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Kommentar EU-FreizügigkeitSchluss mit der Polen-Paranoia!

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Deutsche Firmen stehen längst in den Startlöchern, um von der wirtschaftlichen Osterweiterung ab Mai 2011 zu profitieren. Gleichzeitig wird Angst geschürt.

A b Mai kommenden Jahres können Arbeitnehmer aus acht osteuropäischen Ländern zu den gleichen Bedingungen in Deutschland arbeiten wie hiesige Bürger. Zeitarbeitsfirmen mit Sitz in diesen Ländern können Arbeitskräfte beliebig nach Deutschland entsenden - das ist ein guter Anlass, mal darüber nachzudenken, wie falsch sie sind, die Klischees von den "Billiglohnkräften" aus dem Osten, die dann hierzulande die Wirtschaft unterminieren.

Die Zeitarbeit ist dafür ein gutes Beispiel. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) befürwortet die verbindliche Einführung eines Mindestlohns in der Zeitarbeit, der dann auch für Leiharbeiter aus dem EU-Ausland gälte. Selbst die FDP zeigt sich jetzt gesprächsbereit, so dass es wahrscheinlich ist, dass der Mindestlohn bis zum Mai 2011 kommt.

Das ist gut. Aber es ist auch bezeichnend, dass erst dann, wenn wieder der vermeintliche "Billiglöhner" aus Polen vor der Tür steht, selbst liberale Politiker der Einführung einer Lohnuntergrenze in Deutschland doch nicht so abgeneigt sind.

Barbara Dribbusch ist Redakteurin für Soziales im taz-Inland-Ressort.

Dabei stehen auch deutsche Firmen in den Startlöchern, von der wirtschaftlichen Osterweiterung ab Mai 2011 zu profitieren. Denn auch mit einem Mindestlohn lohnt es sich, Tochtergesellschaften für Zeitarbeit im Ausland anzumelden, weil etwa in Polen Steuern und Sozialversicherungen für diese Branche niedrig sind. Wer also von dort entleiht, kann hier mit günstigen Verleihpreisen operieren.

Hiesige Entleiher wiederum sparen durch die niedrigen Stundensätze der entsandten Zeitarbeiter viel Geld. In diesem Szenario profitieren deutsche Unternehmen von einem polnischen Staat und dessen günstigem Abgabensystem für Zeitarbeiter - so viel zum Klischee "Billig-Polen". Es lohnt sich, bei diesem Thema mal "um die Ecke" zu denken.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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5 Kommentare

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  • A
    Amos

    Die Politik ist nur noch um der Politik willen da.

    Denn die Schulden sind nicht mehr in den Griff zu kriegen (trotz stetigem Steigen des Bruttosozialprodukts), verarmt die Bevölkerung zusehends. Die Jugend hat keine Zukunft mehr. Die Rentner können sich bald aus Mülltonnen bedienen.Die einzigen, die hier in dieser Gesellschaft profitieren, sind die, die alles kaputt machen. Jetzt setzt man allem noch die Krone auf, indem man Fremdarbeiter ins Land holt. "Wer als Deutscher immer noch zu teuer ist, wird vom Polen abgelöst". Diesen Lumpen da oben, geht es ja hervorragend. "Und daher ist ja alles in Ordnung".

  • C
    charlie

    @enzoaduro

    auswärtiges amt.de in Länderinformation Polen:

    "Wirtschaftswachstum

    Infolge der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich 2008 die Wachstums-dynamik, die 2007 noch einen Rekordwert von 6,7 Prozent erreicht hatte, auf 4,8 Prozent des BIP abgeschwächt. 2009 hat Polen die globale Krise relativ gut bewältigt und als einziger EU- Mitgliedstaat ein positives Wachstum (im Jahresdurchschnitt 1,7 Prozent; im 4. Quartal 3 Prozent) erzielt."

  • K
    Kati

    Es würde sich ehrlichwerweise lohnen, "bei diesem Thema mal um die Ecke zu denken". Ja. Frau Dribbusch hätte gerne erwähnen dürfen, dass es nun so oder so, ob mit oder ohne Mindestlohn, zur Lohnabsenkung für Deutsche die in Deutschland arbeiten, kommen wird. Viele Deutsche, auch ohne Ausbildung, verdienen heute (zB in der Pflege die Pflegehelferinnen) mehr, als der Mindestlohn bietet. Sie wissen aber, wie zukünftig bei Mitarbeitern, deren befristeten Arbeitsverträge auslaufen und evtl. verlängert werden sollen, die entspr. Gespräche geführt werden. Verdiente bisher unsere Beispiel-Pflegehelferin um die 10,-€/Stunde muß sie zukünftig den Mindestlohn (West) von 8,50€ akzeptieren. Oder sie wird gar nichts mehr verdienen; weil sie bei Ablehnung ihren Arbeitsplatz verliert und durch die polnische Schwester ersetzt wird, die gerne für den Mindestlohn arbeitet. Die Folgen dieser Öffnung und der Mindestlohndebatte werden verniedlicht oder verschwiegen. Mehr Menschen in Deutschland werden zu Niedrigstlöhnen, eben Mindestlohn genannt, arbeiten müssen.Der Mindestlohn soll ja lediglich ein noch tieferes absenken der Löhne auf polnisches Niveau von ca 4,-€ verhindern. Nichts sonst. Womit die Menschen übrigens weniger Beiträge in die Sozialversicherungen zahlen könne, diesen dann das Geld fehlt. Wofür sich dann zum Ausgleich die Menschen selbst zusätzlich versichern sollen; wofür aber immer mehr Niederigstlöhner das Geld fehlen wird usw.Schöne neue neoliberale Welt. Man muß es uns nicht immer verschweigen.

  • E
    EnzoAduro

    Es ist doch lächerlich vor politischer Korrektheit zu ignorieren das Polen eine höhere Arbeitslosigkeit hat als Deutschland und das die Löhne dort immer noch ein Witz sind im vergleich zu hiesiegen. Da kann in Polen die Konjunktur sein wie sie will. Das BIP/pro kopf ist in Deutschland noch 4x so hoch.

  • JR
    Jan Reyberg

    Zeitarbeit wird damit gerechtfertigt, dass durch sie mehr Stellen geschaffen würde als wenn nur herkömmliche Arbeitsverhältnisse möglich seien. Es wird von Unteernehmensvertretern behauptet, dass die herkömmlichen Arbeitsverhältnisse nicht flexibel genug sein, dass sie also mit anderen Worten die Arbeitnehmer in schlechten Zeiten nicht wieder los werden.

     

    Wenn dem so ist, dann ist die Möglichkeit der Zeitarbeit im Vergleich zur Tarifarbeit ein Vorteil für Unternehmer. Eine Stunde Zeitarbeit sollte demnach besser bezahlt werden als eine Stunde Arbeit in einem regulären Arbeitsverhältnis, da auf der regulären Arbeit ja der zusätzliche Nachteil ruht, dass sie nicht flexibel ist.

    Daraus folgt ja dann wohl, dass Zeitarbeit HÖHER bezahlt werden müsste, als normale Tarifarbeit.

    Mindestlohn ist ohnehin mal wieder quatsch. Der würde dann alle Arten von Qualifikation und Leistung über einen Kamm scheren.

    Sinnvoll wäre es einen Zeitarbeitslohn von mindestens 100% des vergleichbaren Tariflohnes festzuschreiben und Gewerkschaften und Betriebsräte das Recht einzuräumen diese Regelung zu kontrollieren.

     

    Das es heute möglich ist Zeitarbeit obwohl sie ja offensichtlich für Arbeitgeber vorteilhaft ist und für Arbeitnehmer unanagenehmer ist, niedrig zu bezahlen folgt aus der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit. Diese ließe sich durch Aufgabe von Flächentarifverträgen zugunsten von Verträgen zwischen Betriebsräten und Unternehmen reduzieren. Heute wird sie reduziert, indem man Zeitarbeit erlaubt. Das ist ungerechter. Wenn sich sinnvolle Politik daran orientiert, was verbessert werden kann, sollte man bei diesen beiden Vorschlägen ansetzen und sich diese unsinnige Mindestlohndebatte sparen.