Kommentar Führungskrise bei Pegida: Die Frustrierten bleiben
Pegida ist vorbei. Die dahinterliegende aggressive Politikverdrossenheit bleibt aber. Nur wie wird sie sich in Zukunft äußern?
E s hat sich ausspaziert. Aber wären die Organisatoren von Pegida jetzt nicht mit einem lauten Knall auseinandergegangen, hätten sich die abendlichen „Spaziergänge“ der selbstberufenen Retter des Abendlands sicher bald von selbst totgelaufen. Denn ihren Zenit hat die Bewegung schon überschritten: Bereits zur letzten Kundgebung der „Patriotischen Europäer“ am vergangenen Sonntag in Dresden kamen weniger Leute als zuvor. Und es sah nicht danach aus, als wären es in Zukunft noch mehr geworden, die in Dresden gegen eine angeblich drohende Islamisierung auf die Straße gehen wollten. Anderswo kam die Protestbewegung kaum über ein paar versprengte Häuflein von Rechtsextremen hinaus.
Das Phänomen, für das „Pegida“ als Chiffre steht, hat sich damit aber nicht erledigt: eine aggressive Politikverdrossenheit, die sich gegen Flüchtlinge und Muslime, aber auch gegen die etablierten Parteien und „die Medien“ richtet. Nachdem die nächste, für kommenden Montag geplante Kundgebung der „Patrioten“ in Dresden abgesagt wurde, ist offen, wie es damit weitergeht oder ob Pegida in anderer Form weiterleben wird: als Bürgerbewegung, die den diffusen Ärger der Pegidisten in konkrete politische Forderungen übersetzt? Als außerparlamentarischer Arm der „Alternative für Deutschland“? Oder werden sich die Wutbürger von Pegida in die eigenen vier Wände zurückziehen, um ihren Hass bevorzugt in den virtuellen Raum des Internets zu blasen?
Fest steht, dass Pegida auf eine „Repräsentationslücke“ verwiesen hat, wie es der Dresdner Politologe Werner Patzelt formuliert: dass sich ein Teil der Bürger, vor allem in Sachsen, von den etablierten Parteien und Medien nicht repräsentiert fühlt. Dass bundesweit sehr viele Menschen in Umfragen eine grundsätzliche Sympathie mit den Anliegen von Pegida bekundet haben, zeigt, dass dieser Befund auch über Sachsen hinaus gilt. Insofern war es richtig, Pegida ernst zu nehmen und mit einigen dieser Frustrierten das Gespräch zu suchen.
Auch wenn es lokale Gründe gab, warum Pegida ausgerechnet in Sachsen entstehen und nur dort so stark werden konnte, so war es immer zu einfach, deren Protest als ein reines Ost-Problem abzutun. Denn Ressentiments gegen Muslime und Flüchtlinge gibt es auch anderswo – und zwar nicht nur in konservativen, sondern auch in linken und liberalen Kreisen. Und wo hatten die Pegida-Leute ihre Islam-Angst denn her? Von Bestseller-Autoren wie Thilo Sarrazin und Udo Ulfkotte, Alice Schwarzer oder Henryk M. Broder, die schon lange das Schreckensbild einer angeblichen Islamisierung Deutschlands an die Wand malen.
Auch Heinz Buschkowsky, der Bürgermeister von Berlin-Neukölln, oder der verstorbene Ralph Giordano, die selbst in der taz als „Aufklärer“ und irgendwie knuffige Typen gefeiert wurden, dienten als Stichwortgeber für jenen populären Anti-Islam-Diskurs, den die Pegida-Leute lediglich aufgegriffen haben. Sie mögen sich zwar gewählter ausdrücken als der Pegida-Mob, der nicht vor verdächtigem Nazi-Vokabular zurückschreckte. Sie bedienten aber deren Ressentiments – und stammen allesamt aus dem Westen der Republik. Jede selbstgerechte Häme über angeblich unbelehrbare Ossis ist daher fehl am Platz.
Eingeschränkte Gesprächsangebote
Der andere Fehler, den der Politologe Patzelt und andere wohlmeindende Pegida-Versteher wie SPD-Chef Sigmar Gabriel, Sachsens CDU-Innenminister Ulbig oder Frank Richter, der Leiter der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, gemacht haben, ist, die Dresdener Ansammlung von Frustrierten für Volkes authentische Stimme zu halten und nur mit ihnen das Gespräch zu suchen. Denn ein „Runder Tisch“, wie ihn manche für Dresden gefordert haben, hätte dort unbedingt auch Flüchtlinge und Muslime einschließen müssen.
Deshalb ist es eine wichtige und überfällige Geste, dass SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi und Familienministerin Manuela Schwesig am Donnerstag nach Dresden gereist sind, um dort mit Flüchtlingen, Muslimen und anderen besorgten Bürgern der Stadt zu sprechen. Es ist auch eine Ohrfeige für die Verantwortlichen in Sachsen, die von selbst nicht auf diese Idee gekommen sind.
Denn das Volk sind nicht nur die, die am lautesten schreien. Aufgabe der Politik ist es auch, mit denen zu sprechen, die unter deren aggressiven Aufmärschen zu leiden haben.
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