Kommentar FDLR-Prozess: Ein Richter ruft um Hilfe
In Stuttgart wurden die zwei Führer der ruandischen Hutu-Miliz FDLR wegen Gräueltaten im Ausland verurteilt. Die Urteile sind kurios.
E in historisches Urteil ist es nicht, das das Oberlandesgericht Stuttgart nach über vier Jahren Prozess gegen die beiden politischen Führer der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) gefällt hat.
Es war der erste Prozess in Deutschland gegen Führer einer ausländischen bewaffneten Gruppe wegen Führungsverantwortlichkeit für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach den Regeln des Völkerstrafrechts, übernommen vom Internationalen Strafgerichtshof. Jetzt müssen alle Beteiligten sehen, was sie mit dem Wirrwarr anfangen, den ihnen die Stuttgarter Richter hingelegt haben.
Einerseits erklären die Richter die FDLR, die barbarische Gräueltaten an Zivilisten im Kongo begangen hat, zur „terroristischen Vereinigung“– andererseits sagen sie, die FDLR habe keine „Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen“, also ausgedehnte und systematische Angriffe auf die Zivilbevölkerung, sondern bloß „Kriegsverbrechen“, also Schweinereien, die im Krieg halt passieren, zumal im Kongo.
Einerseits erklären sie FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, die die Miliz aus Deutschland heraus jahrelang ungestört politisch führten, zu „Rädelsführern“ – andererseits verurteilen sie Murwanashyaka lediglich wegen „Beihilfe“ zu den Verbrechen seiner Organisation, nicht als Vorgesetzten, und Musoni in diesem Zusammenhang überhaupt nicht: Er verlässt das Gericht als freier Mann, weil er seine Haftstrafe bereits abgesessen hat.
Das ist Rechtsstaat, könnte man einwenden. Aber der vorsitzende Richter hat noch ein drittes Urteil gefällt. Sein Resümee dieses Verfahrens, sagte er, ließe sich in vier Worten zusammenfassen: „So geht es nicht!“ Genauer: Die deutsche Strafprozessordnung taugt in ihrer heutigen Form nicht für die Aufklärung von Völkerstraftaten im Ausland. Die kuriosen Urteile sollen diese Feststellung wohl untermauern.
Das mag eine überfällige Debatte befördern, wie Deutschland mithalten kann im Unterfangen, nach einigermaßen einheitlichen Standards internationale Gerechtigkeit zu schaffen und internationale Straflosigkeit bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu beenden. Schade nur, dass die Rechtsprechung in diesem konkreten Fall das Bauernopfer zu werden droht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr