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Kommentar FlüchtlingsberichtDer Süden braucht Hilfe

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Italien hat was geändert. Jetzt werden Flüchtlinge in Seenot gerettet. Doch es fehlen die Hilfe Europas sowie vor allem ein neues Denken.

Gerettet dank „Mare nostrum“: Flüchtlinge vor Italiens Küste Bild: reuters

D ie weltweiten Fluchtbewegungen haben eine neue Dimension angenommen. Nicht verändert hat sich, dass nur die wenigsten der vertriebenen Menschen bei uns in Europa ankommen. Und selbst sie sollen von unseren Grenzen ferngehalten werden. Ein legaler Zugang für Flüchtlinge fehlt bis heute.

Die gute Nachricht ist deshalb: Derzeit werden Flüchtlinge vor den Toren Europas gerettet. Für viele Menschen aus Syrien und Eritrea ist die Reise über das Mittelmeer nach Italien der einzige Ausweg. Die „Mare Nostrum“-Mission hat in den letzten Monaten Zehntausende gerettet. Was mit den Menschen an Land geschieht, steht auf einem anderen Blatt.

Die Rettungsaktivitäten sind keineswegs selbstverständlich. Dokumentierte Fälle, in denen Italien keinen Finger rührte und Hunderte Flüchtlinge ertrinken ließ, liegen kein Jahr zurück. Jene, die auf eigene Faust eingriffen und halfen, wurden vielfach verfolgt: Vor zehn Jahren nahm die „Cap Anamur“ 37 schiffbrüchige Papierlose an Bord und brachte sie später nach Italien. Die Besatzung landete dafür erst im Gefängnis und dann vor Gericht. Und sie waren nicht die Einzigen. Doch seit der Schiffskatastrophe von Lampedusa im vergangenen Oktober leistet sich Europa etwas mehr Humanität. Die Frage ist nur, wie lange noch.

Denn bisher scheint die EU nur etwa ein Sechstel der millionenteuren Mare-Nostrum-Mission zu finanzieren. Den Rest tragen die Italiener allein und fühlen sich zu Recht von der Europäischen Union im Stich gelassen. Die Rettungsaktionen müssen nicht nur beibehalten, sondern ausgebaut – und deshalb europäisch finanziert werden.

Der Preis ist zu hoch

Der Weltflüchtlingstag ist eine gute Gelegenheit, etwas ganz Grundsätzliches zu begreifen: Wer über Flucht spricht, spricht auch über Umverteilung. Die Grenzen Europas trennen unsere Welt des Überflusses von der Armut und Not der anderen. Je durchlässiger sie sind, desto stärker werden sich die Verhältnisse angleichen.

Wer stattdessen die Grenzen verteidigt, verteidigt auch unser privilegiertes Lebens- und Konsummodell. Migration ist eine Form der Bekämpfung globaler sozialer Ungleichheit von unten, mit der sich manche, auch einige der Ärmsten, nehmen, was ihnen vorenthalten wird.

Nur: Der Preis, den sie dafür zahlen müssen, ist noch viel zu hoch.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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20 Kommentare

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  • Es kann nur EIN Ziel geben, und das heisst 'Grenzen weg!'. Hauptsache, so schnell wie möglich. Wer die heutige Grenzziehung in Europa bzw. in der Welt als normal und natürlich und erhaltenswert betrachtet, der sollte mal in die Geschichte schauen, wie es überhaupt dazu gekommen ist. Vom Wiener Kongress 1815 über die Grenzen des Deutschen Reiches 1871 bis zur heutigen Situation wird klar ersichtlich, das Grenzfragen immer Herrschaftsfragen waren. Zum grossen Glück der Menschen in Europa sind die europäischen Binnengrenzen am völligen Verschwinden. Da kann es kein Zurück geben. Grenzen sind immer GEGEN die Interessen einer anderen Menschengruppe errichtet worden. Das MUSS aufhören! Und genauso MUSS es weitergehen mit der Bildung von freien Wirtschaftsräumen mit Afrika und Eurasien. Herzlich willkommen an alle Menschen!

    • @bouleazero:

      Bescheidene Frage: Wer in D sollte Interesse an so einer Vision haben?

  • 9G
    90191 (Profil gelöscht)

    Wann holt man die Flüchtlinge endlich an der afrikanischen Küste ab?

    Wann setzen endlich auch Christen ihre christliche Leitkultur in die Tat um? "Gebet, so wird euch gegeben.", so heißt es doch... oder heißt es etwa "Überlaßt die Armen ihrem Schicksal, auf daß eure Steuergelder euch selbst zugute kommen."?

  • "Dokumentierte Fälle, in denen Italien keinen Finger rührte und Hunderte Flüchtlinge ertrinken ließ, liegen kein Jahr zurück."

     

    Man ließ sie auch zu Hunderten einfach auf dem Meer verdursten!

     

    Aber nur, damit das nicht misverständlich klingt, als wären die Italiener die "Drecksäcke":

     

    Diese Doktrin

    "Lasst sie absaufen! Das schreckt sie ab. Sonst kommen noch mehr."

    wurde ihnen von den anderen Europäern vorgeschrieben - unter anderem und vor allem von Deutschland!

     

    Die Deutschen haben keine Ahnung, was in Italien seit Jahren abgeht.

     

    In Italien ist die Flüchtlingsproblematik seit Jahren Bestandteil einer jeden Tageszeitung und mindestens einmal täglich in den Fernsehnachrichten.

     

    Deutschland macht sich vielleicht mal nen Kopp darum, wann denn bitteschön endlich ein paar das Stadtbild verschandelnde Flüchtlingszelte in Berlin und Hamburg weggeräumt werden, will das eigentliche Problem aber bewusst nicht wahrhaben.

     

    "MUSSMANNNICHTWISSEN" - Ja ne, ist klar soweit.

    • @Schwarznasenschaf:

      Ja ist doch schön wenn alles klar ist *lol*

  • Versetzen Sie sich mal in die Situation eines Grenzschützers bei der italienischen Marine.

    Sie sind selber Seemann oder Seefrau.

    Deren oberstes Gebot heißt, alle Menschen in Seenot zu retten, weil ja auch Sie mal Gefahr laufen könnten, den qualvollen Tod des Ersaufens oder Verdurstens zu erleiden.

    Seit Jahren sehen Sie täglich Elend, Tod und Verderben, hunderte Leichen auf dem Meer treiben und tausende Menschen in Seenot.

     

    Sie dürfen aber nicht nur nicht helfen, sonst werden Sie bestraft, sondern sollen die hoffnungslos überladenen Boote von der Küste abdrängen, damit sie entweder vielleicht wieder zurückfahren oder dann eben absaufen.

    Befehl von ganz oben.

     

    Vor knapp zwei Jahren wurde eine komplette Einheit einer Marinehelikopterstaffel verknackt, weil sie es wagten den verdurstenden Menschen Trinkwasserflaschen zu zuwerfen.

    Wie gesagt:

    Für diese Doktrin sind u.a. und vor allem die Deutschen verantwortlich.

    "MUSSMANNNICHTWISSEN"

  • Anstatt brauchbare Lösungsvorschläge, ausreichende Hilfsangebote oder zumindest genügend Geld zur Unterstützung des immensen Aufwands, den (nicht nur) Italien mit der Flüchtlingsflut hat, von den reicheren, nördlichen EU Partner zu erhalten, wird ihnen von Frankreich und vor allem von Deutschland auch noch ein Sparkurs ("Rettungsschirm") aufgezwungen, der zusätzlich ihre Wirtschaftsleistung ausbremst.

    Das ist Europas Dank dafür, daß Italien den Großteil der Flüchtlinge im eigenen Land behält, die eigentlich nicht nach Italien, sondern nach Großbritannien, Frankreich, Skandinavien und am liebsten nach Deutschland wollen - also die reichsten Staaten Europas, die im Überfluß ersticken und sich deswegen zumindest politisch von Europa immer weiter separieren, um den anderen bloß nix abzugeben.

     

    Italien fühlt sich völlig zu recht von Europa - vor allem von Deutschland - nicht nur im Stich gelassen, sondern verarscht und beschissen.

     

    Ansonsten passiert seit Jahren nix.

    Gar nix.

     

    Deutschland hat sich mal wieder für's Aussitzen entschieden und schaut einfach weg.

    "Issja nicht unsa Problem, wa."

    oder, noch besser:

    "MUSSMANNNICHTWISSEN"

  • Das Problem ist nicht 'nem Zehn-Euro-Scheinchen in ein Miserero-Tütchen an Weihnachten zu bewältigen.

    Das ist lediglich eine Art Ablasshandel zur Gewissensberuhigung.

     

    Italien scheisst jetzt verständlicherweise auf diese Doktrin, holt die Menschen an Land - und schickt sie dann weiter; u.a. nach Deutschland - und schiebt das Problem direkt denen unter die Nase, die es lösen müssen und sich bisher geweigert haben, es überhaupt wahrnehmen zu wollen.

     

    Deutschland muss sich entscheiden - und je eher, desto besser:

     

    Weiter den Kopf in den Sand stecken und so einen Stuss denken und labern, wie MUSSMANNICHTWISSEN hier eben gepostet hat, und weiter an dem Glauben festklammern, daß die Erde eine Scheibe sei, daß sich Probleme von ganz alleine zum Positiven für einen selbst lösen, wenn man nur lange genug untätig bleibt, die Drecksarbeit von anderen erledigen zu lassen und zu glauben, man selbst behalte eine weiße Weste.

     

    oder

     

    Deutschland möchte zumindest einen Teil seines Lebenstandards retten.

     

    Denn zwei Dinge sind absolut sicher Fakt:

     

    Europa ist viel zu klein für alle die Menschen, die hierher kommen wollen.

    Kommen sie, fällt Europa auf ein zentralafrikanisches Niveau ab.

     

    Der Wirtschaft mags derzeit nur recht sein. Da es keinen Mindestlohn gibt, gibt's genügend billige Afrikaner, die für weniger schuften, als die Einheimischen - zum Teil dann auch schwarz, ohne jegliche Versicherung.

    Aber auch von denen gibt's dann irgendwann viel zu viele.

    Selbst für Sklaven wird dann das Angebot zu groß werden.

    Ups. Habe ich damit jemanden empört?

    Oh, dann leben Sie offenbar auch auf einer Scheibenwelt.

  • Die Menschen kommen.

    Und es werden immer mehr werden - sehr viel mehr.

     

    Denn mit der Weiterentwicklung des Klimawandels, den die Deutschen ja auch nicht wahrhaben wollen ("Hirngespinst"), und auf Klimakonferenzen sowas beschließen wie, bis 2050 überlegen wir mal, ob wir was tun und das Weltklima darf gerne um ein paar Grad ansteigen, ohne auch die blasseste Ahnung davon zu haben, was das für's Wetter erst recht in kontinentalem Klima wie z.B. Afrika für Auswirkungen hat, werden so viel mehr kommen, vielleicht dann irgendwann auch mit Waffengewalt, da ist der derzeitige Flüchtlingsstrom ein Kindergeburtstag gegen.

     

    Es hat eine Völkerwanderung begonnen.

    Und die ist weder mit Waffengewalt, noch mit einer Mauer mit Selbstschussanlagen durchs ganze Mittelmeer aufzuhalten.

     

    Also:

    Wenn Europa weiterhin einen hohen Lebensstandard erhalten will, muß es dafür sorgen, daß die Menschen in ihrer Heimat bleiben können.

    Das bedeutet, von dem jetzigen Lebensstandard ein wenig abzugeben, um ihn anderswo zu erhöhen.

     

    Tut Europa - vor allem Deutschland - dieses nicht,

    sondern rast weiter borniert, egoistisch, habgierig und besitzstandswahrend in die selbstgeschaffene Sackgasse, wird Europa - auch Deutschland - Alles verlieren.

     

    Sorry für den langen Kommentar.

    Danke für's Lesen bis hierhin.

  • Na Herr Jakob? Dürfen "einige der Ärmsten" auch bei Ihnen zu Hause erscheinen um sich "nehmen, was ihnen vorenthalten wird"? Je durchlässiger ihre Wohnungstür ist desto mehr werden sich auch die Verhältnisse zwischen den Ärmsten und Ihnen angleichen.

    • @MussManNichtWissen:

      Der kluge Herr MUSSMANNICHTWISSEN hat sicherlich hart dafür gearbeitet, dass er nicht im Sudan oder Haiti zur Welt kam. Was er sich durch Fleiß und Intelligenz erworben hat, dürfen ihm natürlich keine Eindringlinge wieder weg nehmen, nur weil sie sich die falsche Gegend für ihre Geburt ausgesucht hatten!

      • @matthias schindler:

        Der erste Satz Ihres Kommentars ist natürlich unsinnig, das wissen Sie auch. Aber trotzdem, der fleissige und intelligente Herr/Frau Mussmannichtwissen trägt höchstwahrscheinlich dazu bei, dass der Wohlstand, den unsere Eltern und Großeltern nach dem Krieg aufgebaut haben, Bestand hat oder gar vermehrt wird. Wohlstand mit dem D auch jetzt schon Flüchtlingen hilft, Wohlstand mit dem wir soziale Sichererungssysteme finanzieren von denen die meisten Menschen auf diesem Planeten nur träumen können, etc. Und nein, das ist nicht selbstverständlich. Und natürlich versucht jeder seinen Wohlstand zu sichern, ungeachtet der politischen Ausrichtung, ganz natürlich. Wie weit sind wir, wie weit sind Sie persönlich bereit, einen Teil Ihres Wohlstands zu opfern um anderen Menschen zu helfen? Das ist nicht nur eine Aufgabe des Staates, sondern dann letztlich Aufgabe eines jeden Einzelnen. Dann heisst es später nämlich nicht nur, dass die besser verdienenden etwas mehr Steuern bezahlen müssen, sondern, dass auch die HarzIV Empfänger sich weiter einschränken müssen. Und dann Herr Schindler, versuchen Sie mal Wähler zu finden, die eine Open Border Politik befürworten. Letztlich zählt doch nur: was ist gesellschaftlich durchsetzbar.