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Kommentar Drei-Prozent-HürdeSieg der Demokratie

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Europawahl ist nicht europafeindlich. Die Verfassungsrichter waren einfach nur konsequent.

Der Vorsitzende der kleinen ÖDP, Sebastian Frankenberger, freut sich: Auch weiterhin darf im EU-Parlament nicht geraucht werden. Bild: dpa

D as gab es in Deutschland noch nie. Im Mai wird mit der Europawahl zum ersten Mal eine bundesweite Wahl ohne Prozenthürde abgehalten. Das Bundesverfassungsgericht hat nach der Fünf-Prozent-Hürde jetzt auch die vom Bundestag ersatzweise eingeführte Drei-Prozent-Hürde für verfassungswidrig erklärt.

Das ist ein Sieg der Demokratie, denn jede Prozenthürde verzerrt das Wahlergebnis. Nicht nur weil Stimmen für die kleinen Parteien nicht mitgezählt werden, vielmehr werden die Wähler schon abgeschreckt, überhaupt für kleine Parteien zu stimmen.

Zwar wäre auch die jetzt kassierte Drei-Prozent-Hürde ein Fortschritt gewesen. Doch die Karlsruher Richter sind ihren 2011 eingeschlagenen Rechtsprechungspfad konsequent weitergegangen.

Das ist einerseits ein Zeichen Karlsruher Souveränität. Man ist nicht eingeknickt, um erwartbare Kritik aus Berlin zu vermeiden.

Das Urteil ist aber kein Zeichen Karlsruher Stärke. Wie schon 2011 fiel auch dieses Urteil nur mit 5 zu 3 Richterstimmmen, also mit denkbar knapper Mehrheit. Wenn nur ein Richter anders gestimmt hätte, wäre die Sperrklausel bestehen geblieben.

Die Entscheidung der Karlsruher Richter ist nicht europafeindlich. Das Europaparlament ist kein Parlament zweiter Klasse, nur weil die deutschen Abgeordneten ohne Sperrklausel gewählt werden. Das war ein durchsichtiges Argument der etablierten Parteien, die so verhindern wollten, dass sie nun ein paar Mandate an Kleinparteien verlieren.

Das eigentliche Problem der kommenden Europawahl werden die Erfolge der Europagegner sein, insbesondere in großen Staaten wie Frankreich und Großbritannien. Dass nun in Deutschland eine Handvoll Sitze an Kleinparteien geht, wird dann vermutlich die kleinste Sorge sein.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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21 Kommentare

 / 
  • RW
    Rainer Winters

    Klug gewählter Zeitpunkt für dieses Urteil des BVGs. Ich prognostiziere: Spätestens 15 Monate nach der EU-Wahl führt der Bundestag eine 2%-Klausel ein.

     

    Erst haben sie es mit 5% versucht, bis das BVG schimpfte. Dann mit 3%. Da geht noch was...

  • W
    Wähler

    Was hat bloß die Grünen geritten, der Ausgrenzungsklausel zuzustimmen - Basisdemokratie geht anders! Und: Die Sperrklausel gab es bei der ersten Bundestagswahl noch gar nicht, sie wurde später eingeführt, um sich missliebiger Konkurrenz zu entledigen - damals BP und KPD. Und heute sind es Piraten und im Westen die Linke, vor denen Schwarz-Grün-SPD Sperrklausel-freie Wahlen fürchtet. ÖDP und Frankenberger ist immerhin ein rauchfreies Bayern zu verdanken.

    • @Wähler:

      Rauchfreies Bayern? So ein Quatsch. In Bayern wird nach wie vor geraucht, nur eben nicht in öffentlichen Gebäuden und Gastronomiebetrieben. So wie übrigens in zahlreichen anderen Bundesländern auch. Nur hat sich dort niemand so damit profiliert wie Hr. Frankenberger.

  • Es gibt wirklich viele äußerst unsympathische Politiker, aber Sebastian Frankenberger schlägt sie alle. Der lebendige Grund, die ÖDP nicht zu wählen. Was für ein gruseliger Mensch. (Anmerkung: Dieser Kommentar spiegelt lediglich meine persönliche Meinung wider und ist so durch das Grundgesetz geschützt.)

  • N
    Neueingesessen

    Aus welchem Grund wird es denn ineffizienter? Nur weil mehr Meinungen vertreten sind? Mir ist es lieber, dass viele Meinungen vertreten sind, anstatt, dass alles abgenickt wird.

     

    Außerdem sind aktuell schon so viele Parteien im EU-Parlament, dass es sehr zu bezweifeln ist, dass die Effizienz darunter leiden wird, wenn Deutschland ein paar Meinungen mehr schickt.

     

    Ich sag es noch mal, der Wegfall der Stimmen ist undemokratisch und nicht mit Ineffizienz des EU-Parlaments zu rechtfertigen.

     

    Woher die Kritk kommt ist doch klar, aus den Lagern, die von der Hürde haben.

     

    Nationalchauvinistisch, dass ich nicht lache. 14 von 28 Ländern haben bereits keine Sperrklauses. Geht die Welt unter? Läuft das Parlament Gefahr arbeitsunfähig zu werden?

  • Muss man jetzt den Ausbruch der Demokratie in Europa befürchten?

  • M
    Markus

    Wenn es bei der Bundestagswahl keine Prozenthürde geben würde, wäre eine Zersplitterung der Parteien vorprogrammiert. Da dann, wie jetzt bei der EU-Wahl schon ca. 1000.000 Stimmen reichen umgerechnet 1% um mit einem Sitz ins Parlament einzuziehen, würde Die Linke in eine Ost- und Westpartei, Die Grünen in eine linke und konservative Ökopartei, die CDU in eine christlich-soziale und rechts-liberale Partei auseinander brechen. Außerdem würde es massig Ein-Themen-Parteien und Populisten geben, in denen sich Leute tummeln, die mit einem gut besetzten Thema nach gut bezahlten Sitzen im Parlament geiern.

     

    Bisher haben neue politische Gruppierungen, von denen der Wähler meinte sie würden gebraucht, es immer geschafft die 5% Hürde locker zu überspringen. Hat man nicht geliefert wie Schill-Partei, Statt-Partei, DVU, Piraten usw, war man wieder weg vom Fenster und bisher hat sie auch niemand wirklich vermisst, weil sie im Parlament mit über 5% schon nichts wirklich Bewegendes beigetragen haben.

  • G
    Gast

    Mehr Demokratie wäre die Entmachtung der Kommission gewesen und nicht die Öffnung dieses Kaspereletheaters für noch mehr Kasper.

  • F
    Frank

    "Das eigentliche Problem der kommenden Europawahl werden die Erfolge der Europagegner sein,"

     

    Eigenartiges Demokratieverständnis...

     

    Dass nicht alle Bürgerinnen die EU wollen, scheint ihm nicht genehm zu sein.

     

    Die Frage, die sich mir stellt: Ist die 5-%-Hürde in Deutschland noch zeit- und verfassungsgemäß?

  • G
    GAST

    Ohne 5% Hürde bei der Bundestagswahl hätten wir jetzt Schwarz-Gelb.

    • @GAST:

      Das wäre genau so schlimm wie Schwarz-Rot. Und wir hätten noch die AfD dazu. Was für ein Chaos.

  • GN
    Gast Nr. 1

    Hmm, was wohl die Bildunterschrift "Auch weiterhin darf im EU-Parlament nicht geraucht werden." mit dem Inhalt des Artikels zu tun hat?

  • Das ist kein Sieg der Demokratie. Das ist eine unrespektbekundung des Europaparlamentes. Das BVerfG sagt ja nichts geringeres als dass das EP irrelevant ist. Die kleinen Parteien werden da eh nichts bewirken können und das Parlament nur als PR-Plattform benutzen, da Sie es nicht in nationale Parlamente schaffen.

    • N
      Neueingesessen
      @Tim Leuther:

      Das ist falsch.

      Eine Sperrklausel macht im Europaparlament absolut keinen Sinn. Dort sind bereits so viele Parteien vertreten, dass der Wegfall der Stimmung durch eine Sperrklausel undemokratisch und unnötig ist. Nicht mehr und nicht weniger.

      • @Neueingesessen:

        Was ist das denn für eine Art der Argumentation. Natürlich wird ein Parlament ineffizienter wenn sich die Anzahl an Parteien vervielfacht. Es ist auch nationalchauvinistisch nur an Deutschland zu glauben. Was wenn alle Länder das machen. Dann erhöht sich nähmlich die Anzahl an Parteien sprunghaft.

         

        Ihre Argumentation klingt nach "Was kaputt ist, kann man nicht kaputter machen". Mit der Denkweise kann man Fahrräder die nicht mehr glänzen auch in die Reifen Stechen.

        • J
          Jürgen
          @Tim Leuther:

          Demnach ist ein Ein-Parteien- Parlament am effizientesten? Tolles Demokratie Verständnis

    • @Tim Leuther:

      Große Zustimmung! Sie haben es auf den Punkt gebracht!

      Zudem wird es mittelfristig auch die 5%-Hürde bei Bundestags- und Landtagswahlen zu Fall bringen, fürchte ich!

      Vorgeblich zugunsten von "mehr" Demokratie ist das Urteil ein Einstieg in eine völlig ahistorische Betrachtungsweise. Ich bin beunruhigt.

  • E
    einer

    hmmn, naja. Wahl- und Chancengleichheit solange das gewählte Parlament nichts zu sagen hat. Sonst gelten dann doch gewichtige Gründe - für Konstrukte zum Machterhalt.

    Pyrrhussieg würd ich sagen …

  • K
    Kaboom

    Endlich haben die Yogischen Flieger eine Chance alle Probleme der Welt zu lösen. Danke liebe Richter beim BVerfG

  • Auch wenn es gute Gründe gibt für die 3% Sperrklausel!

    Sperrklauseln im Wahlrecht sind undemokratisch. Sie verstoßen gegen die Grundrechte von Wahlgleichheit und Chancengleichheit der Parteien. Für mich sind viel wichtiger die Reglungen der Geschäftsordnung des EU-Parlaments!

    • @Walter Gleichmann:

      "Für mich sind viel wichtiger die Reglungen der Geschäftsordnung des EU-Parlaments!"

       

      Sie sind also bereit die Praxis einer effizienten funktionierenden demokratischen Vertretung der theorie einer effizienten demokratischen Vertretung zu opfern? Weil Sie mehr demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten haben wenn Martin Sonneborn im EP sitzt?