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Kommentar Fehler beim AtomausstiegSkandalöses Desinteresse

Malte Kreutzfeldt
Kommentar von Malte Kreutzfeldt

Wurde beim deutschen Atomausstieg nach der Fukushima-Katastrophe unsauber gearbeitet? Möglich – aber niemand scheint das aufklären zu wollen.

Was hat höhere Priorität: Schadenersatzzahlungen vermeiden oder einen möglichen Politskandal aufklären? Bild: dpa

D ie Hinweise, dass beim deutschen Atomausstieg kurz nach der Fukushima-Katastrophe unsauber gearbeitet wurde, werden immer deutlicher: Die zuständige Arbeitsgruppe im Bundesumweltministerium wurde seinerzeit komplett kaltgestellt.

Stattdessen legte die Führungsebene unter dem damaligen CDU-Minister Norbert Röttgen in enger Abstimmung mit dem Kanzleramt ein Verfahren fest, das heute die Grundlage für Schadenersatzforderungen der AKW-Betreiber im Umfang von 880 Millionen Euro darstellt.

Der damals ausgebootete Beamte geht davon aus, dass die Fehler absichtlich gemacht wurden, um den Konzernen eine finanzielle Entschädigung für die Abschaltung ihrer ältesten Reaktoren zu verschaffen. Wenn dieser Vorwurf stimmt, wäre es ein Politskandal gewaltigen Ausmaßes. Darum sollte man annehmen, dass es ein großes Interesse gibt, genau aufzuklären, was damals geschehen ist.

Doch davon ist wenig zu sehen. In Hessen bemüht sich zwar ein Untersuchungsausschuss, Licht in die Vorgänge zu bringen. Doch im Mittelpunkt stehen dort nicht die Vorgänge innerhalb der Bundesregierung, sondern die Frage, ob für Schadenersatz das Land oder der Bund aufkommen muss. Und auch für SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks hat es höhere Priorität, Schadenersatzzahlungen zu vermeiden, als einen möglichen Politskandal aus der Zeit ihres Vor-Vorgängers aufzuklären.

Ob es wirklich einen gibt, ist offen – schließlich ist es auch denkbar, dass in der hektischen Zeit nach dem Fukushima-GAU ohne böse Absicht Fehler gemacht wurden oder eine schadenersatzfreie Lösung gar nicht möglich war. Doch genau das muss aufgeklärt werden. Dazu braucht es einen Untersuchungsausschuss auf Bundesebene. Und die Mitwirkung aller Beteiligten – ohne Hintergedanken.

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Malte Kreutzfeldt
ehemaliger Redakteur
Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert.   Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.
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9 Kommentare

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  • 1G
    12671 (Profil gelöscht)

    Fukushima vor 4 Jahren, Tschernobyl vor 29 Jahren. In Deutschland feiern wir 2016 Bergfest, denn erst nach 30 Jahren, also nächstes Jahr, ist die Radioaktivstrahlung vom Cäsium-137 halb so stark wie 1986 beim GAU. Die Umweltpolitik-Seite analogo.de berichtet gerade darüber: http://analogo.de/2015/02/07/tschernobyl-bergfest-fuer-radioaktives-caesium-137/

     

    Fukushima ist zwar das größere Unglück, aber GAU bleibt GAU. Ein Appell an alle Atom-Reaktivierer.

  • Nur mal so am Rande: Da gab es einen formal ausgehandelten Atomausstieg" mit wohl auch sicheren Haftungsfragen , Restlaufzeiten, überschauberen Verpflichtungen , gebaut von Rot/Grün.

    .

    Den hat unsere Bundeskanzel gecancelt um einige Monate später das "Canceln" wieder zu canceln, um die Wahlen in BaWü zu gewinnen.

    .

    Von verschiedenen Einzelaktivitäten "Mappus Schnäppchen" bei ein ppar KKWs usw. mal abgesehen:-((

    .

    Sagen würde ich es so: Der Vorgang, Ablauf "riecht" ein wenig sehr nach Vorsatz :-((

    .

    Meint

    Sikasuu

  • "Fehler beim Atomausstieg"? Wer's glaubt. Dieser Ausstieg wurde von Merkel & Co. bewusst so geplant, und nicht anders.

  • Sorry, weil sich inzwischen alles nur noch um die Risiken und nebenwirkungen der Atomkraft in Japan und Deutschland dreht, muss ich mal darauf hinweisen, dass die Atomkraft auch anderswo genutzt wird – und keiner kümmert sich darum!

     

    Es scheint inzwischen ein allseitiges, stillschweigendes Einverständnis zu geben, dass dem Iran die zivile Nutzung der Kernkraft erlaubt sein möge! Einem Land, dessen Untergrund ebenso seismisch aktiv ist, wie der Japans! Wieso will man dem Iran den Bau neuer Kernkraftwerke erlauben, während immer mehr andere Staaten die Ihrigen abschalten?

     

    Die Atomverhandlungen führt der Iran bekanntlich mit den "G5+1" (Russland, USA, Großbritannien, Frankreich, China, Deutschland). Außer Deutschland praktizieren diese Staaten (noch) allesamt die zivile Nutzung der Kernenergie. Das erklärt zwar die Sache, macht sie aber keineswegs besser!

     

    Es wird höchste Zeit, dass in den "G5+1" der deutsche Delegierte (wer ist das eigentlich?) tätig wird und den „Ausstieg aus dem Einstieg“ der Kernkraft AUCH IM IRAN fordert!

    Denn: Wo KEINE Kernkraft genutzt wird, kann sie auch nicht für militärische Zwecke missbraucht werden!

     

    Die deutschen AKW-Gegner sollten sich ihrer Macht und der Macht der Solidarität erinnern und überlegen, wie sie die iranischen AKW-Gegner unterstützen können.

    Denn von diesen schweigt das Mullah-Regime!

     

    Warum sagen eigentlich die „Grünen“ nichts zum Thema, das einst ihr Kerngeschäft war? Wollen sie das etwa der „Linkspartei“ überlassen?!

    Aber denen ist das Thema „Kernkraft im Iran“ anscheinend auch zu heiß!

  • Nicht nur das Verfahren, sondern der ganze Atomausstieg ist falsch! Das Moratorium mit der sofortigen Abschaltung von 8 AKW war komplett rechtswidrig. Daher ist Schadensersatz zu leisten!

    Die Folgekosten der "Energiewende", die bisher 6% des Primärenergieverbrauches auf Zufallsstrom umgestellt hat, betragen schon jetzt mehrere 100 Milliarden Euro. Zusätzlich sind weite Landstriche landschaftlich zerstört worden.

    • @Thomas Ebert:

      Mit Zerstörung der Landschaft meinst du diese riesigen Baggerseen die durch den Braunkohleabbau entstanden sind, Oder etwa die Braune Spree, die dank des Braunkohleabbaus stark Eisenbelastet war (Klärt sich mittlerweile wieder.)

      Oder meinst du mit den Milliarden Folgekosten die Endlagersuche für Atommüll und die Renaturalisierung der Braunkohlelöcher.

      Oder die Umzugskosten Tausender Heimatvertriebener die wegen des Braunkohleabbaus ihre heimat verloren haben?

       

      Die Regierung unter Merkel lässt sich nur treiben. sie regiert nicht sie reagiert nur. Entweder auf die "Kohle" der Konzerne oder Umfragewerte. je nachdem was gerade größer ist.

       

      Das diese Regierung nicht ganz Einwandfrei ist ist klar. die Abschaltung wurde aber dank der Fehler der Regierung erst rechtswidrig. Auch die "Schnelligkeit" ist ein teurer Spaß.

       

      Um solche Schnellschüsse zu vermeiden sollten die Atomreaktoren einfach schnellstmöglich ausgeschaltet werden.

      • @Sascha:

        Nein, ich meinte die Umweltzerstörung durch Windmühlen und Solarsondermüll. Denn diese sind zusätzlich zu den noch notwendigen Kohleförderanlagen. Die Kosten für die Suche und den Bau eines Endlagers haben wir doch sowieso. Auch eine sofortige Abschaltung der AKW ändert doch daran keinen Deut. Ganz im Gegenteil, je länger wir umweltfreundliche Atomkraft nutzen je geringer sind die anteiligen Entsorgungskosten.

        Wer auf Wind und Solar setzt, der zementiert die Stellung fossiler Energieträger, da auch in 50 Jahren nicht genügend Speicher vorhanden sein werden.

        • @Thomas Ebert:

          Uranbergbau ist ein ganz dreckiges Geschäft. Damit ist die ganze Energiegewinnung aus Kernkraft ebenfalls nicht umweltfreundlich. Und je länger man daran festhält, desto mehr Platz benötigt man für die Endlagerung der Abfälle. Natürlich steigen damit auch die Kosten.

  • Entschädigungszahlungen sind unvermeidlich, eine rechtssichere Abschaltung deutscher KKWs war eh nie möglich.

    Dazu müsste eine reale!, keine imaginäre Gefahr vorhanden sein. Wäre dem so gewesen, hätte man die deutschen KKWs auch einfach so abschalten können. Ganz ohne Fukushima.

     

    Der Rechtsbruch durch die Politik muss und wird Folgen haben, ganz einfach.

    Leider zahlt es der Steuerzahler, aber er hat ja die Antiatom-Politiker auch gewählt.