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Kommentar Freihandelsabkommen TTIPProtest für Status quo

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Das Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA dürfte scheitern. Der Widerstand gegen das Abkommen ist berechtigt.

Freihandel: Weshalb ausländische Investitionen besonders geschützt werden sollen, ist nicht einzusehen Bild: dpa

D iese Wette kann man wagen: Das Freihandelsabkommen TTIP zwischen Europa und den USA wird weitgehend scheitern. Die Protestbewegungen auf beiden Seiten des Atlantiks werden siegen, während die Regierungen ziemlich blöd aussehen.

Der Widerstand gegen das Freihandelsabkommen ist berechtigt. So ist nicht einzusehen, warum es ein spezielles Klagerecht geben soll, dass Großkonzernen erlauben würde, gegen einzelne Staaten vorzugehen.

Trotzdem ist erklärungsbedürftig, warum die Protestwelle erfolgreich sein dürfte. Denn die lange Geschichte des Widerstands zeigt ja, dass längst nicht jede Kampagne siegreich ist. Doch diesmal ist sehr hilfreich, dass eine Veränderung verhindert und der Status quo erhalten werden soll. Die Botschaft der Protestbewegung lautet: Der Handel zwischen Europa und den USA soll bleiben wie bisher. Dies fühlt sich gemütlich an. Es gilt nie als Wagnis, das Bekannte fortzuschreiben. Dafür lassen sich stets Mehrheiten gewinnen.

Diese instinktive Vorliebe für den Status quo dürfte auch erklären, warum die Eurokrise nicht zum Protestthema wird – obwohl sie viel gefährlicher als das TTIP ist. Mit diesem Vergleich soll der Widerstand gegen das Freihandelsabkommen nicht geschmälert werden, aber die Eurokrise hat welthistorische Dimensionen. Die Gefahr ist nicht vorüber, dass der Euro auseinanderbricht und eine gigantische Wirtschaftskrise die Idee von einem geeinten Europa vernichtet.

Trotzdem regt sich in Deutschland kein Widerstand, was nicht die Schuld der NGOs ist. Aber die Bundesbürger wollen nicht hören, dass ihr Lohndumping enden muss, das unlautere Wettbewerbsvorteile schafft. Eine solche Veränderung macht den Deutschen Angst. Lieber riskieren sie, dass der Wandel gewaltsam kommt, wenn der Euro zusammenbricht.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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9 Kommentare

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  • Einige Leute höheren Ortes werden aufgeatmet haben, als der Konfliktherd Rußland / Ukraine wie auf Bestellung alle anderen Probleme (Handelsabkommen und EU - Wahlen) überlagerte und aus dem Gesichtsfeld des ohnehin geringen öffentlichen Interesses rückte.

    Hatte man doch schon mit der Stimmenthaltung in Brüssel dem transatlantischen "Bruder" einen Freundschaftsdienst erwiesen und gepunktet. Egal, Ausspähskandal hin oder her, 2014 soll alles in trockenen Tüchern sein, ehe sich die breite träge Masse wieder neu ausrichten kann.

    Mit der Heimlichtuerei hat man nämlich schlafende Hunde geweckt und nun will man die Gunst der Stunde nutzen und öffentlichkeitsfern schnellstens alles ratifizieren.

  • FE
    Frank Egermann

    Zuerst sind die Versuche der amerikanischen Wirtschaft im Rahmen der Privatautonomie gescheitert. Zum Beispiel: Eine unter dem Namen "Most favorit nation clause" bekannte versteckte Vertragsklausel - als vereinbart sollte der Preis gelten, den der amer. Vertragspartner weltweit am niedrigsten bezahlt - wurde generell abgelehnt, das Beispiel Detroit - Opel ließ sich nicht wiederholen, in dem Opel bis aufs Hemd ausgezogen wird. Nun wollen sich die Konzerne mit dem Klagerecht gegen den Steuerzahler direkt an den Zapfhahn der Steuereinnahmen legen und aus ganz Europa ein Opel schaffen. Aussaugen und kontrollieren. Einzusehen ist das schon. Wie man unsere Politiker daran hindern will, nachdem sie sich schon beim Genmais haben korrumpieren lassen, sehe ich allerdings nicht, denn auch das Scheitern des Euro wird derartige Verträge nicht kippen!

  • B
    Bruno

    Möchte wissen warum ihr euch schon so gelassen und siegessicher zurücklehnt. Es ist voll Feuer am Dach, und noch kein Funke gelöscht.Glaubt ihr da gibt es dann eine (Volks)Abstimmung?

    DIE FRAGEN NICHT EINMAL DAS EU-PARLAMENT. Die EU-Kommission entscheidet das einfach über unsere Kopfe hinweg!Für die Industrie steht vielzuviel auf dem Spiel, wenn man schaut was die da alles eingebaut haben wollen.(Klagsrecht u. Handelssanktionen für "Selbstbestimmer"), daß die die Kommission nicht so einfach mit einem NEIN entkommen lassen werden!

  • L
    Leo

    So isses. Immer, wenn Menschen Angst haben, wollen sie stehen bleiben oder noch besser zu dem zwar nicht idealen, aber bekannten "Früher".

    Wäre aber ja mal schon gut, wenn tatsächlich wenigstens weitere Entwicklungen in falsche Richtungen verhindert werden. Anhalten, um sich neu zu orientieren, wenn man sich verfahren hat, ist auch nicht das falscheste. In diesem Sinne optimistische Feiertage!

  • B
    Brandt

    @ D.J.

     

    Bei Daimler wurden sogar Schichten am Wochenende vereinbart - und das in der Exportindustrie - übrigens sind da auch Leiharbeiter, was sich auf die Lohnsumme angenehm auswirkt.

  • B
    büllischah

    auch im export L O H N D U M P I N G

     

    die werksvertragler und leiharbeiter werden gegen die stammbelegschaften in stellung gebracht.

     

    und das nicht zu knapp.

     

    frag doch mal beim daimler oder bei siemens oder bei sonstigen konzernen in welchen beschäftigungtensegmenten die höhere nachfrage abgearbeitet wird

     

    ssis alles nicht so einfach und gerecht schon gar nicht und nicht immer wies auf dem papier steht

  • D
    D.J.

    Und abermals die Mär vom Lohndumping. Es stimmt, dass in der Dienstleistungsbranche teils skandalöse Löhne gezahlt werden. Aber eben in den exportorientierten Industrien nicht. Da gab es auch in den letzten jahren stetig Reallohnzuwächse.

    • H
      Hanz
      @D.J.:

      Das ist ja wohl ausgemachter Blödsinn, denn mit der Versklavung via Werkvertrag gibt es solche Menschen auch da! Also bitte erst mal nachdenken vor dem Schreiben. Vielen Dank!

    • H
      Hanz
      @D.J.:

      Das ist ja wohl ausgemachter Blödsinn, denn mit der Versklavung via Werkvertrag gibt es solche Menschen auch da! Also bitte erst mal nachdenken vor dem Schreiben. Vielen Dank!