piwik no script img

Kommentar Flugverkehr und KlimapolitikEin Tegel braucht kein Mensch

Kommentar von Nils B. Schulz

Der Philosoph Hans Joas hoffte, dass ökologische Ideen ins selbstverantwortliche Handeln einfließen. Das Gegenteil davon ist der Tegel-Volksentscheid.

Zukunft? Ist für Tegel noch offen Foto: dpa

W as ein Moralist ist? Jemand, der glaubt, dass die Menschen ihr Sein und Handeln selbstverantwortlich nach moralischen Prinzipien gestalten können und auch gestalten. Das versteht man zumindest im alltäglichen Sprachgebrauch darunter. Der Philosoph Hans ­Jonas hoffte in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts noch, dass auch ökologische Ideen ins selbstverantwortliche Handeln einfließen. Seine Aufforderung, sich so zu verhalten, dass die Wirkungen eigenen Handelns „verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“, mag sofort einsichtig erscheinen. Doch wie oft scheitert diese Aufforderung an Urlaubs­plänen, an Grillgelüsten oder dem nächsten Autohaus.

So sind mittlerweile auch die letzten Moralisten unter den Ökologen und Klimaforschern skeptisch, dass individuelles Handeln die global zunehmende Klimaerwärmung zu berücksichtigen imstande ist, wenn es Einschränkung und Verzicht bedeutet oder unbequem ist. Zu mächtig sind die Systemzwänge und Attraktionen der spätmodernen „Spektakelgesellschaft“, ein Begriff, den der Künstler und Revolu­tio­när Guy Debord verwendete. Der homo consumenssaugt die Angebote der kapitalistischen Warenindustrie gierig auf: vom SUV über den Coffee to go und Smartphone-Innovationen bis hin zu Pauschalreisen. Einfach anklicken.

Deswegen ist es wichtig, die Politik so auszurichten, dass sich sowohl ein Umdenken ereignen kann (wie beispielsweise in Bezug auf die Atomenergie), als auch ein gesetzlicher Rahmen geschaffen wird, der umweltzerstörerisches Handeln mini­miert, sei es durch Verbote oder Anreizsysteme (wie etwa die Förderung von Photovoltaik­anlagen). Denn ein kollektiver Bewusstseinswandel, der das technisch-instrumentelle Denken infrage stellt, ist derzeit leider nicht in Sicht.

Angesichts der Klimaerwärmung ist es also die Aufgabe der Politik, den Einzelnen von seiner moralischen Überforderung zu entlasten; vor allem dann, wenn man davon ausgeht, dass der Mensch in anthropologischer Hinsicht bequeme Verhaltensoptionen vorzieht und aufgrund des hohen Anpassungsdrucks bereit ist, dem aktuellen Mainstream zu folgen. Gegenwärtig ist das die konsumistische Lebensweise.

Ein Lehrstück, wie Politik nicht sein sollte, ist in dieser Hinsicht der von der Berliner FDP initiierte Volksentscheid zur Offenhaltung des Flughafens Tegel. Anstatt bundespolitischer Themen wie Krieg und Frieden, Wirtschaftsgerechtig­keit, die EU oder Migration ist in Berlin die Flughafen-Debat­te das Wahlkampfthema Nummer eins. Eine FDP-Wahlkampagne ist es, die den Freidemokraten Stimmen sichern soll. Die FDPler ignorieren nicht nur das notwendige klimapolitische Umdenken, sondern sie ignorieren auch, was im Sinne Jonas’ die Aufgabe der Politik ist, nämlich „die Permanenz menschlichen Lebens“ und anderer Lebewesen zu bewahren.

taz.am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Das Engagement für einen veralteten innerstädtischen Flug­hafen steht für Rückwärtsgewandtheit und Verantwortungslosigkeit. Der Volksentscheid, als Appell formuliert, triggert vor allem Emotionen nostalgischer Westberliner an, anstatt ihre Herzen für einen „Zukunftsstandort“ zu öffnen, der nach der Schließung des Flughafens dort entstehen soll: mit 9.000 Wohnungen, einem Landschaftsraum, einem Wissenschafts- und Technologiezentrum, alles in der Nähe des Tegeler Sees.

Das umweltschädlichste Verkehrsmittel

Vielleicht mag es zunächst so scheinen, dass es beim Volksentscheid nicht um Ökologie geht: Ist doch egal, von welchem Flughafen man abhebt, welcher Lebensraum beschallt wird und wo Menschen leiden. Aber sich wie die Berliner FDP, AfD und CDU für einen maroden Flughafen einzusetzen, der 300.000 Menschen – also eine ganze Stadt in der Größe von Augsburg, Bielefeld, Karlsruhe – jeden Tag dem krank machenden Lärm aussetzt, dabei ständig von steigenden Fluggastzahlen zu sprechen und so die Attraktivität Berlins für die Tourismusbranche anzupreisen – das ist genau das Gegenteil einer ambitionierten Klimapolitik. Genau diese fordern viele Klimaforscher und Politiker, um den globalen Temperaturanstieg bis 2100 auf maximal 2 Grad Celsius zu beschränken.

Wer seine Politik an Prognosen ausrichtet, die vom ungebremsten Wachstum des Flugverkehrs ausgehen, scheint an einer nachhaltigen Verkehrspolitik für ein „zukunftsfähiges Deutschland“, von dem der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) immer wieder spricht, nicht interessiert zu sein. Denn Flugzeuge sind wegen ihrer Lärm- und Klimabelastung das umweltschädlichste Verkehrsmittel. Der Flugverkehr verursacht mindestens 5 Prozent der weltweiten CO2-Emis­sio­nen. Tendenz: rasant steigend.

In Berlin und Brandenburg machen die klimaschädlichen Emissionen des Flugverkehrs über 60 Prozent der gesamten Verkehrsemissionen aus. Ein Flug von Berlin nach New York und zurück belastet mit über drei Tonnen Kohlendioxid das Klima so stark wie zwei Jahre Autofahren. Mit einer solchen Flugreise hat man nach dem Modell des ökologischen Fußabdrucks sein Jahreskontingent an CO2mehr als verbraucht. Viele solcher Fakten kann man im aktuellen BUND-Luftverkehrskonzept für die Hauptstadtregion nachlesen, das der emotionalisierten Tegel-Debatte ein rational-kritisches Fundament gibt.

Vor einem Jahr erfuhr der Grünen-Abgeordnete Harald Mo­ritz auf seine Kleine Anfrage, dass am Flughafen Tegel täglich 1.375.000 Liter Kerosin vertankt werden, um vor allem Billigflugreisenden ihre Pauschalreise-Träume zu ermöglichen. Billigflieger treiben Berlins Fluggastzahlen nach oben, fast 40 Prozent der Fluggäste entfallen auf sie. Würde Kerosin mit der Mineralölsteuer, wie sie für Diesel gilt, besteuert, also etwa mit 50 Cent pro Liter, nähme der Fiskus vom Flughafen Tegel täglich 650.000 Euro ein, rechnet Moritz vor. Laut Greenpeace machen die Steuerbefreiungen fürs Fliegen deutschlandweit mehr als 10 Milliarden aus. Weder wird Energiesteuer auf Flugbenzin noch Mehrwertsteuer auf internationale Flüge erhoben.

Große Chance für verdrängte Themen

Wenn sich der Flugverkehr nicht reduziert, können Städte mit Flughäfen ihre Klimaziele unmöglich erreichen. Dabei wird gerade die Klimapolitik wachsender Großstädte immer wichtiger, weswegen sich deren Bürgermeister zu einer Klimakoalition „nachhaltiger Städte“ zusammenschließen.

Falls die Bürgerinnen und Bürger am 24. September in Berlin für die juristisch und ökonomisch mehr als fragwürdige Offenhaltung des Flughafens Tegel stimmen, wird damit eine Regierungspolitik unter Druck gesetzt, der man noch ein Jahr zuvor die verkehrspolitische Gestaltung Berlins überantwortet hat – mit einem Wahlprogramm, das die Schließung des Flughafens beinhaltete.

Die Flughafen-Abstimmung zeigt zum einen, dass man eine parlamentarische Demokratie mittels direkter Demokratie ad absurdum führen kann. Zum anderen aber demonstriert sie, wie aktuell die Frage ist, die der verzweifelte Jorgen Randers im jüngsten Club-of-Rome-Bericht stellte, nämlich ob die kapitalistischen Demokratien in der Lage sein werden, Antworten auf die bedrängenden ökologischen Fragen zu geben. Deswegen bietet die Flughafen-Debatte eine große Chance, über verdrängte Themen zu sprechen: über Fluglärm und die desaströsen Auswirkungen der Vielfliegerei für das globale Klima.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • Etwas wirr: über Tegel solle nicht abgestimmt werden, stattdessen über "bundespolitische Themen wie Krieg und Frieden, Wirtschaftsgerechtigkeit, die EU oder Migration"

     

    Auf die Volksabstimmung über "Krieg gegen oder für ..." freu ich mich schon.

     

    Wer Tegel nicht braucht, ist eher gegen Tegel ... aber das trifft auch auf andere Sachen zu.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...aber einen Tiegel.

  • Es gibt Menschen, die Leben in der Einflugschneise von Tegel und werden trotzdem für den Erhalt des Flughafens stimmen. Unter ihnen sind sogar Umweltschützer und -schützerinnen. Wie kann das sein? Ganz einfach, eine Schliessung des Flughafen wertet ihre Gegend auf und sie befürchten – zu Recht – sich ihre Wohnung irgendwann nicht mehr leisten zu können.

    Genauso wird es Regierungen geben, die sich liebend gerne für den Umweltschutz einsetzen und z.B. Kerosin höher besteuern wollen würden. Doch wenn das womöglich die Fluggastzahlen reduziert, werden sie sich das noch ein zweites Mal überlegen, gerade wenn der Tourismus eine wichtige Steuereinnahmequelle darstellt.

    Das Problem ist hier die kapitalistische Konkurrenz, ob zwischen Mieterinnen und Mietern um eine Wohnung oder zwischen Städten um Touristinnen und Touristen. Diese Konkurrenz schert sich nicht um Bedürfnisse Zahlungsschwacher oder den Schutz der Umwelt, denn beide versprechen keine Gewinne. Wer dies doch tut, gehört – leider – schnell zu den ökonomischen Verlierern und Verliererinnen.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @Tayyip Yilmaz:

      Wir leben nicht im anarcho-Kapitalismus, es gibt den Staat und der hat die Aufgabe genau hier tätig zuw erden. Der Kapitalismus produziert Wohlstand, der Staat soll besteuern und umverteilen und auch regulieren.

      • @83379 (Profil gelöscht):

        Und wird der Staat tätig? Vermindert eher das Aufgehen der Schere zwischen arm und reich: nein. Verhindert er Zwangsräumungen alter Menschen aus ihrem Kiez: nein. Fördert er den Umweltschutz über symbolische Maßnahmen hinaus: nein. Der Staat steht ebenfalls in der Konkurrenz – mit anderen Staaten. Und wenn er nicht als Verlierer, wie z.B. Griechenland, enden möchte, muss er sich den Zwängen des Marktes fügen. Auch wenn ihn das alleine noch nicht zum Gewinner macht. Der Kapitalismus produziert Wohlstand für die Einen und Elend für die Anderen.

  • Tja, das blöde Volk will halt nicht immer so, wie die Bessermenschen es gerne hätten - und zack, entdecken die auf einmal die Vorteile der repräsentativen Demokratie...

     

    "Moralische Überforderung" ist übrigens eine eher dünne Tarnung für "Unmündigkeit". Ich frage mich immer wieder, ob linke und grüne Bevormundungsadvokaten sich der Menschenverachtung klar sind, die solche beiläufigen Wertungen verraten.

     

    Letztlich können so Denkende Demokratie nicht wirklich ertragen. Leute wie Donald Trump sind für sie insgeheim der Beweis, dass Volksherrschaft nur als Fassade für ein System dienen sollte, in dem eigentlich eine (moralisch und intellektuell überlegene) Elite als "Korrektiv" das letzte Wort hat.

     

    Zum Thema Tegel: Die klimazentrierte Argumentation ist ebenfalls eine Fassade. Jedenfalls wird nirgends ersichtlich, wo genau der logische Zusammenhang zwischen Klimapolitik und Lärmbelästigung liegen soll. Der Autor hätte sachlich argumentieren, z. B. verlässliche Prognosen präsentieren können, dass zwei Berliner Flughäfen auf Dauer auch mehr Flugverkehr insgesamt bedeuten würden. Davon fällt aber kein Wort. Stattdessen wird so getan, als ob Fluglärm über Stadtgebiet irgendwie klimatechnisch anders zu werten sei als über ländlichen Regionen. Geht es vielleicht auch gar nicht so sehr um die konkrete Belastung durch Tegel sondern um den symbolischen Wert einer Entscheidung, die quasi "Ja zum Flugverkehr" sagt?

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @Normalo:

      Jetzt haben Sie in Ihrem letzten Satz doch noch bewiesen, dass Sie etwas begreifen.

      • @61321 (Profil gelöscht):

        Dann sollten wir uns aber einig sein, dass der Artikel weitgehend um den heißen Brei herumredet - außer in dem Teil, wo er über die Notwendigkeit philosophiert, dem Pöbel nur ja nicht solche Fragen zu stellen, die er möglicherweise anders beantwortet, als es dem weisen Bessermenschen recht wäre...

  • Ein sehr guter Kommentar. Allerdings ist die Quintessenz falsch. Die direkte Demokratie ist nicht das Problem. Wenn die Parteien ihre Kompetenz verspielt haben und z.B. beim BER zeigen, dass ihnen Filz wichtiger als eine funktionierende Infrastruktur sind, verlieren sie eben auch das Vertrauen der Bevölkerung, dass die Schließung von Tegel sinnvoll ist. Die FDP greift dies sicher populistisch auf. Aber weder sollten wir die Populisten oder gar die Demokratie schelten. Vielmehr sollten wir die Schuld bei denen suchen, die es verbockt haben. Das ist der Senat in Berlin und Frau Merkel auf Bundesebene.

  • Es ist auch immer wieder interessant und bemerkenswert zu beobachten, wie viele "grüne" Stammwähler und Funktionäre dicke Autos fahren und mehrfach im Jahr Flugreisen unternehmen ... Der eigene Spaß geht eben vor! Zumal die Lebenszeit begrenz ist.

  • Irgendwann -- bald -- wird es wieder eine Generation geben, die ihren Eltern vorwirft: "Warum habt ihr mitgemacht?" Und die Eltern werden wieder, wie ihre eigenen Großeltern damals, entrüstet antworten: "Aber das haben wir doch alles nicht gewusst!" -- Aber ihr hättet es wissen können! Es lag alles offen zutage...

  • Es sollten keine billflieger geben. Nur teuerflieger.

    • @Demokrat:

      Genau, aber die Grünen und die meisten Naturschutzverbände trauen sich nicht laut zu sagen, dass weniger geflogen werden muss, und fliegen außerdem selbst besonders viel. Außenseiter wie Niko Paech bekommen immer Beifall, wenn sie sagen, dass sie nicht fliegen und kein Auto haben, aber unsere Politiker und Intellektuellen wollen lieber weiter um ihren Platz auf der Titanic rangeln.

       

      @Redaktion

      Jonas, nicht Joas.

      • @Mika:

        Nun ja. In Notfällen wie bei Politikern ist fliegen schon ok. Zur Klimakonferenz in Rio oder bali kann mensch ja schlecht zu Fuss gehen.