Kommentar Die Bienen und die Grünen: Selbstironische Widersprüche
Bienen schützen wollen, aber über teuren Honig klagen: Die Grünen müssen jetzt so unentschieden bleiben wie ihre WählerInnen.
D ie gute Nachricht für die Grünen: Ihr Spitzenkandidat hat Humor. Kurz vor der Wahl in NRW am Sonntag, bei der die Grünen ums politische Überleben kämpfen, empfiehlt Cem Özdemir seine Partei als „parlamentarische Vertretung der Bienen“ und antwortet auf die Frage, ob das den Bienen recht sei: „Ja, die Bienen haben eine Urwahl abgehalten. Das Ergebnis bei den Drohnen war allerdings sehr knapp.“ Souveräner kann man kaum mit dem Urteil der meisten Medien umgehen, dass der grüne Urwahlverlierer Robert Habeck der bessere Spitzenkandidat gewesen wäre.
Die schlechte Nachricht für die Grünen: Auch Özdemirs origineller Last-Minute-Einsatz für die Bienen wird Rot-Grün in NRW wohl nicht mehr retten. Und mit Blick auf die Bundestagswahl ist unklar, ob die WählerInnen einen solch selbstironisch-entspannten Umgang mit Zukunftsfragen wie dem Bienensterben goutieren werden.
Zu dieser lockeren Haltung gehört die Einsicht in die menschliche Unvollkommenheit – und die Bereitschaft zu suboptimalen Kompromissen. Diese Biegsamkeit ist bei den meisten Spitzengrünen inzwischen so weit ausgeprägt, dass sie nicht erst nach der Wahl einknicken, sondern schon vorher auf radikale Versprechen verzichten und nur noch realistische, also komplizierte Pläne schmieden.
Problem eins: Damit gehen sie medial unter, weil vor allem griffige Parolen Beachtung finden. Problem zwei: Die Grünen können gar nicht mehr radikal auftreten. Dafür ist ihre potenzielle Wählerschaft zu gespalten. Die einen sind ehemalige Hausbesetzer, die anderen Hausbesitzer, manche beides. Die einen wollen nicht noch mehr Geld an den Staat zahlen, die anderen haben gar keins. Das einzige Thema, bei dem die Grünen einig radikal sein konnten, hieß Atom und ist passé.
Den Grünen bleibt gar nichts anderes übrig, als kleine Schritte für Klima und Gerechtigkeit zu planen – und dabei genauso unentschieden zu bleiben wie die meisten WählerInnen, die theoretisch für Klimaschutz sind und praktisch zweimal im Jahr nach Gomera fliegen. Die theoretisch für offene Grenzen sind und praktisch gegen belegte Turnhallen. Die auch Bienen schützen wollen, aber über teuren Honig klagen. Özdemirs Tweet war ein Versuch, mit diesen Widersprüchen selbstironisch umzugehen. Doch wer kann und will da folgen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen