Kommentar EU und Griechenland: Europas hilflose Linke
Syrizas Politik war ein Vorschlag an das System, Entgegenkommen zu zeigen. Das war naiv und pathetisch zugleich.
D eutsche Arbeitslosigkeit auf niedrigstem Stand seit 1991, Komasaufen bei Jugendlichen geht zurück – und jetzt kommt auch noch der echte große Sommer.
Die Agenturen hatten prima Nachrichten aus Deutschland, was kümmert einen da der Grieche, der von seiner Rente nicht leben kann, geschweige denn seine Medikamente bezahlen. Die herrschende Logik verlangt, dass ein Staat seinen Leuten nur so viel Geld auszuzahlen hat, wie ihm zur Verfügung steht. Und wenn es zum Leben nicht reicht, dann ist das eben so.
Gegen diese tödliche Konsequenz fahren die traditionelle wie die neue europäische Linke, fahren schillernde Gruppierungen wie die italienische 5-Sterne-Bewegung aber auch rechtsextreme Populisten immer neue Argumente auf, für die ihre Politikerkollegen in Berlin, Brüssel und letztlich auch in Paris, Rom und Warschau nur ein Kopfschütteln übrig haben.
Wer bezahlt, schafft an, und wer Schulden hat, kann froh sein, wenn er zum Hungerlohn Küchendienst ableisten darf. Der Rest ist wahlweise moralinsaures, gefährliches, vor allem aber lächerlich machtloses Gerede, mit dem sich linke wie rechtsextreme Spinner schon immer gern ihre üppig bemessene Freizeit vertrieben haben. Aus den Sachzwängen von früher, ist die Alternativlosigkeit von heute geworden.
Es geht ums Prinzip
Die Syriza-Regierung in Griechenland hat dieser Logik nicht nur widersprochen, sie lässt es auf ein Kräftemessen ankommen; für dessen Bewertung ist die innenpolitische Bilanz Syrizas irrelevant: Tsipras hat den Militärhaushalt zwar kaum angetastet, aber die Verleihung der griechischen Staatsbürgerschaft an Immigranten auf den Weg gebracht. Für Berlin ist das gehupft wie gesprungen. Es geht ums Prinzip und es geht um Politik.
Politische Graffiti in Griechenland
Die Unsicherheit über die Zukunft von EU und Euro hat an den Börsen schon mehr Geld verbrannt als griechischer Schlendrian je verprassen könnte: 287 Milliarden Euro sollen es allein am Montag gewesen sein. Aber das sind Kosten, die der real existierende Liberalismus abschreibt, damit „irrationales“ Verhalten wie das der griechischen Regierung eine einmalige Episode bleibt.
Und wahrscheinlich wird das gelingen: Die linkspopulistische Bewegung ist in Spanien noch im Aufbau, in Portugal unbedeutend, in Italien gibt es überhaupt keine relevante linke Partei mehr. Dort wie in Frankreich artikuliert sich die Kritik an der neoliberalen Ordnung zu einem Großteil von rechts, sei es vom Front National oder der nach seinem Vorbild in den letzten Jahren radikalisierten Lega Nord. Syrizas Politik war ein Vorschlag an das System, Entgegenkommen zu zeigen. Das war naiv und pathetisch zugleich, wie das so ist, wenn es um die Menschenwürde geht.
Der nächste Anlauf zu einer alternativen Politik in der EU wird zumindest um einige Illusionen ärmer sein.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Nichtwähler*innen
Ohne Stimme