Kommentar Gedenken in China: Pekinger Doppelmoral
China kritisiert Japan wegen dessen Umgangs mit seiner Geschichte. Doch Vergangenheitsbewältigung interessiert das Land nur, wenn es ihm nutzt.
C hinas Regierung erinnert Japaner gern daran, dass diese ihre Kriegsvergangenheit samt dem Feldzug in China (1937–45) nie richtig aufgearbeitet haben. Viele Japaner inklusive Regierungspolitiker würden das Nanking-Massaker, die Zwangsprostitution oder die biologischen Experimente an Gefangenen leugnen oder kleinreden. Auch Japans Schulbücher verfälschten die Geschichte.
Leider stimmen viele der Vorwürfe. Japans Umgang mit der Geschichte ist beschämend. Zwar haben sich auch japanische Politiker für das von Tokio ausgehende Unrecht entschuldigt. Doch wirkt dies halbherzig angesichts anderer Politiker bis hin zum jetzigen Premier Shinzo Abe, die Japans Kriegsverbrechern öffentlich huldigen und so deren Opfer verhöhnen.
Doch Chinas Umgang mit der eigenen Vergangenheit ist nicht besser, wenn es gilt, dunkle Flecken zu verdecken. Das betrifft etwa Millionen Hungertote nach dem „Großen Sprung nach vorn“ oder den Horror der Kulturrevolution.
Chinas zweifelhafter Umgang wird jedes Jahr um den 4. Juni herum deutlich, dem Jahrestag des sogenannten Tiananmen-Massakers, also der blutigen Niederschlagung der studentischen Demokratiebewegung 1989. In den Augen der Parteiführung waren die Proteste ein „konterrevolutionärer Aufstand“. Gegen den waren natürlich alle Mittel recht.
Wer den damaligen Schießbefehl hinterfragt, muss mit Repression rechnen. Dies bekam jetzt der Bürgerrechtsanwalt Pu Zhiqiang zu spüren. Er gehörte zu 20 Teilnehmern eines Seminars in einer Privatwohnung über die damalige Bewegung.
Die Teilnehmer wurden von den Behörden verhört, Pu wurde danach festgenommen. Der Vorwurf: Unruhestiftung. Einen Monat vor dem Jahrestag zeigt die KP-Führung damit, dass sie nur dann etwas von Vergangenheitsbewältigung hält, wenn es ihr nutzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern
Pistorius wird nicht SPD-Kanzlerkandidat
Boris Pistorius wählt Olaf Scholz