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Kommentar Flüchtlingsdeal mit TürkeiEin absolutes Armutszeugnis

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Erdoğan soll Flüchtlinge abwehren. Im Gegenzug fordert er Geld und Anerkennung. Die EU darf seine undemokratische Politik nicht belohnen.

Sicherer Herkunftsstaat Türkei: Immer wieder setzt die Polizei Tränengas gegen oppositionelle Demonstranten ein. Foto: ap

D ie Financial Times, nicht gerade bekannt für eine besonders menschenrechtsorientierte Haltung, schrieb am Donnerstag abfällig: Bundeskanzlerin Merkel wird den türkischen Präsidenten Erdoğanbei ihrem Besuch am Sonntag mit Geschenken überschütten. Diese Einschätzung wird wohl richtig sein. Merkel fühlt sich innenpolitisch so unter Druck, dass sie außenpolitisch keinerlei Hemmungen mehr hat, alle Vorbehalte, die sie bislang gegen die Türkei und vor allem gegen Erdoğan persönlich hatte, über Bord zu werfen.

Wenn Merkel in den vergangenen Tagen gefragt wurde, was denn ihr Plan sei, um die Zuwanderung von Flüchtlingen in „geordnete Bahnen“ zu lenken, fiel ihr vor allem eines ein: Die Außengrenzen der EU müssen wieder dicht werden. Da die meisten Flüchtlinge die EU derzeit über die Türkei erreichen, wird in ihren Augen Präsident Erdoğan zum unvermeidlichen, ja wichtigsten Partner bei diesem Vorhaben.

Anfang Oktober hat Erdoğan in Brüssel bereits klar gemacht, dass seine sogenannte Hilfe nicht umsonst zu haben ist. Außer dass nun etliche Milliarden für den Bau neuer Flüchtlingslager in der Türkei überwiesen werden sollen, drängt er auf die Wiederaufnahme der Beitrittsverhandlungen und den seit langem versprochenen Visaerleichterungen für Reisen türkischer Staatsbürger in die EU.

Beim Brüsseler Gipfel am Donnerstag deutete sich an: Erdoğan wird bekommen, was er will. Lediglich die Höhe der Finanzhilfen ist noch strittig. Darüber hinaus erwartet der türkische Präsident von Merkel aber auch eine Unterstützung seiner Syrienpolitik, insbesondere die Einrichtung einer Sicherheitszone entlang der türkisch-syrischen Grenze nicht zuletzt um so die PKK und die syrischen Kurden wirkungsvoller bekämpfen zu können.

Moralisch und realpolitisch fatal

Außerdem verbittet sich Erdoğan zukünftige Mäkeleien über seinen undemokratischen Regierungsstil und die massive Unterdrückung jeglicher Opposition einschließlich der Gängelung der türkischen Medien. Unterstrichen werden soll dieses Bekenntnis dadurch, dass die EU die Türkei zu einem sicheren Herkunftsland erklärt und damit quasi als demokratischen Staat zertifiziert.

taz.am wochenende

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Dies wäre freilich ein Hohn; seit dem Militärputsch 1980 war das Land für Kurden, aber auch für säkulare Oppositionelle nicht mehr so unsicher wie jetzt. Auch die Unterstützung der Kriegspolitik gegen die Kurden wäre nicht nur moralisch, sondern auch realpolitisch ein absolutes Armutszeugnis. Ganz abgesehen davon, dass diese Kriegspolitik nach Jahren der Entspannung wieder unendliches Leid über das Land bringt, birgt sie auch das Risiko, die Türkei vollends in den Strudel des syrischen Bürgerkriegs hineinzuziehen und damit erst recht neue Flüchtlingswellen auszulösen.

So sehr eine Wiederannäherung der Türkei an die EU zu begrüßen ist, so sehr schadet sie langfristig beiden Seiten, wenn sie zu Erdoğans Bedingungen betrieben wird. Man darf Erdoğans undemokratische und repressive Politik nicht belohnen, schon gar nicht, um dann gemeinsam mit ihm eine unmenschliche Flüchtlingspolitik an der türkisch-griechischen Grenze durchzusetzen. Merkel will keinen Stacheldraht innerhalb Europas – das ist gut und richtig, verliert aber seinen humanen Anspruch, wenn man stattdessen den Stacheldraht an Europas Außengrenze hochzieht.

Weil Merkel ausschließlich aus innenpolitischen Erwägungen handelt, mischt sie sich auch noch in den türkischen Wahlkampf ein. Für die gesamte Opposition ist es wie ein Schlag ins Gesicht, dass die deutsche Kanzlerin nicht einmal mehr die Wahl am 1. November abwartet, um dann mit einer neuen, legitimen Regierung zu verhandeln, sondern ohne jede demokratische Rücksicht den Despoten Erdoğan international und damit auch in den Augen der türkischen Wähler aufwertet, indem sie so tut, als spielten die Wahlen für Erdoğans Macht oder Ohnmacht gar keine Rolle.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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11 Kommentare

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  • Frau Merkel und die EU verhalten sich so, als ob Erdogan und seine AKP-Regierung schon Alleinherrscher in der Türkei wären. Dabei hat Erdogan nach der türkischen Verfassung nur ein rein repräsentatives Amt und Davutoglus Regierung verfügt über keine parlamentarische Mehrheit. In dieser Situation nicht auch die Oppositionsparteien in die Verhandlungen einzubeziehen und kurz vor der, über den demokratischen Weg der Türkei entscheidenden Wahl , einseitig Wahlhilfe für einen autoritären Tyrannen zu machen, ist eine Schande für die EU und Frau Merkel.

    Frau Merkel vergisst wohl, dass die Verhandlungsergebnisse nach der Wahl auch vom türkischen Parlament gebilligt werden müssen. Oder soll ihr Besuch bei Erdogan jetzt dazu führen, dass die AKP eine parlamentarische Mehrheit bekommt, die die Abmachungen besiegeln? Wobei eine erneute parlamentarische Mehrheit für die AKP auch den endgültigen Untergang der türkischen Demokratie bedeuten würde.

  • In Deutschland brennen die Asylheime, Ungarn zaeunt sich mit Natorasierklingendraht ein, die Rechte demonstriert allerorten. Frauen in meiner Bekanntschaft fuehlen sich unsicher nachts. Als Politiker kommt man nicht umhin, darauf zu reagieren. Deutschland kann nicht die Welt retten. Mit ca 1 Mill. Einwanderung dieses Jahr haben wir unseren Teil beigetragen. Ich denke, das muss man Frau Merkel zugute halten.

    • @Gabriel Renoir:

      Warum kann Frau Merkel nicht wenigstens die 2 Wochen bis zur Wahl abwarten? Wozu Wahlgeschenke wie die Visaerleichterungen für Erdogen so kurz vor einer Wahl, die über den Fortbestand der Demokatie in der Türkei entscheidet. Muss Frau Merkel Herrn Erdogan kurz vor der Wahl durch einen Staatsbesuch, durch Milliardengeschenke und die Eröffnung von EU-Beitrittskapitel sowie der irrsinnigen Einstufung der Türkei als sicheres Herkunftsland gerader zu diesem unmöglichen Zeitpunkt aufwerten? Was nützen die Verhandlungsergebnisse, wenn es zu einem Machtwechsel kommen sollte?

      Warum wurden nicht gleich die Oppositionsparteien in die Verhandlungen einbezogen?

      • @vulkansturm:

        Vielleicht waere die Situation nach den Wahlen sehr unklar. Außerdem hat Deutschland jetzt so viele Fluechtlinge aufgenommen, dass man versucht, das zu verringern. Wie soll man es denn sonst machen? In Syrien einmarschieren wie die Russen?

  • EU - bei den AA - Wellcome !

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    Polen/Italien/Griechenland/Balkan/Bulgarien/Libyen/Türkei…ff ¿¿!! - >

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    2. "Sollen wir das Geschäft der Schlepper betreiben!" IM

    Heiliger St. Florian FrozenThomas!

     

    Warschau! & Patt op Drempels ! - >

    Die Erde ist eine Scheibe!

  • Schönfärberisch nennt man das ja "Realpolitik". Man sollte ehr von Erfüllungs- oder Beschwichtigungspolitik (Appeasement) sprechen. Da tritt man auch schon mal die eigenen Werte und Prinzipien mit Füßen und kriecht einem größenwahnsinnigen Autokraten in den Allerwertesten. So tief, dass kaum noch die Schuhsohlen rausschauen. Ist halt Realpolitik!

  • Erdogan spielt mit dem Feuer im Hinblick auf seine Syrien-Kurden-Politik, die letztendlich noch mehr Flüchtlinge erzeugen wird. Ihm geht es nur um die Macht und die Wiederwahl mit absoluter Mehrheit.

     

    Wie es aussieht, wird Merkel und die EU Erdogan auf den Leim gehen und seine dreisten Forderungen erfüllen. Es ist unverzeihlich, wenn sie sich erpressen lassen. Hier wird eindeutig klar, daß weder Deutschland noch Europa einen Plan oder eine Lösung für die Flüchtlingsproblematik auf Lager hat. Die europäischen Grundwerte werden damit verkauft, nur um sich mit einer großen Heuchelei die Flüchtlinge vom Halse zu halten gemäß bayerisch-christlicher Moral: aus den Augen - aus dem Sinn.

     

    Auf die Idee, die Misere einmal von der Wurzel her anzugehen und für eine andere internationale Politik zu sorgen, kommt natürlich von den engstirnigen Alternativlosen niemand. Es wird bewußt in Kauf genommen, daß die Flüchtlinge in der Türkei kaserniert oder sogar konzentrationslager-ähnlich zusammengepfercht werden. Das türkische Regime und seine Polizei haben sich bisher nicht gerade als Humanisten ausgezeichnet. Es ist das Schlimmste zu befürchten. Aber warten wir es ab ... An Ausreden und Schönfärberei wird es nicht fehlen, um uns die Zwangsläufigkeit dieses unlauteren Geschachers zu erklären.

    • @Peter A. Weber:

      erdogan will eine pufferzone im norden syriens. wo erzeugt das mehr flüchtlinge? der syrische ableger der pkk begeht ethnische säuberungen und nimmt sich in sachen humanismus nicht viel mit anderen terroristischen vereinigungen. in der türkei leben 3 millionen flüchtlinge. wie würde denn deutschland diese zahl an flüchtlingen beherberen? würden sie etwa ihr gästezimmer aufgeben herr weber? die europäischen grundwerte werden verkauft wenn eu-mitglieder offen zugeben/argumentieren, dass sie nur bereit sind, christliche flüchtlinge aufzunehmen und das nicht zu einem eklat führt sondern business as usual folgt.

      • @TinTim:

        Haben Sie mal einen Link zur These mit den ethnischen Säuberungen durch die Kurden?

      • @TinTim:

        "wie würde denn deutschland diese zahl an flüchtlingen beherberen?"

         

        Ihnen ist offenbar entgangen, daß die meisten gar nicht nach Schland wollen. Sind ja nicht auf den Kopf gefallen, die Leute.

  • „Wir schaffen das!“ - nicht ohne Erdogan.