Kommentar Deutsche WM-Mannschaft: Das Tor steht links
Jedes Spiel, das das DFB-Team gewinnt, ist wie ein Maulkorb für jene, die sich über das Scheitern Özils und Boatengs freuen. Gemeint ist die AfD.
Die Bilder von Nationalspieler Toni Kroos unmittelbar nach seinem Freistoßtor und wenige Sekunden vor dem Schlusspfiff der Partie gegen Schweden zeigten einen Spieler, der sich vielleicht auch freute. Dass ihm sein Schuss über die schwedischen Abwehrspieler hinweg ins Tor gelungen war und dem gesamten deutschen Nationalteam eine große Last von den Schultern fiel.
Was man der Miene Kroos’, des gebürtigen DDR-Bürgers, aber vor allem ansah: Wut und Genugtuung. Mit weit aufgerissenen Augen, denen die Befriedigung ob des gelinderten Zorns abzulesen war, der nun von ihm und den Seinen wich: Denen haben wir es gezeigt, schien sein Körper zu sagen.
Unmittelbar nach Spielende teilte er zu den Gründen seiner Empfindungen mit: „Relativ viele Leute hätte es gefreut, wenn wir rausgegangen wären.“ Und er meinte damit „viele Leute“ in Deutschland, nicht in Schweden, dem bezwungenen Gegner.
Es ging Kroos nicht allein um jene Journalist*innen, die schon vor der 0:1-Niederlage zum Auftakt des WM-Turniers gegen Mexiko Aasgeruch witterten – die der Bild-Zeitung etwa. Er spielte nicht nur auf frühere Nationalspieler wie Lothar Matthäus, Mario Basler und Uli Borowka an, die das DFB-Team mit streckenweise Unappetitlichem in der Tonlage, gelegentlich auch Rassistischem wider eine Mannschaft angingen, weil sie nicht mehr das Deutschland der sechziger bis achtziger Jahre repräsentiert.
Empfohlener externer Inhalt
Heute stehen die Spieler für ein Land, das in der Tat auch türkischen, arabischen, polnischen und afrikanischen Einflüssen viel zu verdanken hat. Über wen Kroos in erster Linie sprach, ist nicht schwer zu erraten: die völkischen Giftmischer.
Fußball mit politischem Sinn zu versehen, ist riskant. Was die WM in Russland anbetrifft, ist es so: Jedes Spiel, dass dieses DFB-Team gewinnt, ist wie ein Maulkorb für jene, die sich über das Scheitern der Boatengs & Co. freuen würden – weil sie, wie nicht nur die eiskalte AfD-Spitzenfrau Alice Weidel sagte, dieses Team nicht als ihres, weil nicht deutsches nehmen möchten.
Die wahren Stärken des deutschen Teams
Wer ein linkes, wer ein multikulturelles Herz hat, will, dass die DFB-Männer weiter gewinnen. Wer nur einen Sinn hegt für eine Mannschaft, die von niemandem so verehrt wird wie gerade von den Kindern der Einwanderer*innen nach Deutschland, von keinem wie von den Kindern der Geflüchteten, unterstützt dieses Team. Weil die Völkischen und Traditionalisten Bundestrainer Löw und seine Auswahl nicht mögen. Weil sie ihnen den Erfolg neiden – und weil ihre charakterlose Missgunst nicht anders kann.
Genau diese Deutschen hatte und hat Toni Kroos, der Weltbürger mit Arbeitsplatz in Madrid, im Blick, als er seine Wut in einen Schuss münden ließ. Man kann es ihm nicht verdenken.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung