Kommentar Flüchtlinge in Calais: In jeder Hinsicht inakzeptabel
Die Politik hat in Calais sowohl Flüchtlinge als auch Einwohner im Stich gelassen. Immer lauter wird der Ruf, die Grenze nach Dover zu öffnen.
W er wollte schon den ersten Stein auf diese Leute werfen, die in Calais für die Räumung der Flüchtlingslager demonstrieren? Es wäre viel zu einfach und leichtfertig, diese Geschäftsleute, Gastwirte, Transportunternehmer und Nachbarn des „Dschungels“ mit dem Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit abzutun. Zweifellos gibt es Rassisten unter ihnen, und die extreme Rechte trägt das ihre dazu bei, um die Stimmung noch anzuheizen.
Dennoch bleibt wahr, dass sich diese Bewohner von Calais am Ärmelkanal von den Politikern im Stich gelassen fühlen. Diese versprechen seit mehr als 15 Jahren eine Lösung. Stattdessen hat sich das Problem nur verschlimmert. Zuallererst für die Flüchtlinge selber. Ihre Lebensbedingungen sind in jeder Hinsicht inakzeptabel. Beim Versuch, als blinde Passagiere nach Großbritannien hinüberzukommen, steigt mit den verschärften Kontrollen und höheren Zäunen auch die Zahl der Verletzten und Toten.
Ebenso unleugbar sind aber auch der Imageverlust und die wirtschaftlichen Schäden für Calais. Was einst eine attraktive Touristenstadt war, gilt in den Medien heute kurzerhand als Flüchtlingscamp. Wer würde schon dort oder auf Lampedusa Urlaub machen? Die Bewohner von Calais und die Flüchtlinge haben ein gemeinsames Interesse an einer raschen und humanen Lösung. Doch wie?
Mit dem Brexit-Votum scheint sich aus französischer Sicht eine Perspektive abzuzeichnen. Warum soll Frankreich länger die Grenzkontrollen besorgen und diese Menschen an der Weiterreise hindern, wenn doch Großbritannien die Kooperationsverträge mit dem europäischen Festland nicht länger will?
Immer lauter wird deshalb der Ruf, die Migranten in Calais nicht länger aufzuhalten, wie dies bislang das britisch-französische Abkommen von Le Touquet verlangt. Damit würde das Kontrollproblem auf unelegante Weise über den Ärmelkanal geschoben. Doch zumindest die Flüchtlinge würden nicht länger dort festgehalten, wo sie nie hinwollten: Calais.
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