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Kommentar Flüchtlinge und KinderehenIm Einzelfall entscheiden

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Kinder gehören in die Schule und nicht in die Ehe – das wird sicher niemand bestreiten. Trotzdem greift das Argument zu kurz.

Der genaue Blick hilft gegen Pauschalurteile: Er kann zwischen Früh- und Teenagerehen unterscheiden. Zwangsehen sind ohnehin verboten Foto: imago/Christian Ditsch

S ind sogenannte Kinderehen eine Form von Kindesmissbrauch? Ja. So sehen das jedenfalls viele Menschen. Und es stimmt ja auch: Bei Paaren, bei denen ein Partner – fast immer ist es die Frau – unter 16 Jahren und der Mann viel älter ist, kann man selten von einer gleichberechtigten Partnerschaft sprechen. Solche Ehen sind in Deutschland zu Recht verboten.

Aber was ist mit jenen Minderjährigen, die aus Syrien oder Afghanistan nach Deutschland kommen und bereits verheiratet sind? Sollte deren Ehe zum Schutz des Kindeswohls annuliert werden, so wie das Unions-Abgeordnete fordern? Kinder gehören in die Schule und nicht in die Ehe, begründen die PolitikerInnen. Das wird sicher niemand bestreiten. Trotzdem greift das Argument zu kurz.

Manche Mädchen bekommen das Recht zur Schule zu gehen erst nach einer Flucht aus einem Kriegsgebiet. Weil in ihrer Heimat Schulen zerstört sind oder religiös begründete Vorschriften den Zugang zu Bildung für Mädchen verhindern. Allein oder ohne männliche Begleitung können Mädchen und Frauen aus Krisenregionen aber kaum fliehen. Sei es, weil das ihrem Geschlechterbild widerspricht oder sie unterwegs Gefahren ausgesetzt sind: Vergewaltigung, Überfälle, Zwangsprostitution.

Ein Ehemann, der sie auf der Flucht begleitet, bietet Schutz. Minderjährige Schwangere und minderjährige Mütter haben auch nach der Flucht als Verheiratete einen sichereren Status als Unverheiratete.

Was spricht denn gegen eine Einzelfallprüfung in Deutschland? Sicher, das ist angesichts der rund 1.400 im Ausländerregister registrierten verheirateten Teenager kein geringer bürokratischer Aufwand. Aber der genaue Blick hilft gegen Pauschalurteile. Er kann zwischen Früh- und Teenagerehen unterscheiden, das Kindeswohl individuell beurteilen und filtert Zwangsehen heraus, die ohnehin verboten sind. Und er verhindert eine weitere Verschärfung der Lebensumstände mancher Minderjähriger.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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12 Kommentare

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  • 1. Es stimmt nicht, das minderjährige Mädchen nicht alleine fliehen können.

    2. NIEMAND kann mir verklickern, das eine Ehe mit 15 positiv sei. Wären Mädchen/Frau und Junge/Mann frei in ihren Entscheidungen, dann würden sie niemals heiraten, sondern einfach so zusammen sein.

  • "Was spricht denn gegen eine Einzelfallprüfung in Deutschland?

     

    Weil wir gültige Gesetze haben, die Kindesmissbrauch unter Strafe stellen - völlig unabhängig von Herkunft, Religion, politischer Weltanschauung oder sexueller Orientierung. So stehts im Grundgesetz.

    • @Jens Frisch:

      genau

  • Wovon reden Sie da eigentlich Frau Schmollack?

     

    Sie wollen die Kinder nicht scheiden lassen weil sie auf der Flucht nach Deutschland einen Mann brauchten? Sie sagen die Kindsfrauen sollen bei ihren Männern bleiben weil sie es sonst noch schwerer haben?

    Sollen wir das konsequent durchziehen und arme Kleinkinder(aus denen ja sowieso nichts wird) an superreiche Pedophile verheiraten? Weil die ja sonst Gefahr laufen selbstbestimmt handeln zu müssen?

    • 8G
      87203 (Profil gelöscht)
      @Chaosarah:

      @chaosarah

      Ich bin kein Anwalt, ich verstehe die Situation wie folgt:

       

      Es gibt einen Unterschied zwischen der Scheidung einer Ehe und der Anullierung.

      Wenn die Kinderehen anulliert werden, entstehen daraus keine Unterhaltsansprueche, weil die Ehe nicht rechtskraeftig war. Zwangscheiden kann man die Ehe auch nicht, weil man nur eine Ehe scheiden kann, die rechtskraeftig anerkannt ist. Daher kein Geld fuer die Frau. Die Anullierung fuehlt sich auf den ersten Blick richtig an, stuerzt die Betroffenen jedoch im Einzelfall in tiefere Not als der Status Quo. Sowas laesst sich zwar gut als Wahlwerbung instrumentalisieren, schadet eventuell mehr als es nutzt.

      • @87203 (Profil gelöscht):

        Also Kinder bekommen nach Vaterschaft Unterhalt, nicht nach Familienzugehörigkeit.

        Ehefrauen haben nur Recht auf Unterhalt wenn die Ehe die Erwerbsfähigkeit der Frau nachhaltig verhindert hat und der Mann den Unterhalt bestreiten kann. Oft geht es da um Nutzungsrechte für die gemeinsame Wohnung usw. - Dinge die bei gerade angekommenen Flüchtlingen wohl eher marginal vorhanden sein sollten.

         

        Die Einzelprüfung hat den "Charm" dass sie Zeit braucht - am Ende wird man vermutlich eine erwachsenen Frau zu tun haben die ihre Kinderjahre bereits in einer Ehe verbracht hat und nun noch weniger in der Lage ist für sich selbst zu Sorgen.

         

        Die unterschwellige Annahme die Frau sei sowieso unfähig für sich selbst zu sorgen und deshalb in der Kinderehe besser aufgehoben ist für mich eine Frechheit!

        • 8G
          87203 (Profil gelöscht)
          @Chaosarah:

          Warum muessen wir so duennhaeutig sein, sobald das weibliche Geschlecht vorkommt?

           

          Wir sprechen hier ueber Kinder,

          da ist das Geschlecht voellig egal. Es trifft in der in diesem Fall wohl mehr weibliche Kinder als maennliche.

           

          Ihre anderen Argumente kann ich nachvollziehen. Ich bin nur nicht sicher ob wir den Kindern/Frauen uneingeschraenkt gutes tun, wenn dieses Gesetz kategorisch verkuendet wird.

          • @87203 (Profil gelöscht):

            Wir haben keine Gesetze um direkt "gutes" für den Einzelnen zu tun.

            Wir haben Gesetze damit unsere Gesellschaft gerecht bleibt oder wird.

             

            Sie tun auch keinem Vergewaltigungsopfer gut wenn es vor Gericht aussagt.

            Das Recht ist nicht vorrangig dazu da den Opfern zu helfen sondern um neue Opfer zu verhindern, um dem Täter klar zu machen dass sein Handeln nicht toleriert wird.

             

            Das hat nicht viel mit Dünnhäutigkeit zu tun sondern viel mehr mit gesellschaftlichem Grundverständnis!

  • Gibt es Kinder die freiwillig einen älteren Mann Das glaube ich nicht. Und wieso sind die auch nach der Flucht geschützter durch die Ehe. Die haben doch dann uns, den deutschen Staat und die Jugendhilfe. Sie können in Ruhe in die Schule gehen ,sind in Wohngruppen untergebracht , machen eine Ausbildung. Ist doch alles OK.

     

    Hier ist das einfach , aus gutem Grund nicht erlaubt. Das sollte klar sein. Klare Verhältnisse. Nicht so ein Wischi waschi. Wenn sie so sehr lieben , können die dann ja den Mann mit 18 nochmal heiraten.

    • 8G
      87203 (Profil gelöscht)
      @Christiana:

      In Deutschland ist es zZt durchaus noch moeglich vor als Minderjaehriger zu heiraten: https://de.wikipedia.org/wiki/Ehem%C3%BCndigkeit#Deutschland

       

      Vielleicht will die Betroffene aber gar nicht ihren Ehemann verlassen. Nicht weil sie ihn so toll findet, sondern weil ihr dann ihr gesamtes soziales Umfeld wegbricht. Die Familie des Ehemanns bricht weg und aus der Sicht einer konservativen Familie sind die Rueckkehrerinnen dann evtl "damaged goods", die man schlecht wiederverheiraten kann und die Geld kosten. Das heisst also das Ansehen in der eigenen Gruppe leidet. Da hilft es auch wenig das unser Staat mit 2,50 Euro und einer Jugendhilfe bei Fuss steht. Vielleicht will die Betroffene diese Hilfe gar nicht, sondern in ihrer "Peergroup" leben, die dann wegbricht.

      Ich finde Kinderehen auch schlecht, aber halte eine pauschale Schnell-Loesung auch nicht fuer besser.

  • Welche Flucht steht den Kindern denn noch bevor, dass die Autorin deshalb die KinderEhen nicht annullieren lassen will? und wie will sie Zwangsehen von NichtZwangsehen bei unmündigen Kindern denn feststellen?

     

    Kinder fallen in Deutschland unter die Obhut (und Gewalt) der Erziehungsberechtigten - das ist laut Verfassung §6 unstrittig. Eine Ehepartner kann und darf da nicht quasi-elterliche Rechte zugesprochen bekommen, nur weil er volljährig ist. Es sei denn Frau Schmollack möchte gerne ein anderes Rechssystem ...

  • Zitat: "Ein Ehemann, der sie auf der Flucht begleitet, bietet Schutz."

    Aha. Wovor? Vor sexuellem Mißbrauch ?