Kommentar Flüchtlinge vor Österreich: Zug um Zug
Österreich und Ungarn zeigen: Wenn jeder Staat seine eigene Politik betreibt, wird das Flüchtlingsproblem nicht gelöst werden.
S taus von 50 Kilometern Länge auf der Autobahn, Züge, die nicht über die Grenze gelassen werden. Die Flüchtlingsabwehr bedroht das Funktionieren des innereuropäischen Verkehrswesens. Was sich am Montag im Mikrokosmos der österreichisch-ungarischen Grenze abspielte, könnte ein milder Vorgeschmack auf die Zustände sein, die drohen, wenn der Schengen-Vertrag außer Kraft gesetzt wird.
Selbstverständlich dienen die flächendecken Kontrollen im Grenzbereich nur der Bekämpfung des Schlepperunwesens, wie Innenministerin Johanna Mikl-Leitner versicherte. Und dass der aus Budapest kommende Railjet voller Flüchtlinge von den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) nicht übernommen wurde, hat ausschließlich mit dessen Überfüllung zu tun, wie die ÖBB argumentiert.
Schon jetzt ist klar, dass die Kontrollen des rollenden Schwerverkehrs nur wenige Tage aufrechterhalten werden können. Strikte Überwachung als Dauerlösung würde die Kapazität der Polizei überstrapazieren und das Wirtschaftsleben empfindlich beeinträchtigen.
Abgesehen davon muss die Frage gestattet sein: Kann man den kriminellen Schlepperringen effizienter das Handwerk legen, als wenn man Flüchtlingen die legale Einreise mit dem Zug ermöglicht?
Egal, ob der Abzug der Polizei vom Budapester Ostbahnhof ein Revanchefoul gegen das von Österreich verursachte Verkehrschaos auf der Autobahn war oder ob das Massenlager auf dem Bahnhof einfach nicht mehr tragbar schien: Wenn jeder Staat seine eigene Politik betreibt, wird das Flüchtlingsproblem nicht gelöst werden.
Das Dublin-Abkommen, das die Abschiebung in jenes Land erlaubt, wo ein Flüchtling erstmals EU-Boden betreten hat, ist gescheitert. Solange sich das die EU-Staaten nicht eingestehen und sich praktikable und menschenrechtlich verträgliche Lösungen einfallen lassen, werden wir weitere Schlagzeilen über Tod und Qualen auf der Flucht produzieren müssen.
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