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Kommentar Einsatz von BodycamsDie neuen Augen der Polizei

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Die Kameras sollen zur Abnahme von Gewalt gegen Polizisten führen. Kritiker befürchten das Gegenteil. Problematisch ist die einseitige Kontrolle.

Soll sie die ganze Zeit laufen? Foto: dpa

B odycams sind der neueste Schrei der Polizei-Aufrüstung. Ein Bundesland nach dem anderen schafft derzeit die gesetzlichen Grundlagen für den Einsatz kleiner Kameras auf der Schulter oder an der Brusttasche von Polizisten. Am heutigen Mittwoch will der Landtag von Baden-Württemberg die Einführung im Polizeigesetz beschließen. Bisher befürwortet vor allem die Polizei die Innovation. Ob sie auch aus bürgerrechtlicher Sicht Vorteile bringt, hängt ganz von der Ausgestaltung ab.

Die Polizei glaubt, dass die Aufzeichnung konfliktträchtiger Kontrollen die Gewalt gegen Polizisten reduziert. Kritiker vermuten das Gegenteil. Randalierer seien meistens betrunken und könnten sich durch den Einsatz von Kameras besonders provoziert fühlen. Beides klingt plausibel. Vermutlich werden sich die Polizisten als Erste melden, wenn Bodycams tatsächlich kontraproduktiv sind und die Gesundheit der Beamten gefährden.

Das zweite Problem ist das so genannte Pre-Recording. Damit nach Aktivierung der Kamera auch die vorhergehende Minute zur Verfügung steht – was zum Verständnis der Situation sinnvoll ist -, muss die Kamera ständig laufen. Datenschützer sehen darin eine neue Vorratsdatenspeicherung. Der Begriff scheint aber etwas zu hoch gegriffen. Bei der Vorratsspeicherung von Telefondaten wird das Kommunikationsverhalten der ganzen Bevölkerung immerhin sechs Wochen festgehalten. Hier dagegen geht es um die vorsorgliche Bild- und Tonaufzeichnung von gerade mal 60 Sekunden – und das in einer Situation, in der die Polizei nicht heimlich, sondern offen auftritt.

Problematisch ist vor allem die einseitige Kontrolle der Bodycams. Denn es ist allein der Polizist, der bestimmt, ab wann die Szene dauerhaft gespeichert wird. Und er kann die Kamera jederzeit wieder abschalten. Auch die Auswertung der Aufnahmen erfolgt bei der Polizei. Deshalb liegt die Sorge nahe, dass mit der Bodycam nur die Aggression von Bürgern dokumentiert wird, nicht aber das Fehlverhalten von Polizisten. Die Bodycam wäre dann kein objektives, sondern ein manipulierbares Beiweismittel.

Eine Untersuchung der Universität Cambridge kam zu erstaunlichen Ergebnissen: Wenn Polizisten die Bodycam an- und ausschalten konnten, nahm die Gewaltanwendung der Polizei um 73 Prozent zu. Wenn die Kamera dagegen während der gesamten Schicht lief, nahm die Gewaltanwendung um 36 Prozent ab. Echte Deeskalation scheint es also nur zu geben, wenn die Bodycam heikle Einsätze vollständig aufzeichnet. Hierüber muss noch einmal mit den Datenschutz-Beauftragten diskutiert werden. Und die Polizei kann an diesem Punkt zeigen, ob es ihr nur um den Schutz von Polizisten geht oder um das Wohl aller Beteiligten.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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9 Kommentare

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  • Und wenn Bürger die Polizei bei der Arbeit filmen? Wird das dann auch ohne Schikanen akzeptiert/erlaubt? Wenn dann gleiches Recht für alle.

  • Es ist ein zusätzlicher Schutz der Polizei vor Strafverfolgung aufgrund von Übergriffen gegen Bürger, vor allem, wenn Richter der Meinung sind, daß alles, was nicht aufgezeichnet ist, auch nicht stattgefunden hat.

     

    Interessant ist in solchen Zusammenhängen, wie allergisch Polizisten bei vielen Demos trotz Vollmaskierung reagieren, wenn Bürger oder Journalisten eine Szene mit Kameras aufzeichnen.

    • @wxyz:

      Was aber absolut legitim ist da die Polizeikräfte als Demonstrationsteilnehmer gelten und damit in der Öffentlichkeit gefilmt werden dürfen. Das alleine ist auch kein Grund um die Personalien der filmenden Person festzustellen. Geregelt durch das Bundesverfassungsgericht

  • Um den Betrachtungsrahmen mal a weng plastisch zu machen.

     

    Bodycam - JA - vs -

    Namensschildchen - NEIN -

    Noch Fragen?!

     

    (Unters. Cambridge - ein Lump -

    Wer Arges denkt!;)) & gleich dazu -

    ZweiPolGewerkschaften am Start

    = Karrierevereine in nuce!)

  • "Randalierer seien meistens betrunken und könnten sich durch den Einsatz von Kameras besonders provoziert fühlen." Fühlen sich besoffene Randalierer nicht schon durch die Uniform an sich besonders provoziert?

     

    Ansonsten: da sind doch noch einige Dinge zu klären. Den Polizisten das Einschalten zu überlassen öffnet Willkür die Tür, dabei kann es natürlich nicht bleiben.

    • @Sapasapa:

      Wer ehrlich ist mit sich und anderen, der muss zugeben, dass er sich als gestresster Mensch, dem das Adrenalin schon beinah aus der Nase tropft, noch weniger als sonst am sogenannten Riemen reißt, wenn die, die ihn zu kontrollieren haben, ihm sagen, dass sie ganz bestimmt ein Auge oder deren zwei zudrücken werden – oder die temporäre Kamera-Abschaltung nicht rügen.

       

      Schön, immerhin, dass die Elite-Universität Cambridge mit einer gewiss nicht so ganz billigen eigenen Untersuchung belegt, was sich jeder halbwegs vernünftige Durchschnittsmensch an den 5 Fingern seiner Rechten (oder Linken) abzählen kann. Heutzutage muss man ja immer befürchten, dass der, der die Eliteförderung bezahlt, dafür auch was erwartet.

      • @mowgli:

        Bin ehrlich: nicht sicher, was Sie da sagen wollen.

    • @Sapasapa:

      Überhaupt ist die technische Umsetzung mangelhaft. Eine Minute ist viel zu wenig, etwaige Aufnahmen sind dann völlig aus dem Kontext gerissen. Denkt der Polizist nach einer hässlichen Situation überhaupt daran, SOFORT die Aufnahme zu stoppen? Fällt es ihm eine Minute zu spät ein, ist der Speicher schon wieder überschrieben.

      Die Polizei hat alle Möglichkeiten, für sie belastendes Material verschwinden zu lassen.

      Wenn schon Videoüberwachung, dann sollte sie alles dokumentieren und die Kontrolle über die Daten einer unabhängigen Stelle unterliegen.

      • @Snailfreund:

        Unabhängig der ganzen Datenschutzdebatte kann man wenigstens erkennen, dass eine komplette Videoüberwachung unter richtiger Umsetzung für beide Seiten Vorteile zu haben scheint. Videobilder sind eben zuverlässigere Zeugen als (subjektive und objektive) Gedächtnisse.