Kommentar Exil-Türken in Berlin: Eine traurige Zuflucht
Unser Autor ist von der Türkei nach Berlin gekommen, hier fühlt er sich sicher. Die Erinnerung an sein früheres Leben lähmt ihn trotzdem.

Straßenszene in Cihangir, einem Stadtteil von Istanbul, im Jahr 2010 Foto: dpa
Berlin ist schön: Nichts erschlägt einen hier, nicht mal ansatzweise. Nicht die Drogendealer vor dem Haus, nicht die unfassbar lauten Sirenen der Notarztwagen. Ich weiß, dass gerade Ramadan ist, aber ich spüre es nicht auf den Straßen. Es gibt keine faschistischen Attacken auf mich, wenn ich tagsüber auf offener Straße etwas esse.
Es ist etwas anderes, das einen türkischen Exilanten wie mich hier manchmal lähmt: Das Leben, das nur ein paar Monate zurückliegt, das eigene Land, das in Trümmern liegt. Das Wissen darum, wie schwer es für diejenigen ist, die dort geblieben sind. Die Schuld, so privilegiert zu sein, und das ständige Gefühl, nicht genug zu tun. Die Hilflosigkeit, die Sorge. „Wem hilft es, wenn du dich sorgst, du zermürbst dich nur selbst“, sagen meine deutschen Kollegen. Meine türkischen Kollegen antworten: „Bleib da, komm niemals zurück, alles wird hier nur immer schlimmer.“ Keines von beidem erleichtert mich.
Obwohl wir mit taz.gazete täglich über die Türkei berichten, lässt sich die Lücke zwischen der Zerstörung und allem anderen nicht schließen. Ein Laster rast ungebremst in alles, was wir je geliebt haben. Während wir hier sind und die anderen dort.
Die Nachrichten der Kollegen aus der Türkei kommen regelmäßig: Sie haben entweder Zuflucht irgendwo anders in Europa gesucht oder sind in den Knast gegangen. Und dann gibt es noch die, die irgendwo dazwischen gefangen sind: Die, von denen wir nichts hören, die, die weder gehen noch bleiben können.
Die fliehen mussten, sind hoch politisiert – aber was heißt das genau?
Anders als die Türken, die früher kamen, sind wir Neuankömmlinge hoch privilegiert, für uns ist es geradezu unerträglich leicht, in Berlin zu leben. So traurig es ist – das verdanken wir der Globalisierung. Es sind die Künstler, Akademiker, Journalisten, die gebildeten Massen, die es rausschaffen. Die Leute, die gerade aus dem Istanbuler Stadtteil Cihangir nach Berlin kommen, haben viel mehr gemeinsam mit denen, die sie hier treffen, als mit ihren ultrakonservativen Nachbarn.
Die fliehen mussten, sind hoch politisiert – aber was heißt das genau, solange man hier ist und nicht dort? Wir müssen nach Wegen suchen, uns hier zu verbünden, auch wenn das schwerer ist, als es klingt. Wir alle brauchen Antworten, aber einige haben schon lange aufgehört, danach zu suchen. Glücklicherweise hat Berlin Platz für beides.
Kommentar Exil-Türken in Berlin: Eine traurige Zuflucht
Unser Autor ist von der Türkei nach Berlin gekommen, hier fühlt er sich sicher. Die Erinnerung an sein früheres Leben lähmt ihn trotzdem.
Straßenszene in Cihangir, einem Stadtteil von Istanbul, im Jahr 2010 Foto: dpa
Berlin ist schön: Nichts erschlägt einen hier, nicht mal ansatzweise. Nicht die Drogendealer vor dem Haus, nicht die unfassbar lauten Sirenen der Notarztwagen. Ich weiß, dass gerade Ramadan ist, aber ich spüre es nicht auf den Straßen. Es gibt keine faschistischen Attacken auf mich, wenn ich tagsüber auf offener Straße etwas esse.
Es ist etwas anderes, das einen türkischen Exilanten wie mich hier manchmal lähmt: Das Leben, das nur ein paar Monate zurückliegt, das eigene Land, das in Trümmern liegt. Das Wissen darum, wie schwer es für diejenigen ist, die dort geblieben sind. Die Schuld, so privilegiert zu sein, und das ständige Gefühl, nicht genug zu tun. Die Hilflosigkeit, die Sorge. „Wem hilft es, wenn du dich sorgst, du zermürbst dich nur selbst“, sagen meine deutschen Kollegen. Meine türkischen Kollegen antworten: „Bleib da, komm niemals zurück, alles wird hier nur immer schlimmer.“ Keines von beidem erleichtert mich.
Obwohl wir mit taz.gazete täglich über die Türkei berichten, lässt sich die Lücke zwischen der Zerstörung und allem anderen nicht schließen. Ein Laster rast ungebremst in alles, was wir je geliebt haben. Während wir hier sind und die anderen dort.
Die Nachrichten der Kollegen aus der Türkei kommen regelmäßig: Sie haben entweder Zuflucht irgendwo anders in Europa gesucht oder sind in den Knast gegangen. Und dann gibt es noch die, die irgendwo dazwischen gefangen sind: Die, von denen wir nichts hören, die, die weder gehen noch bleiben können.
Die fliehen mussten, sind hoch politisiert – aber was heißt das genau?
Anders als die Türken, die früher kamen, sind wir Neuankömmlinge hoch privilegiert, für uns ist es geradezu unerträglich leicht, in Berlin zu leben. So traurig es ist – das verdanken wir der Globalisierung. Es sind die Künstler, Akademiker, Journalisten, die gebildeten Massen, die es rausschaffen. Die Leute, die gerade aus dem Istanbuler Stadtteil Cihangir nach Berlin kommen, haben viel mehr gemeinsam mit denen, die sie hier treffen, als mit ihren ultrakonservativen Nachbarn.
Die fliehen mussten, sind hoch politisiert – aber was heißt das genau, solange man hier ist und nicht dort? Wir müssen nach Wegen suchen, uns hier zu verbünden, auch wenn das schwerer ist, als es klingt. Wir alle brauchen Antworten, aber einige haben schon lange aufgehört, danach zu suchen. Glücklicherweise hat Berlin Platz für beides.
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Kommentar von
Ali Çelikkan
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