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Kommentar Deutschland – PortugalKollektive Smartness-Demonstration

Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen

Nach dem 0:4 klingt in Portugal selbst ein Fado wie eine fröhliche Melodie. Das Spiel der Deutschen hingegen bietet viel Grund zur Freude. Mehr davon.

So sieht ein Verlierer aus: Weltfußballer Cristiano Ronaldo. Bild: dpa

E s lohnt sich, gelegentlich an die schlichtesten Wahrheiten zu erinnern. Beim Fußball lautet eine davon: Elf exzellente Spieler machen noch keine Mannschaft. 1968 wurde der 1. FC Nürnberg unangefochten Meister; in der Hinrunde, als die Franken sich zum Titel siegten, vergeigte die DFB-Auswahl die Qualifikation zur EM 1968. Dass die besten Profis in Albanien nur ein 0:0 schafften, nährte die These, dass mittelgute Spieler zusammen mehr vermögen als die technisch besseren, die jedoch nur als Teamsammelsurium über den Rasen stolpern.

Vor einigen Tagen waren es die Niederländer, die, je einzeln gewogen, gegen den durchschnittlichen spanischen Auswahlspieler schlechter sind. Zusammen aber fertigten sie den noch amtierenden Weltmeister mit einem 5:1 ab. Louis van Gaal als Trainer wusste eben, dass Fußball sich nicht über Individualkünste entscheidet.

Das 4:0 der Auswahl Joachim Löws war ein starkes Indiz, dass seitens des DFB in Brasilien ein funktionierendes Team zu Werke geht. Portugal sah hingegen aus wie eine Kollektion von Dienern am Hofe Cristiano Ronaldos. Das konnte nicht gut gehen – dass in Portugal selbst nun eine Atmosphäre eingekehrt ist, gegen die selbst ein Fado wie eine aufgetriedelte Melodie klingt, ist nur zu verständlich.

Alle hatten an diesen Gott der Schönheit, der ästhetischen Selbstausstellung, der Kaprizen testosteronhaftester Provenienz geglaubt – und nun liegt Ronaldo wie Asche zwischen Rasenhalmen: unsichtbar. Hat sich die erste Depression gelegt, wird man auch in Lissabon und anderswo erkennen wollen, dass man besser neidisch und nicht missgünstig ist ob der Mannschaftsleistung der Deutschen. Das war kein Merkel-Krisen-Fußball, sondern eine Art Smartness-Demonstration aus Mitteleuropa wie auch bei den Niederländern: Dass das Orchester klingen muss.

Die deutsche Stimmung hingegen könnte aufgeräumter nicht sein. Keine nationalistischen Aggressionen bei den Public Viewings – wie jemand sich privat aspiriert, muss einerlei bleiben –, kein chauvinistischer Jubel der Spieler selbst. Man hofft natürlich, dass Thomas Müller seinen beim FC Bayern München angelernten Hochmut nicht auf seine DFB-Kollegen überträgt.

Freude am schönen Spiel

Müller trug durch drei sehr feine Treffer dazu bei, dass man als Publikum Freude hatte an dieser Partie. Das war kein Applaus wie in den Jahren 1978 bis 1994: Hauptsache Deutschland. Vielmehr machte sich, auch im Milieu, das von der taz erreicht wird, Zustimmung breit, von diesem Fußball mehr sehen zu wollen. Dass die zweite Halbzeit eine ziemlich langweilige Sache war, kann jenen, die schon in der ersten Hälfte alles klar machten, nicht verübelt werden. Immerhin, um noch einmal ein typisch deutsches Dräuen zu formulieren, wurde in Salvador da Bahia mit dem Schweden-Trauma aufgeräumt: Nein, die Verteidigung stand, der Angriff hätte nach Belieben wieder eingeschaltet werden können.

Wer nun allegorisch behauptet: das war ja wie in der Politik, hat diesen Fußball nicht gesehen. In Löws Vorstellungen wäre auch ein Cristiano Ronaldo super eingebaut worden. Er würde dann auch gelernt haben können, dass es auf ihn ankommt – aber nicht in erster und nicht in letzter Linie. Müller, in diesem Sinne, ist nur ein Spieler unter vielen anderen unter dem Dirigat des Bundestrainers. Gestern ein spektakulär erfolgreicher im Abschluss: Er hatte die perfekten Kollegen, die ihm die Tore ermöglichten.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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7 Kommentare

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  • Wenn Pepe sich Müller gegenüber ebenso verhalten hätte wie Müller in seiner Reaktion auf Pepes Verhalten, nämlich nur mit dem Schrei "Weisst Du, was Du mich kannst....?" - ja dann hätte so manches im Spielverlauf anders kommen können. Aber das hat er nicht. Infolgedessen .... selber Schuld!

     

    Und dass Müller hochmütig? - ich bitte schon sehr!! Die Unterstellung hat er nicht verdient - wiagli ned!! Das war eine erstklassige blitzsaubere Mannschaftsleistung, in der jeder jeden unterstützt hat - und zweimal Müller, abgesehen von seinem ersten Elfmeter. Den hat er allein hingelegt, ohne Angeberei. Nur um Özil mache ich mir Sorgen. Sensibel, depressiv, Schotten dicht. Den müssen die Jungs schnell herausholen aus seiner Selbstisolation. Er ist so wichtig fürs Team und das muss er wohl noch deutlicher merken. Damit ihm bewusst wird, wie gut er ist. Daraus muss er Kraft schöpfen und stabil werden.

     

    Hoffentlich geht es in der WM nach diesem erstklassigen Anfang ebenso weiter!

  • Es hätte so schön sein können ...

     

    Aber als ich dann die Merkel-Bilder ohne Vorwarnung ins Gesicht geschmissen bekam, war's dann jeweils erstmal vorbei mit der ungetrübten Freude eines richtig tollen Fußballspiels ;-)

     

    Ernsthaft:

    Ich hoffe die National-Elf lässt sich nicht noch weiter auf diese billige PR-Tour von Merkel ein. Hat dicke gereicht, wahnsinnig nett, und jetzt aus dem Bild, "Ähntschie".

  • Eigentlich ein sehr guter Kommentar finde ich. Die Abwehr hat mir sehr gut gefallen, gerade auch Höwedes und der Jerome auf den Außen, Positionen, welche sie im eigenen Klub ja nicht so häufig bekleiden.

    Auch, dass Özil dieses mal nicht abgetaucht ist, wie mit Arsenal gegen Bayern, war sehr gut, so ist er ein großer Gewinn. Dass er ein fantastischer Spieler ist, steht außer Frage. Er zeigts nur nicht häufig genug.

    Khedira ebenfalls stark, wenn man bedenkt, dass er bei Real zum Championsleauge Finale mal gerade erst wieder eingestiegen ist nach seinem Kreuzbandriss. Fehlt nur noch, dass die Münchner 31 endlich wieder komplett fit wird. Das wäre klasse…

    Aber was soll denn bitteschön dieser Schmarrn? „Man hofft natürlich, dass Thomas Müller seinen beim FC Bayern München angelernten Hochmut nicht auf seine DFB-Kollegen überträgt.“

    Von welchem angelernten Hochmut reden sie denn bitte? Den Hochmut, dass er als einer der ersten am Mikro direkt sagte, man müsse auf dem Teppich bleiben und dass es zu Beginn der Partie auch anders hätte aussehen können?

    Also bitte, das tazlerische Antibayern Geschreibe kenne ich ja nun zur Genüge (auch wenn ich die taz sonst sehr gern lese, den Sportteil meide ich aus diesem Grunde eigentlich in angenehmer Regelmäßigkeit). Aber das was sie hier schreiben ist doch mächtig an den Haaren herbeigezogen.

    Es kann nicht mal ein ehrliches Lob für einen bayrischen Jung geben, ohne dass man direkt eine Kritik, für etwas, das er gar nicht getan (oder gelernt…) hat, hinterher zu schieben… Ich bin überzeugt, dass sie das eigentlich nicht nur besser wissen, sondern auch können… Das ewige Bayern „gehate“ ist völlig unnötig, scheint aber zu funktionieren... Ich bin ja auch darauf angesprungen…

  • Der Profifussball heutzutage ist oft vom Profit-(Ergbnisdenken) beeinflusst. Somit "fällt" auch ein Spieler leichter um; vielleicht gibt es noch Ausnahmen.

  • Die Holländer sind traditionell technisch wie taktisch sehr gut ausgebildet. Da stehen sie keiner Nation nach, auch nicht den Spaniern. Bei ihnen lag es eher immer am - Kollektiv.

     

    Dass Ronaldo in einem dieser Spiele untertaucht, wird keinen Experten überraschen.

     

    Wieso sollte es zu nationalistischen Aggressionen bei den Public Viewings kommen? Bei allem zur Schau getragenen N11 Patriotismus konnte man dies in Deutschland in den vergangenen Jahren im Großen und Ganzen nie beobachten.

     

    Merkel-Krisen-Fussball: was hat die Frau bitte mit Fussball zu tun, außer dass sie in die Umkleidekabine darf? Was hat Fussball mit der Europapolitik der gutbürgerlichen Regierung zu tun? Geht es nicht noch ein wenig doller bei der Interpretation Löws Spieltaktik?

     

    Zweite Halbzeit langweilig: zählen Sie bei Unterhaltung nicht auf Sport. Ich hoffe, dass Grillgut hat für Ausgleich gesorgt.

     

    Müllers Hochmut: er wurde im Gesicht getroffen, hätte sich wohl auch noch auf den Beinen halten können, aber in so einer Situation ist das schwierig. Trotzdem hat er sich absolut OK verhalten, und dass er sich danach noch vor einem Millionenpublikum in Frage stellt, zeigt ungewöhnliche Charakterstärke.

     

    Herr Feddersen, bleiben Sie doch bei der Analyse des Eurovisions.

  • Bei den Temperaturen und mit der Führung ist schon richtig, dass man in der 2. Hälfte sparsam spielt. Sonst sehr solide (im guten Sinn), und der Abwehr tut es mal gut, dass es nicht schon wieder ein Gegentor gab wie sonst eigentlich immer... Außerdem werden die in den Zeitungen auch immer so kritisch beäugt, alle vier, immer so "na, so GANZ der Schnellste ist der ja nicht...". Da tut sowas schon mal gut.

  • Also irgendwie kann ich diese Lobhudeleien nicht so ganz verstehen. Den Elfmeter fand ich äußerst strittig - man kann ihn zwar geben, aber dann müsste man (ähnlich wie bei Freds Umfaller) ja zehn Elfmeter pro Spiel geben. Insbesondere, wenn das ein Elfmeter war, war auch in der zweiten Halbzeit das Fould von Höwedes eines.

     

    Die rote Karte gegen Pepe kann man auch geben, allerdings fand ich diesen Kopfstoß jetzt wirklich mehr ein Nicken und finde, Geld hätte es auch getan. Müllers dramatishes Darniedergehen davor empfand ich auch als provozierend, das kann er sich wirklich sparen.

     

    Hummels hat gut gespielt und ein blitzsauberes Eckentor gemacht - Allerdings ist das nun auch nicht die hohe Spielkunst nach so einer Standardsituation und dilletantischem Abwehrverhalten der Portugiesen.

     

    Es war ein verdienter und deutlicher Sieg, aber überragend war das nun nicht. Dazu war Portugal einfach zu schwach und vom Schiedsrichterentscheidungen schon so dezimiert, dass da nichts mehr zu machen war.