piwik no script img

Kommentar Frankreichs Front NationalDie Feigheit hat Folgen

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Sarkozys konservative UMP macht die extreme Rechte immer hoffähiger. Deren Wähler brauchen kein schlechtes Gewissen mehr zu haben.

Die Vorsitzende des Front National: Marine Le Pen. Bild: reuters

D ie erste Wahl in Frankreich nach den Terroranschlägen in Paris war eine lokale - und doch hatte sie weitreichende Folgen. Es ging um die Besetzung des Abgeordnetensitzes des Sozialisten Pierre Moscovici. Der ehemalige Finanzminister war im November EU-Wirtschafts- und Währungskommissar geworden, deswegen wurde sein Sitz in der Nationalversammlung neu vergeben. Nachdem sich bei der Wahl vergangene Woche auch die Rechtspopulisten des Front National um Marine Le Pen behaupten konnten, verlor sie die folgende Stichwahl im ostfranzösischen Département Doubs gegen den sozialistischen Kandidaten Frédéric Barbier. Es kommentiert Rudolf Balmer.

Eine lokale Wahl in der ostfranzösischen Provinz hat nicht nur einen landesweiten Nachhall, sondern auch nachhaltige Folgen. Die Barrikaden, die in Frankreich die etablierten Parteien seit Jahrzehnten gegen die Bedrohung von ganz rechts errichtet hatten, halten nicht mehr. Nur ein paar Wochen nach der Großkundgebung für die gemeinsamen demokratischen Grundwerte hat die konservative UMP von Nicolas Sarkozy Fahnenflucht begangen und aus blankem Opportunismus kapituliert.

Anders kann man es nicht ausdrücken, wenn die Partei, die sich auf das Erbe von General de Gaulle beruft, nicht mehr zwischen Sozialisten (die mit de Gaulle Widerstand leisteten) und Rechtsextremisten unterscheidet, deren Herkunft im Faschismus und im Kolonialismus zu suchen ist.

Mit ihrer feigen Weder-noch-Wahlparole, die vermeintlich wertneutral einen Sozialisten und eine Rechtsaußenkandidatin als ebenbürtig bezeichnet, hat die Partei von Nicolas Sarkozy ihren Wählern das schlechte Gewissen genommen, das einige von ihnen noch hatten, als sie klammheimlich hinter dem Vorhang den FN-Wahlzettel in den Umschlag steckten.

Das wird nicht nur für die Präsidentschaftswahlen von 2017, sondern schon bei den Departementwahlen Ende März Konsequenzen haben. Mehrere dieser hundert „Landkreise“ dürften vom FN erobert werden, wenn die UMP erneut nach demselben Schema verfährt.

Dass sich Marine Le Pen heute brüsten kann, dass der FN mit Abstand die größte „Arbeiterpartei“ sei, kommt auch nicht von ungefähr. Die Enttäuschung über die Linksregierung und ihre Misserfolge im Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit treibt der extremen Rechten noch mehr Wähler in die Arme als die prinzipienlose Taktiererei der UMP. Bei der Nachwahl in Ostfrankreich geht für Le Pen trotz der knappen Niederlage die Rechnung auf. Die anderen können sich noch besinnen – bevor der FN nur noch einen Schritt vor der Machtergreifung steht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Im ersten Wahlgang 2012

    ür alle als links geltenden Kandidaten 37,5 % gegen 62,5 % für alle bürgerlichen und rechten Kandidaten bei 39,5 % Wahlbeteiligung

    Im zweiten Wahlgang 2012

    49,3% für Moscovici gegen 24,5% für den rechten und 26,2 für den bürgerlichen Kandidaten bei einer Wahlbeteiligung von 59,1 %.

    im ersten Wahlgang bei der der Nachwahl 2015:

    für alle als links geltenden Kandidaten 35,1 % gegen 64,6 % für alle bürgerlichen und rechten Kandidaten bei 39,5 % Wahlbeteiligung

    im zweiten Wahlgang bei der der Nachwahl 2015:

    für den als links geltenden Kandidaten 51,4 % gegen 48,6 % für die rechte Kandidatin bei 49 % Wahlbeteiligung

    Ich denke, dass Herr Balmer zu etwas anderen Einschätzungen gekommen wäre, hätte er zumindest diese Ergebnisse interpretiert – es verlangt ja keiner, dass er sich vor Ort begibt und dort Kenntnisse gewinnt…

    • @Gottfried Scherer:

      Auch ich frage mich, was Rudolf Balmer eigentlich erwartet hat.

       

      Meiner Ansicht nach war es nur eine Frage der Zeit, dass "die Barrikaden, die in Frankreich die etablierten Parteien seit Jahrzehnten gegen die Bedrohung von ganz rechts errichtet hatten, [...] nicht mehr [halten]".

       

      Sie schreiben ganz zu recht: "für den als links GELTENDEN Kandidaten". Linke Kapitalisten gibt es nämlich nicht. Ausbeutung ist Ausbeutung. Basta. De Gaulles Vorfahren waren Landadlige und reiche Unternehmer, er selbst war General. Würde mich nicht wundern, wenn der Mann tatsächlich geglaubt hätte, dass Frankreich sicher ist, wenn die deutschen Faschisten erst einmal besiegt sind – und wenn er diesen Glauben ungebrochen weitergegeben hätte an seine diversen Fans.

       

      Nein, es gibt kein Nazi-Gen, das nur die Deutschen in sich tragen. Prinzipienlose Taktiker, Opportunisten und (Möchtegern-)Kollonialherren gibt es auch anderswo. Jedes Volk ist gut beraten, solchen Leuten keine Macht zu überlassen. Leider wacht "das Volk" noch immer frühestens dann auf, wenn der oder die Führer ihr Land mal wieder mit Vollgas gegen die Wand gefahren hat/haben. Die Schuld sucht es dann allerdings niemals bei sich selbst oder in den Umständen, unter denen es (mitunter eher schlecht als recht) zu leben hat. Man hat ja schließlich so etwas wie eine Selbstachtung zu verlieren, nicht wahr? Wer also wird gleich eine ganze Gesellschaft umkrempeln, wenn er bloß ein paar ertappte Esel in die Wüste treiben braucht, um wieder mal für ein paar Jahre seine Ruhe zu genießen?