Kommentar EU und Netzneutralität: Ein Herz für die Konzerne
Die EU-Regelung zur Netzneutralität regelt nichts. Das Netz wird ungleicher. Außerdem wird eine Chance zur Förderung der IT-Wirtschaft vertan.
N etzneutralität finden alle gut. Zumindest, solange man nur darüber redet. Da ist es praktisch, dass in der neuen EU-Regelung zur Netzneutralität der Begriff überhaupt nicht vorkommt. Nichts definieren, nichts entscheiden und sich bloß nicht mit den Lobbyisten der Telekommunikationskonzerne anlegen. Die haben schließlich mit der Abschaffung der Roaming-Gebühren, die in zwei Jahren – wahrscheinlich – umgesetzt wird, genug einzustecken.
Mit der durchlöcherten Verordnung zur Netzneutralität ist Europa auf dem besten Weg, in Sachen Digitalwirtschaft noch weiter in den Rückstand zu geraten. Schon jetzt ist es um das Angebot hierzulande nicht bestens bestellt: Die großen Internetkonzerne kommen aus den USA, und das merkt man auch in Sachen Privatsphäre und Überwachung.
Aus der nach Beginn der Snowden-Enthüllungen populären Forderung nach einer Stärkung europäischer IT-Firmen ist genau das geworden, was zu erwarten war: nichts. Eine Initiative der EU-Kommission für einen europäischen Cloud-Dienst befindet sich immer noch im Initiativenstadium.
Umso unverständlicher die Entscheidung zur Nicht-Netzneutralität. Denn eine starke Regelung hätte das Potenzial, die hiesige IT-Wirtschaft zu stärken. Und das, ohne dass jemand erst Fördertöpfe öffnen und Millionen verteilen muss. Die Rechnung ist einfach: Finanziell gut gerüstete Konzerne – von Facebook bis Apple – können es sich leisten, den Providern ein bisschen etwas zu zahlen, damit ihre Inhalte im nichtneutralen Netz schneller zum Nutzer kommen.
Junge Unternehmen, die den Konzernen Konkurrenz machen könnten, jedoch nicht. Von einer Entscheidung für ein strikt neutrales Netz würden also gerade kleine Unternehmen profitieren. Von Verbrauchern und anderen nichtkommerziellen Anbietern ganz zu schweigen, aber die sind für die EU traditionell eher sekundär interessant.
Das Netz wird also ein Stück ungleicher. Kommerzieller. Ein ziemlich hoher Preis dafür, dass im Gegenzug die Gebühren fürs Roaming fallen sollen.
Den nächsten Schritt zurück wird die EU wohl noch dieses Jahr gehen. Und eine ähnlich lasche Datenschutzgrundverordnung beschließen, die hiesige Verbraucher kein Stück besser vor der Nutzung ihrer persönlichen Daten schützt. Beste Aussichten für Konzerne.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr