andere zögernde EU-Staaten gehabt hätte.
Dass sie Mehrheiten in Brüssel organisieren kann, hat Merkel oft genug bewiesen. Und wenn Minister Friedrich nun ankündigt, den Genmais nach der Zulassung in Deutschland wieder zu verbieten, ist nicht nur fraglich, ob das überhaupt möglich ist. Es ist auch die hohe Kunst der Heuchelei, etwas erst in der ganzen EU zu ermöglichen, um es dann – vielleicht – in Deutschland wieder zu stoppen.
Die Kanzlerin hofft offenbar, dass sich die Menschen genauso leicht manipulieren lassen wie die Maisgene. Die große Empörung über die Entscheidung – auch in den eigenen Reihen – zeigt aber, dass sich Merkel, die sonst ein gutes Gespür für die Stimmung in der Bevölkerung hat, diesmal womöglich verschätzt hat. Auf die gentechnikkritische Rhetorik der Union wird in Zukunft niemand mehr hereinfallen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“